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»Capriccio« beim Häuten der Zwiebel

Nicht alle Opern von Richard Strauss sind in Dresden uraufgeführt worden. Aber immerhin neun von insgesamt fünfzehn. Sein Letztwerk in dieser Gattung kam 1942 im auch damals beschaulichen und scheinbar noch friedlichen München heraus. Ein Abschied vom Genre der Oper. Ein Abschied aber auch aus der längst verlorenen Zeit.

Hier also mal keine griechische Tragödie à la »Elektra«, auch kein ekstatischer Wehklang wie in »Salome«, die ja beide am Beginn des 20. Jahrhunderts so heftig wie mutig nach musikalischem Aufbruch klangen und kompositorische Wege eröffnet hatten, die Richard Strauss danach leider nie wieder betreten hat. Nein, »Capriccio« schwelgt in einer Abschiedsstimmung, die noch einmal ein klein wenig »Rosenkavalier«-Atmosphäre anklingen lässt, aber eigentlich schon deutlich von dieser Welt entrückt zu sein scheint.

Ringsum Bomben und Morden, wie schreibt man da ein solches Konversationsstück? Die Antwort auf diese Frage hat Strauss so formuliert: „Schreiben wir es eben für uns, zu unserem eigenen Vergnügen!“ Das Grundthema in dieser Oper, die auf ein längst vergessenes Drama Antonio Salieris zurückgeht und sich lediglich um das Problem von Henne und Ei dreht, ist gutbürgerlich freilich anstandsvoll so formuliert worden: Prima la musica e poi le parole. Klingt ja gleich wesentlich substanzieller, konnte aber doch nicht verhindern, dass jüngere »Capriccio«-Inszenierungen einer gewissen Banalität aufgesessen sind, die an diesem Weltenabschied von Strauss schlicht vorbeigegangen sind.

Regisseur Jens-Daniel Herzog hat glücklicherweise einen anderen, einen besseren Weg zu wählen vermocht. »Capriccio« als durchaus fragwürdiges Werk aus einer deutschdunklen Ära sieht er unbedingt als ein Stück unserer Zeit. Schließlich ist eine Pandemie ja auch eine bedrohliche Situation, deren Ausgang – übrigens nach wie vor – nicht absehbar ist.

Gemeinsam mit dem Dresdner Bühnenbildner Mathis Neidhardt ist eine schlüssige Abfolge gelungen, die das Geschehen scheinbar rückblickend verständlich machen soll. Wie beim Häuten der Zwiebel schälen sich historische Ebenen heraus, die zwar einander erklären, nicht aber das Weltfluchtdrama wirklich plausibel machen.

Zur Premiere dieser Neuproduktion durfte nur eine kleine Handvoll Medienleute höchst abstandsvoll ins Rund der Semperoper kommen. Wir erlebten eine Oper wie in alten Tagen. Eine glanzvoll aufspielende Staatskapelle unter Christian Thielemann, der zu dieser Stunde noch nichts von den freistaatlich ministeriellen Eingriffen in seine persönliche Karriereplanung geahnt haben dürfte. Dazu aber auch eine Starbesetzung, sicherlich teuer, die aus »Capriccio« das Beste herausgeholt haben dürfte, was musikalisch darinnensteckt. 

Camilla Nylund als Gräfin, Christoph Pohl als gräflicher Bruder, Christa Mayer als den „Blaublütlern“ ebenbürtige Aktrice Clairon sowie Georg Zeppenfeld als Theaterdirektor La Roche und nicht zuletzt Daniel Behle sowie Nikolay Borchev  als Musikus Flamand und dichtender Olivier sind einfach nur köstlich. Großartig!

Am Bildschirm ist der Eindruck verständlicherweise ein anderer als auf der Bühne. Die gewohnt große Szene aber wird irgendwann – hoffentlich bald – wohl auch wieder zu besichtigen sein. Bis dahin bietet die digitale Welt eine immerhin akzeptable Alternative.

»Capriccio«: Ab 22. Mai 2021, 15 Uhr auf Arte Concert sowie auf semperoper.de, europaweit kostenfreier Stream bis einschließlich 14. Juli 2021

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