Der reichste Mann von Wien hat sich mit dem Terminplan übernommen: für seine Festveranstaltung hat er nicht nur eine ernsthafte Oper komponieren lassen, sondern auch ein heiteres Sing- und Tanzspiel bestellt. Aber da um neun auch schon das Feuerwerk beginnen soll, reicht die Zeit für beides nicht. Also werden beide Stücke einfach fusioniert: sie sollen gleichzeitig gespielt werden. Verkündet wird den Mitwirkenden und Darstellern all das vom Haushofmeister – keinem Geringeren als Alexander Pereira. Und nein, dies ist kein spektakulärer Regieeinfall: der Intendant aus Mailand steht nicht zum ersten Mal in dieser Rolle auf der Bühne; er tut das, was er am besten kann: sich selbst darstellen.
»Ariadne auf Naxos« ist keine echte Oper und kein Schauspiel. Sie ist ein Singspiel mit Prolog. Ein Hybrid. Das Künstlerduo Strauss / Hoffmansthal hat sie als Dank für den überwältigenden Erfolg des »Rosenkavalier« ihrem Regisseur Max Reinhard gewidmet. Sie ist ein Konfliktherd der Kulturen: Nicht nur Sprech- und Musiktheater treffen hier aufeinander. Auf einer Bühne finden sich Personen der Theatergeschichte, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: da ist zum einen Ariadne, die einsamste aller Frauen der griechischen Mythologie, zum anderen Zerbinetta mit Truffaldin und Harlequin, als Vertreter der Commedia dell’arte. Diese Fusion von E- und U- Musik soll also gut gehen? Die Liebe löst, wie schon im Rosenkavalier den Generationenkonflikt, hier das Genreproblem.
Für dieses verhältnismäßig kurze Stück ist auf der Bühne ein unverhältnismäßig hoher Solistenaufwand notwendig. Bei der Besetzung gelingt der sächsischen Staatsoper ein Gastspiel der Giganten: Daniela Sindram und Daniela Fally, beide für Dresdner Strauss-Liebhaber keine Unbekannten tragen den Abend – Fally als jugendlich-promiske Zerbinetta, die ihre „großmächtige Prinzessin“-Paradearie mit der Leichtigkeit eines Schulmädchens auf einer Schaukel sitzend singt. Sindram gelingt es, ihrem sonst so knabenhaftem Mezzosopran die übermäßige Schwere des Weltschmerzes im Komponisten zu geben. Beide werden dafür mit Bravostürmen belohnt. Der Musiklehrer, etwas zu burschikos aber irgendwie passend, Albert Dohmen, macht seinem Ärger über den Mäzen in kurzen, prägnanten Bariton-Einlagen Luft. Wunderbar und stimmgewaltig das einsame, sich verkennende Paar Ariadne / Bacchus: Krassimira Stoyanova und Stephen Gould sind die Diven dieses Abends. Ihre Stimmen umarmen sich und gleiten doch aneinander vorbei, als seien sie tatsächlich das ungleiche Paar auf der öden Insel. Aber auch alle anderen, noch so kleinen Rollen sind stimmlich bis ins Detail genau abgestimmt besetzt.
Die Trias Thielemann-Staatskapelle-Ariadne ist ein Phänomen. Der Chefdirigent führt die fast kammerorchestrale Besetzung der Staatskapelle mit der richtigen Präzision und seinem so ausgeprägten Gefühl für Tempi und Pausen durch den Abend. Jeder einzelne Musiker in dieser mozarthaften Besetzung leistet Unglaubliches: Die aus dem Graben wallende Klangfülle, lässt manchmal eine Besetzung vermuten, die in ihrer Größe dem Elektra-Orchester in nichts nachsteht. Die vielen, zarten Solo-Stellen hingegen glaubt man kammermusikalisch, direkt in der Loge neben sich zu hören. Alles in allem scheint diese Kombination jede noch so kleine Emotion, von denen Strauss eine Vielzahl in der Partitur versteckt hat, in den Raum zu bringen.
Die Chance, eine Oper die Gegensätzliches verbindet, in einer gespaltenen Gesellschaft aktuell zu inszenieren, hätte die Regie aufgreifen oder wenigstens berühren müssen. Stattdessen biederte sich Regisseur David Hermann beim Publikum mit oberflächlicher Symbolik an; eine Personenführung dagegen: nicht vorhanden. Ariadne einen Faden in die Hand zu geben und dem Harlequin eine Bommelmütze aufzusetzen – das waren die größten Einfälle der Kostümbildnerin Michaela Barth. Dass die Bühne von Paul Zoller in einen traurigen und einen fröhlichen Teil geteilt ist, ist nicht originell, sondern einfallslos. Und dass Daniela Sindram zu ihren letzten Worten „Lass mich erfrieren“ in eine Kühlkammer gesteckt wird, ist einfach nur banal. Schlimmer noch: der Kunstnebel, der für den Fall, dass es jemand nicht begriffen hat, Frost symbolisierend aus der Kühlkammer strömt, führt zu Atemschwierigkeiten der Solistin bei den letzten Tönen. Ein solcher Fauxpas der Regie ist unprofessionell.
Eine wichtige Erkenntnis ereilt den Zuschauer in der wunderbar verwirrenden Szene, in der Ariadne und Bacchus sich verkennen. Da verschwindet das Bühnenbild auf der Hinterbühne und die unglaubliche Präsenz der beiden Solisten, stimmlich und körperlich, kommt im leeren, schwarzen Bühnenraum vollständig zur Geltung. Hier wird selbst dem, der die Kühlkammer nicht erkannt hat, klar: bei diesen Sängern hätte es der Inszenierung nicht bedurft. Sie ist, wie auch das einfallslose Drumherum von Bühnen und Kostümbild, ein Nebeneffekt in der Arbeit dieser musikalischen Giganten.