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„Wenn die Politiker ihn wollen, muss ich gehen“

Foto: M.M.

Sind die Osterfestspiele Salzburg nicht momentan ein idyllischer Musenhain? Die Kartenverkäufe stimmen, die alljährlich aus allen Weltgegenden anreisenden Adabeis mit ihren dicken Portemonnaies liegen Thielemann zu Füßen, und die Salzburger haben die nahbaren Musiker der Staatskapelle ins Herz geschlossen. Nach außen hin ein ideales Konstrukt, das indes irgend jemandem im Aufsichtsrat in der gehabten Kräfteverteilung nicht zukunftsfähig schien. Anders ist es nicht zu erklären, dass der Aufsichtsrat jüngst ohne Not einen Intendanten ernannt hat, mit dem Christian Thielemann sich keine fruchtbare und vertrauensvolle Zusammenarbeit vorstellen kann. „Mit Herrn Bachler wird es nichts. Wenn die Politiker ihn wollen, muss ich gehen“, schrieb Thielemann der Aufsichtsratsvorsitzenden Ende August. Eine Zusammenarbeit mit Bachler? Komme keinesfalls in Betracht, legte der Dirigent im September und im Oktober mehrfach nach, wie die Salzburger Nachrichten gestern auflisteten.

Warum riskiert der Aufsichtsrat den momentanen Idealzustand, fragt man sich natürlich. Aus meiner Sicht gäbe es zwei Erklärungsansätze. Einen davon haben die Zeitungen schon erörtert: der Petrenko-Vertraute Bachler soll den Bruch mit einem solcherdings brüskierten Thielemann riskieren und die Berliner Philharmoniker aus Baden-Baden zurückholen.So schwärmten unsere Eltern von der guten alten Zeit“ – die Osterfestspiele würden zu alter Größe zurückfinden, die Gönner ihre verstaubten Schatullen wieder öffnen und das Budget, aber auch die Ticketpreise ungeahnte Höhen erreichen. Die „Kapelle für Kids“ müsste ihre Kulissen wieder einpacken, die neu eingeführten musikalischen Kneipenrunden der Kapellmusiker würden Galadinners für chinesische Geschäftsmänner und arabische Prinzen weichen müssen. Ja, vielleicht gab es im Aufsichtsrat Mitglieder, die den Weggang der Berliner insgeheim bedauert haben. Aber deswegen den Bruch mit den Dresdnern, den Totalverlust der Osterfestspiele riskieren, falls die finanziellen Forderungen der Berliner unerfüllbar wären? Das ist zumindest schwer vorstellbar.

Wahrscheinlicher ist, dass die Salzburger Entscheider die leise Angst vor der künstlerischen Alleinherrschaft eines Dirigenten packte, der wenn nicht als launisch, so doch wenigstens nicht als besonders sesshaft bezeichnet werden darf. Was, wenn ein Intendant von Thielemanns Gnaden bestellt worden wäre, und der Dirigent, dessen Salzburger Vertrag im Gegensatz zum Orchester nur immer für Jahresfrist gilt, irgendwann wegen einer Lappalie das Handtuch geworfen hätte? (Künstlerisch schien es ja so manches Mal schon auf der Kippe zu stehen.) Ohne den Leuchtstern Thielemann hätte die Staatskapelle wohl kaum den internationalen Jetset von einem österlichen Zwischenstopp an der Salzach begeistern können. Das Ende der Osterfestspiele wäre damit besiegelt gewesen.

Wenn Christian Thielemann nun auch seufzend eingelenkt zu haben scheint („Wir werden das schon stemmen“), hat der Aufsichtsrat dem Dirigenten doch mit seiner Entscheidung für Bachler einen direkten Anlass geboten, Salzburg mittelfristig und halbwegs planbar zu verlassen. So schlecht hört sich das nun allerorten erwartete Wechselspiel zwischen Baden-Baden und Salzburg ja auch gar nicht an. Baden-Baden bekäme ein neues Highlight, mit dem sich trefflich Publikum anziehen ließe, und Salzburg wäre nicht länger dem Risiko eines unkalkulierbaren Totalschadens ausgeliefert. Der Aufsichtsrat der Osterfestspiele wäre dumm, hätte er nicht hinter den Kulissen mit Bachler eine solche Option bereits in aller Ruhe durchgerechnet und mit Petrenko telefoniert. Da Bachler nun durchgewunken ist, hat es, so scheint es, zumindest keine Absage für die geschilderte Rochade gegeben.

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