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„Fantasie ist das Auge der Seele“

Alle Fotos: Daniel Koch

Ein neuer Stil, ein neuer Klang und neue Gefühle. Mit einer Charme-Offensive hat Nora Schmid Mitte März ihre erste Saison als Intendantin der Sächsischen Staatsoper Dresden vorgestellt.

Das neue Spielzeit-Magazin (hier online) ziert ein wesentliches Detail vom Schmuckvorhang der Semperoper: Die Allegorie der Fantasie. Darauf die Worte »Stell dir vor, « als unvollendeten Satzanfang. Der erste Satz in der gut 160-seitigen Broschüre allerdings ist vollendet und weist in die allseits offene Zukunft der Vorstellungskraft: „Fantasie ist das Auge der Seele.“

Von reichlich Fantasie – und weit mehr noch von sachkundiger Kompetenz der geschulten Dramaturgin und erfolgreichen Intendantin – ist denn auch das Profil der kommenden Opernspielzeit geprägt. Nora Schmid hat mit ihrem teilweise neuen, teilweise übernommenen Team am Hause aufregende Vorhaben geplant. Opernpremieren vom Barock bis zur Moderne, Unterhaltsames wie Gewagtes, Eigenständiges neben Vernetzung, Koproduktionen und Austausch, probate Namen mitsamt verheißungsvollen Entdeckungen – das klingt nach jeder Menge Energie und, siehe oben, nach reicher Fantasie, die ihrerseits wiederum einiges an Mut vorauszusetzen hat.

Vierzehn Neuproduktionen hat Nora Schmid in petto, angefangen mit einem faustischen Thema: »Mefistofele« von Arrigo Boito verspricht die Begegnung mit dem italienischen Dirigenten Andrea Battistoni und der Regisseurin Eva-Maria Höckmayr. »Intermezzo« hält einen Hausheiligen hoch und blickt ins Familienleben von Richard Strauss, inszeniert von Axel Ranisch und musikalisch geleitet von Patrick Hahn. Sergej Prokofjews »Die Liebe zu den drei Orangen« darf in der Handschrift von Evgeny Titow und im Klangbild Erik Nielsens erwartet werden. Regisseur Lorenzo Fiorini bringt gemeinsam mit dem Dirigenten Maxime Pascal die Oper »Innocence« der finnischen Komponistin Kaija Saariaho heraus. Barbara Wysocka und Robert Jindra präsentieren den Liebesklassiker »Roméo et Juliette« von Charles Gounod, dessen Deutsche Erstaufführung in Dresden erfolgte; eine längst überfällige Wiederbegegnung.

In einer konzertanten Fassung bringt Dirigentin Karen Kamensek Leonard Bernsteins ebenso geistreiche wie spritzige Operette »Candide« heraus, die Sprecherrolle mit dem anregenden Text von Loriot übernimmt der Schauspieler Jan Josef Liefers, dessen Berufsleben einst in den Werkstätten der Semperoper begann. Als Übernahme vom Musiktheater an der Wien erlebt Georg Friedrich Händels Oratorium »Saul« in der szenischen Sicht von Altmeister Claus Guth eine Bühnenrenaissance, die Leo Hussain dirigiert und auf die sich Dresdens neuer Chordirektor Jan Hoffmann schon besonders freut.

Stefan Wollmann (noch bis September 2024 Leiter Marketing), Jan Hoffmann (Chordirektor), Annekatrin Fojuth (neue Orchesterdirektorin der Staatskapelle), Björn Peters (Künstlerischer Betriebsdirektor), Jan Seeger (Technischer Direktor), Jörg Rieker (Stellvertretender Intendant), Nora Schmid, Andrea Streibl-Harms (Leiterin Semperoper Aktiv!), Kinsun Chan (Ballettdirektor), Adi Luick (Ballettbetriebsdirektor), Wolfgang Rothe (Kaufmännischer Geschäftsführer)

Überhaupt hat Nora Schmid eine Reihe neuer Persönlichkeiten in ihrem Leitungsteam versammelt, so – mit gleichsam sprechendem Namen – den Ballettdirektor Kinsun Chan. Er steht für »Neuanfang« und verspricht neben der eigenen Arbeit »Wonderful World« eine Begegnung mit John Neumeiers »Nijinsky«, was sowohl eine Hommage zweier Ausnahmepersönlichkeiten der Tanzwelt als auch eine Verbeugung vor zweihundert Jahren Dresdner Ballettgeschichte darstellt. Auf Semper Zwei präsentiert das Semperoper-Ballett mit »Tag Team« neue Formen des Tanzes, die auch in die Stadt hineinstrahlen sollen. Am 1. April 2025 sollen die zwei Jahrhunderte mit zweihundert Tänzerinnen und Tänzern auf dem Theaterplatz zelebriert werden. Neben der weiteren Neuproduktion »Vice Versa« bleiben den Ballettenthusiasten selbstredend auch zahlreiche beliebte Klassiker im Repertoire. Für den Bestand der Opernliteratur gilt dies adäquat.

Wiewohl der Neuanfang von Intendantin Nora Schmid in Dresden für einen Aufbruch steht, gibt es auch Platz für Besinnung und Rückblick in die Geschichte des Hauses. Vierzig Jahre nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg ist es im Februar 1985 wiedereröffnet werden. Diese wiederum vier Jahrzehnte sollen zünftig gefeiert werden. Bei aller Fantasie ist also auch jede Menge Ortsbezug zu erwarten. Dazu zählt auch der erklärte Wille Schmids, mit humanistisch geprägtem Sendungsbewusstsein in die Gesellschaft hineinzuwirken, um sie zu einen und den Menschen mit künstlerischen Angeboten Halt und Erbauung zu geben.

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