Schon das große Plakat am Flughafen macht den Anspruch klar. „Bukarest, die Welthauptstadt der klassischen Musik.“ Da sage noch einer, die Dresdner bildeten sich zuviel auf ihre kulturellen Schätze ein! Nein, es ist gut, wenn ein Land die Künste (und die Künstler) hoch schätzt. Und, das erfahre ich im Gespräch mit der Geschäftsführenden Direktorin des Enescu-Festivals, Cristina Uruc, das biennale Enescu-Festival, bei dem die Staatskapelle Dresden dieses Jahr in Mahler-5-Besetzung eingeladen ist – und mit ihr fünf (!) Dresdner Vertreter der Presse –, ist „ein strategisches Projekt auf nationalem Level“. Die Schirmherrschaft hat der Präsident Rumäniens persönlich inne, Nicușor Daniel Dan, der erst vor wenigen Wochen vereidigt wurde. Der Staat finanziert 93 Prozent des Budgets, das etwa 15 Millionen Euro beträgt.
So müssen sich denn zu Ostzeiten die Dresdner Musikfestspiele angefühlt haben. Ein künstlerisches Fenster in die Welt, staatlich gelenkt und finanziert, für ein kulturdürstendes Publikum. Dieser Geist ist auch im „Sala Palatului“ zu spüren, dem zentralen Kulturpalast, zehn Jahre vor dem Dresdner Pendant gebaut und kapazitätsmäßig noch exorbitanter. Ursprünglich für 3000 Zuhörer dimensioniert, ließ Ceausescu den Großen Saal in den achtziger Jahren auf über 4000 Plätze erweitern. Zum Enescu Festival wird diese Halle, in der noch vieles den Parteitags-Größenwahn atmet, durch Akustikvorhänge auf dem Mittelrang wieder etwas geschrumpft.
Und nun also: Mahler. Für ein aufgeschlossenes, recht konzentriertes Publikum, das jedoch sichtlich und hörbar wenig Erfahrung mit diesem Repertoire hat, das beweist der Applaus zwischen den Sätzen. Neben uns sitzt ein junges, aufgeregtes Pärchen, er hat ihr vielleicht die Karten geschenkt, jedenfalls ein Blumensträußchen, zwischendurch macht er Selfies und sie zieht sich den Lippenstift nach. Ist es jene entspannte Haltung, die die Kapelle an diesem Abend eine außergewöhnlich berührende Interpretation abliefern lässt? Zuhause, vor Beginn der Tournee, war die Sinfonie mitgeschnitten worden, viel mehr als ein freundlich konzentrierter, fast fehlerfreier Ablauf war das aber nicht. Im Laufe der kleinen Europa-Tournee (u.a. Station in Mailand) hat die Interpretation deutlich an Dynamik, Kraft und Charakter gewonnen. Jetzt erst, hier in Bukarest, versteht man auch, warum es eine Dresdner Einspielung der Mahlerschen Sinfonien unter Daniele Gatti braucht! Und sehr schade, dass wohl der Mitschnitt aus Dresden und nicht der aus Bukarest veröffentlicht werden wird.
Der Vorlauf für diese Zyklus-Idee sei da noch einmal kurz rekapituliert. Vor zwölf Jahren ernannte das Orchester Myung-Whun Chung zum allerersten Ersten Gastdirigenten der Orchestergeschichte, mit dem erklärten Ziel, neben der Arbeit an den Hausgöttern mit dem Chefdirigenten Christian Thielemann einen Zyklus von Mahler-Sinfonien zu erarbeiten. Ich freute mich damals „auf dieses dirigentische Abwiegen der Kräfte, das Ausloten der Polaritäten, auf die Ausdehnung des Repertoire-Universums, auf das Yin („Nordhang des Berges“) zum Yang („Fülle“, „Hitze“, „sonnige Anhöhe“).“ Chung schenkte uns in der ersten Saison die Erste und die Neunte Sinfonie; ein Jahr später folgten die Zweite, dann die Vierte und Sechste, und 2016 schließlich die Fünfte Sinfonie. Das Dresdner Konzert, damals ebenfalls Auftakt für eine kleine Europatournee, geriet atemberaubend; mein Kollege Friedbert Streller notierte „frenetischen Beifall“. Daniele Gatti hat, auch wenn er gern zugibt, die damaligen Aufnahmen mit Chung nicht zu kennen, hörbar und sichtbar einen Weg gefunden, das Orchester für diesen Komponisten weiter aufzuschließen. Mitte Dezember wird die Sechste, Ende Februar 2026 wird die Siebte Sinfonie im Sinfoniekonzert erklingen, letztere erstaunlicherweise das allererste Mal in der Kapellgeschichte überhaupt. Und Chung? Der füllt nun die durch Gattis Mahler-Schwerpunkt entstandene Auftragslücke mit Mendelssohn und Schumann. Übrigens zuhause im Kulturpalast. Und anschließend auf einer Gastresidenz in Seoul.
PS: Einen Mitschnitt des Bukarester Konzerts vom 10. September 2025 können Sie am 10. Oktober auf mdr Klassik hören.