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Richard Wagner, »Die Walküre« und die Wissenschaft

Foto: M.E.

Das Dresdner Festspielorchester schmiedet gemeinsam mit Concerto Köln die »Ring«-Tetralogie, wie sie dermaleinst im Original geklungen haben könnte. Die Premiere der zweiten Station gab es in Prag.

„Wes Herd dies auch sei, hier muss ich rasten.“ Siegmund kann nicht mehr. Dürstend, vom Unwetter gepeitscht, sucht er Schutz in einer Hütte mitten im Wald. Strandet in einem Wohnraum mit Herd und Rauchfang und hilfreicher Maid. Besonderes Kennzeichen: Im Inneren dieser einsamen Bleibe erhebt sich der mächtige Stamm einer Eiche.

Nichts ist davon zu sehen auf der zweiten Station des gemeinsamen »Ring«-Projekts von Dresdner Musikfestspielen, Festspielorchester und Concerto Köln, das mit dem Ersten Tag des Bühnenfestspiels nun in der Staatsoper Prag angelandet ist. Siegmund und Sieglinde, die Maid, die seine Schwester ist und später dann auch die Mutter eines gemeinsamen Sohnes sein wird (aber davon wissen bis jetzt allein die strafenden Götter) stehen recht unbefangen am Bühnenrand, besingen einander und wissen eine große Orchesterbesetzung unter der kundigen Leitung von Maestro Kent Nagano hinter sich.

Da ausschließlich auf historischem Instrumentarium sowie authentischen Nachbauten musiziert wird, klingt das alles tatsächlich wie mitten im Wald. Hölzern und ausgewogen im besten Sinne des Wortes. Nichts Schrilles, kein Scheppern, bestens bereiteter Boden für die Entfaltung des einzig wahren Gesangs. So wird selbst Wagner verständlich, mag er auch noch so krude gedichtet haben: „Misswende folgt mir, wohin ich fliehe; / Misswende naht mir, wo ich mich neige. – / Dir, Frau, doch bleibe sie fern! / Fort wend‘ ich Fuss und Blick.

Schon will der eben Gelabte wieder fliehen, da ist die unfreiwillige Gastgeberin ihm schon verfallen und lässt ihn nicht ziehen. Die Gäste im Parkett und in den Rängen wären ebenfalls schwer enttäuscht, würden sie den weiteren Verlauf des knapp fünfstündigen Abends verpassen. Dabei gerät der in dieser wissenschaftlich vorbereiteten und begleiteten Fassung, die dem Wagnerschen Originalklang von vor rund eineinhalb Jahrhunderten nachspüren will, erstaunlich kurzweilig.

Das liegt ganz gewiss an der auffällig hohen Textverständlichkeit sowie am schlanken Sog von Naganos unaufgeregt inspirierender Leitung des Abends. Wer da gemeint hat, am Gesamtkunstwerk im Sinne des Verfassers von Text und Musik würden Kostüme und Ausstattung sowie Aktion und Reaktion des Bühnenpersonals fehlen, sieht sich rasch eines Besseren belehrt. Es genügen oft kleine Gesten, sei es zart zwischen Siegmund und Sieglinde („Im Bach erblickt‘ ich mein eigen Bild – / und jetzt gewahr‘ ich es wieder: / wie einst dem Teich es enttaucht, / bietest mein Bild mir nun du!“), sei es herb zwischen Hunding, ihrem Mann, und dem dann doch so unwillkommenen Gast, der die Hütte nicht mehr lebend verlassen wird („Wehwalt! Wehwalt! / Steh‘ mir zum Streit, sollen dich Hunde nicht halten!„).

Wagner mit Wagnis

Sarah Wegener gibt eine schwesterliche Sieglinde, übt sich nahe im Sprechgesang, entbrennt gemeinsam mit Maximilian Schmitt in mehr als nur geschwisterlicher, in vom Atem der Musik getragener Liebe. Patrick Zielkes Hunding ist durchtrieben, böse gründelnd im Vokalen, bitter blitzend im Blick. Dass es zu diesem tödlichen Ausgang des Zweikampfes kommt, liegt bekanntlich am ehelichen Disput zwischen Göttervater Wotan und dessen Xanthippe-Gattin Fricka: „Der Wälsung fällt meiner Ehre: / Empfah’ ich von Wotan den Eid?“ – „Nimm den Eid!

Derek Welton, ein überragender Wotan bereits im vorabendlichen »Rheingold«, mit dem das Projekt 2023 in Dresden gestartet und anschließend durch Deutschland sowie bis ins italienische Ravello getourt ist, überzeugt auch hier mit höchst kultiviert eingesetzter Vitalität. Ein durchdringendes Organ, das freilich nie ins Brutale gerät, wiewohl es fast den ganzen Abend über immens gefordert ist. Als adäquate Kontrahentin Fricka agiert Claude Eichenberger zwar streng, doch mit liedhaft schön entwickelter Stimmkraft. Bezaubernd wild, naturhaft geradezu, die Lieblingstochter Brünnhilde, der Vater Wotan so heftig in die Parade grätschen muss: „Vater, was soll dein Kind erfahren? / Trübe scheinst du und traurig!“ 

Christiane Libor gestaltet ihren Part mit Vehemenz, legt schelmischen Schmelz in die Stimme, trumpft trotzig auf und muss ihr feuriges Schicksal schließlich schlucken. Den wild wehenden Schwestern – die sich zum zentralen Auftritt des Walküren-Ritts auch aus dem Zuschauerraum auf die Bühne hinsingen – ist sie eine couragierte Anführerin. Vokal ist das gesamte Ensemble ebenbürtig, doch Wotans Wüten weiß sie im Zaum zu halten.

Wagners Wagnis ist auch mit dieser »Walküre« aufgegangen, ein schräges Götterspiel mit menschlichen Höhen und Tiefen zu verschränken. Das durchaus vorhandene Risiko, den »Ring« musikalisch in seine Ursprungszeiten zurückzustutzen, hat ebenfalls gut funktioniert, vielleicht sogar – auch wegen der nicht vorhandenen szenischen Ablenkung – konzentrierter denn je. Fortsetzung folgt!

Weitere Aufführungen
16. März Concertgebouw Amsterdam
24. März Philharmonie Köln
1. Mai Elbphilharmonie Hamburg
9. Mai Kulturpalast Dresden (Dresdner Musikfestspiele)
21. August Lucerne Festival