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Einesteils und and’rerseits und außerdem

„Stimmung!“ Ja, der zweite Januar ist traditionell der Tag, an dem die gedruckten Feuilletons die wichtigsten kulturellen Höhepunkte des Jahreswechsels Revue passieren lassen. Na – dann lassen Sie uns doch einmal leicht verkatert auf die Silvester-Quotenhits schauen.

Zuerst gilt es da, mit einer böswilligen Unterstellung aufzuräumen. Bei der von Roberto Blanco zum Vergnügen von fast drei Millionen Zuschauern dargebotenen Version des 1972 komponierten Klassikers Ein bisschen Spaß muss sein samt „Yeah“ und „Yo-hohoho“ handelte es sich nämlich nicht um einen Textpatzer, sondern um eine reflektierte Neuinterpretation, ließ Blanco gestern mitteilen. Der Sänger, der nach eigenen Angaben Musik studiert hat, war uns schon im Oktober zur Buchmessezeit aufgefallen. Ja, richtig, damals gab es doch diesen Buchmesse-Eklat! Wir erinnern uns gleich an den entsprechenden Bericht des MDR. Zu seinem Erfolg im noch jungen Nachkriegsdeutschland reflektierte der Sänger im erwähnten Interview auch gleich noch die folgende Sentenz: „Hätte man damals ständig darüber nachgedacht, ob jemand früher Nazi gewesen ist, wäre man verrückt geworden.“ Eben. Einschaltquote kann man mit solch kritisch-nachdenklichen Aspekten jedenfalls nicht machen: das ZDF-Silvesterkonzert aus der Semperoper wollten – verglichen mit dem ‚wunderbaren Neger‘ – leider nur halb so viele Zuschauer sehen. Wenn Sie nun peinlich berührt über die kulturellen Vorlieben der Deutschen wenigstens im Nachhinein die Thielemannschen Klickzahlen noch etwas puschen möchten: hier wäre der Link.

Fügen wir da gleich mal ein Zitat des Kreuzkantors über das Stadionkonzert an, das kurz vor Weihnachten wie ein medialer Donnerhall über Deutschland hinwegbrauste. Roderich Kreile freute sich über die Resonanz, die das Konzert mit seiner locker moderierten Abfolge von Weihnachtshit auf Weihnachtshit nun schon im dritten Jahr bei der gesamtdeutschen Bevölkerung hat, und sprach: „Wenn so etwas hinausstrahlt in unser Land, dann kann das Dresden und seinem Ruf nur förderlich sein.“ Wir, die wir das nur am Bildschirm miterlebt haben, wollen nur leise anmerken: die Quote ist nicht alles. Beispielsweise bekommt derjenige, der bei Google nach den jüngsten Kreuzchor-Neuigkeiten fahndet, unter den Top-Ten-Links ein Online-Medium mit der vielfachen Reichweite von »Musik in Dresden« empfohlen, in dessen Besprechung der musikalischen Jahresendfeiern es schlicht heißt: „wenn dann im MDR der Dresdner Kreuzchor einen ganzen Abend lang singen durfte, dann wurde dieser schöne Auftritt absichtlich mit irgendwelchen Afroamerikanern durchmischt, die uns mit Besatzermusik die gerade aufgekommene Weihnachtslaune gleich wieder verdarben.“ Zitat Ende. Wir verlinken das nicht, und bitten Sie auch, das Zitat nicht zu googeln. Das Karma leidet.

Nein: wenn es dem Kreuzchor um Laune und die Quote gleichermaßen geht (was man nach der Einladung von David Garrett zum Konzert jedenfalls vermuten darf), böte sich nächstes Jahr neben der wunderbaren Jocelyn B. Smith ein weiterer afroamerikanischer Stargast an. Komm schon, Kreuzchor: bis zum ungeschlagenen Quotenhit des Jahreswechsels, der auch dieses Mal wieder zwölf Millionen (!) Fernsehzuschauer anziehen konnte, ist noch viel Luft. Und von wegen Boulevard und Stil und Niveau und so! »Dinner for one« soll auf ein Ritual der Herzogin Sophie Karoline Amalie von Sachsen-Gotha-Altenburg zurückgehen.

Tja. Hilft es, mit Hochkultur im Fernsehen „dagegenzuhalten“? Den schunkelseligen Massen nebenbei nachdenkliches, schwieriges Gedankengut mitzugeben und ausgerechnet damit derselben Quote huldigen zu wollen wie Garrett, Blanco & Co.? Jetzt sind wir gleich zum Jahresanfang wieder in diese unselige Diskussion gerutscht, dabei wollten wir doch einfach nur ein bisschen Spaß haben. Yo-hohoho.

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