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»Krieg ist irre!«

Fotos (2): Stephan Floss

Thomas Quasthoff setzte zur Halbzeit der Dresdner Musikfestspiele einen ganz besonderen Akzent ins Programm der »Horizonte«

Dresden im Frühjahr ist voller Musik. Spannende Konzerte in den Spielplänen hiesiger Orchester und Chöre, ein überaus pralles Programm der diesmal volle viereinhalb Wochen währenden Musikfestspiele setzt jede Menge Sahnehäubchen drauf. Und mittendrin in diesem Über-Über-Angebot aus Akkorden, Klängen, Melodien ertönt dann ein so eigenständiges Konzert, dass es besonderer Erwähnung verdient. Denn dieser Abend mit Thomas Quasthoff hat zur Halbzeit der Dresdner Musikfestspiele einen ganz besonderen Akzent ins Programm der »Horizonte« gesetzt.

Ein Abend mit Musik vom Amatis Trio und Rezitation von Thomas Quasthoff, der als Sänger von Weltrang längst unvergessen ist und es für immer bleiben wird. Auch wenn er sich vom Liedgesang verabschiedet hat, lässt er seinen kraftvollen Bariton noch immer in Jazzgefilden erklingen – und eben im Rezitieren von Texten, die es in sich haben, die das Publikum in herausragender Weise berühren.

Eine Geschichte mit vielen Kapiteln

Von jeher ein gern gesehener Gast in Dresden, bekennt er, immer wieder gern in diese Stadt zurückzukommen. Zudem: »Es ist noch gar nicht so lange der, dass ich mit meiner Jazzband im Konzertsaal im Kulturpalast gespielt habe. Es ist eine faszinierende Stadt.« Thomas Quasthoff und Dresden, das ist längst eine Geschichte mit vielen Kapiteln. »Ich hab’ viele Benefizkonzerte für den Wiederaufbau der Frauenkirche gegeben«, erinnert er sich, »ich habe hier den Europäischen Kulturpreis verliehen bekommen, Christa Ludwig hielt damals die Laudatio, das sind alles Dinge, die fest in meinem Kopf und in meinem Herzen sind.« Und auch die Dresdner Musikfestspiele sind für den Künstler eine feste, eine gute Adresse: »Ja, natürlich, das ist ein sehr bekanntes Festival, es hat einen fantastischen Intendanten, den ich obendrein auch noch wahnsinnig nett finde. Wir haben vor ein paar Jahren zusammen im Tschaikowski-Wettbewerb gesessen, er in der Cello-Jury, ich beim Gesang, das kann alles nicht besser sein, das ist alles sehr gut.«

Seinem gemeinsam mit dem vor zehn Jahren in Amsterdam gegründeten Amatis Trio gestalteten Programm gab Thomas Quasthoff den Titel »Humanity in War«, also »Menschlichkeit im Krieg«. Ein verstörender Widerspruch? Passt das zusammen, Musik und Militär? »Es sind natürlich Kriegsbeschreibungen dabei«, sagt Quasthoff, »aber es gibt auch Szenen, wie die Soldaten plötzlich aufhören zu kämpfen und Weihnachten miteinander feiern zwischen den Schützengräben. Es sind durchaus auch humorvolle Texte dabei, es ist nicht alles nur Blut und Krieg und Mord und Totschlag, es gab im Krieg sehr viel menschlichere Dinge, als man zu glauben vermag.«

Natürlich will Thomas Quasthoff, der mit seiner eindringlichen Stimme aus Tagebüchern und Briefen von Soldaten und Offizieren aus dem Ersten Weltkrieg zitiert hat, nichts beschönigen. Im Gegenteil, der Abend war ergreifend aktuell: »Ein Programm, das den Wahnsinn und Irrsinn von Krieg sehr deutlich aufzeigt. Leider, muss ich sagen, ist das aktueller denn je. Wenn man heute die Nachrichten hört, da wird einem angst und bange. Wie leichtfertig sowohl im Osten als auch im Westen mit Waffen und mit Krieg gedroht wird. Das macht mich schon sehr ängstlich.« Zu Musik von Erich Wolfgang Korngold und Anton Webern, von Franz Schubert, Robert Schumann, Dmitri Schostakowitsch und anderen – vom Amatis Trio vorzüglich interpretiert – las Thomas Quasthoff ein durchaus vielfältiges Spektrum von Texten.

Die Höhlen noch nicht verlassen?

»Also es gibt auch Texte, wo eine Frau eigentlich nur darum bittet, den Mann nach Hause zu schicken, weil sie Sex haben will«, lacht der Rezitator, »und sagt, ich hab’ keine Lust, fremd zu gehen, ich liebe meinen Mann. Also das ist nicht alles nur traurig, das ist durchaus auch humorvoll. Ein Kaleidoskop an Menschlichkeit, an Menschenwürde …, das ist sehr beeindruckend.«

Das war dieser Abend in der Tat. Das Publikum im seinerseits noch immer von Schäden des Zweiten Weltkriegs gezeichneten Palais im Großen Garten war von diesem Programm sehr beeindruckt. Das Musikfestspiel-Motto »Horizonte« bekam dadurch eine ganz andere Dimension. Der Künstler kommentierte die Intentionen seiner Produktion sehr nüchtern: »Wir Menschen sind verrückt! Wir können zum Mond fliegen, wir können Gehirntumore operieren, wir können viele Arten von Krebs heilen, aber wir haben nicht gelernt, friedlich miteinander umzugehen und Konflikte friedvoll zu lösen. Also haben wir die Höhlen immer noch nicht ganz verlassen. Meiner Meinung nach.«

Eine Meinung, die in Dresden auf fruchtbaren Boden fiel. Thomas Quasthoff und das Amatis Trio ernteten jede Menge Zustimmung und Applaus. Was den Künstler aber nicht zu Illusionen veranlasst: »Wir können ja nur mahnen und versuchen, Menschen überzeugen von dem, was wir fühlen und denken. Wir wissen alle, wie bescheuert und dumm das ist. Wir wären mit dem Trio die Letzten, die das ändern, wir können nur dazu beitragen, solche Programme zu machen und diesen Irrsinn aufzuzeigen.«

Thomas Quasthoff ist ein kluger Mann mit großem Humor und voller Lebensfreude – und dennoch absolut realistisch: »Die Waffenlobby ist viel stärker als wir mit unserer Musik. Selbst Präsidenten sind da machtlos. Wenn die amerikanische Waffenlobby sagt, wir machen jetzt einen Krieg, dann machen die einen Krieg. Das klingt brutal, aber so ist es.« Sein Fazit ist eindeutig: »Krieg ist irre!«

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