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»Leichtigkeit des Seins«

Die Dresdner Musikfestspiele sehen ihrem 49. Jahrgang mit Zuversicht entgegen – um Kriegen und Krisen zu trotzen?

»RES SEVERA VERUM GAUDIUM« lautet das unübersehbare Leitbild im Neuen Gewandhaus zu Leipzig. Wahre Freude ist eine ernste Sache, so soll es der römische Philosoph Seneca einst an den Dichter Lucilius geschrieben haben. Er preist darin die Lebensfreude, so sie nicht hohl und oberflächlich, sondern eine inhaltlich geistvolle ist. Zweitausend Jahre ist das jetzt her – und nach wie vor gültig.

Intendant Jan Vogler (Foto: Marco Grob)

Die Dresdner Musikfestspiele wurden 1978 ins Leben gerufen, um dem zumeist auf sich selbst bezogenen Elbtal ein künstlerisch-kulturelles Fenster zur Welt zu sein. Fast ein halbes Jahrhundert lang sind dadurch Augen und Ohren weit geöffnet worden, wurden Generationen von Menschen erreicht und bereichert, sorgte das alljährliche Frühlingsfest für faszinierende Begegnungen mit Künstlerinnen und Künstlern, Ensembles und Klangkörpern aus so ziemlich aller Welt. Die Musikfestspiele haben in diesem Zeitraum zahlreiche Höhen und auch einige Tiefen erlebt. Unvergessen das dummdreiste Unterfangen vor rund zwei Jahrzehnten, weil die politisch motivierte Gründungsabsicht des Fensters zur Welt nun obsolet geworden sei, die kommunalen Zuschüsse auf Null zu fahren. Entsprungen war dieser gedankenlose Vorschlag der Einfalt eines übers Straßenbahnfahren ins Amt gekommenen und daselbst kräftig gescheiterten Oberbürgers mitsamt einer unbedarften Entourage, die Musikfestspiele aus Kostengründen einstellen zu wollen. Der Spareffekt wäre vergleichsweise gering gewesen, der Image-Schaden allerdings beträchtlich.

Nur gut, dass es nicht dazu gekommen ist! Der Kleinstadtpolitiker (Wurzen Nord wäre eine adäquate Alternative ihn gewesen) ist längst vergessen, wenngleich seine Nachfolge von ähnlichem Format und für eine wahre Kulturstadt zwei, drei Nummern zu klein geraten ist. »Der Frühling macht alles leicht«, meint er, »lässt Farben, Düfte, Klänge sinnlich spüren und genießen.« – Warten wir’s ab, mit welchen Klängen und in welchen Farben der Frühling 2026 über die Lande ziehen wird. Denn auch ohne Schwarz- und Blaumalerei schwebt aktuell über vielen Vorhaben im Kulturbereich wenn nicht das legendäre Damoklesschwert, so doch eine bedrohliche Zukunft aufgrund von Haushaltsengpässen und Sparmaßnahmen. Mäßig gewitzte Sprachjongleure umschreiben die Situation mit »Zeitenwende« und bebuttern sie mit »Sondervermögen«. Schöne Neue Welt!

Dennoch – und gerade deswegen? – haben die Dresdner Musikfestspiele das Programm für 2026 in vollem Maße mit Optimismus gewürzt. »Leichtigkeit des Seins« heißt das Motto, und das ist durchaus als wegweisend programmatisch zu sehen. Zum ersten Mal wird es über die bisherige Zuwendung zu Musik und partiell auch zum Musiktheater nun auch ganz bewusst »leichtfüßige« Ausflüge in Richtung Schauspiel und Comedy geben. Ausgerechnet Lokalmatador Olaf Schubert soll die Eröffnungsgala »Musik trifft Humor« des 49. Jahrgangs gestalten. Wie das mit dem Programm der Dresdner Philharmonie und Jan Vogler unter der Dirigentin Tabita Berglund zu Kompositionen von Dutillieux, Mussorgsky und Weber zusammenpasst? Wir werden sehen.

»Leichtigkeit des Seins« aber in einer Welt voller Krisen und Kriege, steckt dahinter vielleicht eine absichtsvolle Provokation? Die Verantwortlichen der Musikfestspiele werden diesen Zustand ja ganz gewiss nicht  ignoriert haben und weben diese »Leichtigkeit« wie einen roten Faden durch die insgesamt 64 Veranstaltungen des Jahrgangs 2026, in denen neben Oper und Konzert – darunter mit der »Götterdämmerung« des Dresdner Festspielorchesters als krönendem Finale von Wagners »Ring« in historisch informierter Aufführungspraxis – auch jede Menge Jazz, Weltmusik, Crossover, Tanz, Schauspiel sowie Lesung und Performance geboten werden sollen. Leichtigkeit solle aber nicht mit Seichtheit verwechselt werden, meint Intendant Jan Vogler:

»Leichtigkeit ist tatsächlich keine Wahl, sondern etwas, das wir für unser Leben brauchen, täglich brauchen. Wir vergessen es aber manchmal. Dabei können wir Probleme nicht besser lösen, wenn wir uns nur ernsthaft und tiefsinnig durch die Welt bewegen, sondern wir brauchen die Leichtigkeit, um den Kopf freizubekommen und auch wieder besser in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen und Probleme zu lösen.«

Ein überzeugtes Bekenntnis zu Kunst und Kultur also als Balance und Ausgleich, um den Menschen ein Gegengewicht zur Schwere des Alltags zu geben. Musik, die in Familie und Schule heutzutage viel zu oft vernachlässigt wird, könne der Gesellschaft Kraft spenden und sie in andere Welten entführen.

Ein ambitionierter Ansatz also, der im kommenden Frühjahr mit künstlerischen Inhalten in außerordentlicher Vielfalt (wie in den vergangenen Jahren schon gehabt) umgesetzt und gefüllt werden soll. Der stetig gewachsene Publikumszuspruch sowie die damit verbundenen Einnahmen geben dieser stilistisch und interpretatorisch breit gefächerten Programmatik durchaus Recht. So wird es auch 2026 jede Menge Wiedersehen und -hören geben, etwa mit dem U.S.-Orchester The Knights (bereits in einem Vorkonzert am 15. April in der Frauenkirche), ferner mit Künstlerpersönlichkeiten wie Martha Argerich, Gautier Capuçon, Hilary Hahn, Bill Murray und Nuria Rial, mit Dirigenten wie Kent Nagano und Omer Meir Wellber, mit Klangkörpern wie dem Dresdner Barockorchester, der Dresdner Philharmonie und der Sächsischen Staatskapelle sowie dem Ukulele Orchestra of Great Britain, dem Rotterdams Philharmonisch Orkest und den Wiener Philharmonikern. Dazu aber eben auch neue, vielleicht sogar überraschende Begegnungen, etwa mit dem Trompeter Till Brönner und der Singer-Songwriterin Suzanne Vega, die in einem Klassiker der Moderne, im vor fünfzig Jahren herausgekommenen Minimal-Music-Event »Einstein on the Beach« von Philip Glass mitwirken wird. Tom de Cock leitet hierbei das Collegium Vocals Gent.

Das angesichts dieser Vielfalt von Genres, Stilen und Namen durchaus eingegangene Risiko einer gewissen Beliebigkeit muss offenbar eingegangen werden, schließlich sind die Musikfestspiele auf Eigeneinnahmen angewiesen. In der Vergangenheit gab es da respektable Rekordzahlen, daran will man natürlich anknüpfen und setzt auch auf Probates. Im kommenden Jahr zum Beispiel erneut auf die »Cellomania«, den »Magischen Klang des Cellos«.

Intendant Jan Vogler, der ja auch selbst regelmäßig als Cellist im Musikfestspielprogramm vertreten ist, stellt sich im kommenden Jahrgang erneut namhafter Konkurrenz, so etwa den 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker und den Solisten Nikolas Altstaedt, Isang Enders, Mischa Maisky, Daniel Müller-Schott und vielen anderen.

»Die Konstante ist auch in den vergangenen Jahren schon immer ein Publikumsliebling gewesen«, so der Intendant. »Man hört sehr viele unterschiedliche Kollegen an diesem Instrument, man hört sehr viel Ensemblearbeit, die mit musikalischen Mitteln Freundschaft, Gemeinschaft und Spaß ausdrücken kann. Das ist natürlich gerade in diesem Jahrgang der Leichtigkeit ein Muss in unserem Programm!«

Leichtigkeit sei geradezu die Kür des Lebens, so der Musikfestspiel-Intendant zur Bekanntgabe der künstlerischen Vorhaben des kommenden Jahres. In jedem Konzert, bei jeder Begegnung solle somit vom 14. Mai bis zum 14. Juni 2026 die »Leichtigkeit des Seins« ebenso mitschwingen wie die musikalische Exzellenz. Frei nach Brecht also das Leichte, das Einfache, das oft so schwer zu machen ist. Der Dichter bezog das vor weit mehr als einem halben Jahrhundert auf eine Übergangsgesellschaft. Möglicherweise leben wir heute erneut in einer solchen, wenn auch unter völlig veränderten Vorzeichen.

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