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Der Grandseigneur der Semperoper ist gegangen

Foto: Matthias Creutziger

Gerd Uecker ist durch und durch ein Mann der Musik gewesen, ein Mann des Musiktheaters, in dessen Dienst er sich gestellt hatte. Um seine eigene Person machte er nie viel Aufhebens. Jetzt ist er im Alter von 77 Jahren gestorben. Ein großer Verlust.

Nachrufe sind allzuoft von persönlichen Befindlichkeiten umrankt. Das steht ihnen nicht gut, weil offenbar wird, wie sehr sich die Verfasser ins Licht der Persönlichkeiten rücken wollen, um die es eigentlich geht. Persönliche Erinnerungen aber sollten erlaubt sein?

Zumal es meine erste Begegnung mit Gerd Uecker war, die mir unvergessen geblieben ist, an die auch jetzt gedacht werden muss, als die überraschende Nachricht vom Tod des 1946 in München geborenen Musikmenschen eintraf. Lange vor der Dresdner Intendanz Ueckers trafen wir uns in einer der Hauptstädte des Opernlebens, in Mailand. Ein internationales Kolloquium hatte uns dort zusammengeführt, anschließend gab es einen wunderbaren Empfang, bei dem er, der Bayer, ein großes Glas Bier in der Hand hielt, keineswegs italienischen Wein.

Ja, er war bodenständig (was keineswegs den Genuss eines guten Tropfens ausschloss!) und ist es im allerbesten Sinne geblieben. In jeglicher Hinsicht, denn bei Gerd Uecker kannte man kein Intendantengehabe, keine Allüren und schon gar keinen Snobismus. Der an der Hochschule für Musik und Theater in seiner Heimatstadt als Pianist, Musikpädagoge und Dirigent ausgebildete Uecker begann seine Bühnenlaufbahn 1969 als Solorepetitor an der Oper Köln, bevor er via Passau wieder nach München zurückkehrte und über viele Jahre hinweg die Bayrische Staatsoper maßgeblich mitprägte. Zuletzt verantwortete Gerd Uecker als Operndirektor das Geschick dieses Hauses, bevor er 2003 als Intendant der Semperoper nach Dresden berufen wurde.

Sieben Jahre lang hat er diesen in jener Zeit auch international wieder mehr und mehr beachteten Tanker durch die Tiefen und Untiefen des Theaterbetriebes gesteuert und konnte mit einer absolut gediegenen Repertoireentwicklung überzeugen. Es waren kaum wirkliche Aufreger dabei, wenngleich die Vorbereitungszeit dieser Intendanz mit dem überraschenden Tod von Giuseppe Sinopoli zusammenfiel und eine ganze Reihe von gemeinsamen Plänen zunichte machte. Ueckers Dresdner Amtszeit war verbunden mit einer deutlichen Bezugnahme auf Komponisten und Werke, die mit dieser Stadt in enger Verbindung standen. Allen voran selbstredend Richard Strauss (der in opulent-nichtssagenden Inszenierungen von Marco Arturo Marelli auf die Bühne kam), darüber hinaus aber auch Titel von Johann Adolf Hasse über Carl Maria von Weber bis hin zu Othmar Schoeck, Paul Hindemith und Hans Werner Henze.

Einschließlich der dem Experiment geweihten »kleinen szene« sollen in Ueckers Dresdner Amtszeit 35 Uraufführungen herausgekommen sein, wodurch das Stichwort von der Gediegenheit dann doch wieder sehr kritisch betrachtet werden sollte. Zumal Gerd Uecker größten Wert auf die Nachwuchsförderung gelegt hat – was die unvergessliche Begegnung mit aufstrebenden Gesangsstars wie Daniela Damrau sowie Juan Diego Flórez freilich nicht ausschloss.

Hier zeigte sich aber auch das pädagogisch weitsichtige Talent Gerd Ueckers, der nicht nur mit seinem Buch »Traumberuf Opernsänger« für Schlagzeilen sorgte – einem Ratgeber für künftige Stars, zugleich einer Warnung für Möchtegern-Stars sowie obendrein interessante Lektüre für eher passive Freunde der Oper -, sondern auch im praktischen Unterricht bis fast zuletzt auf junge Menschen einwirkte, die vom Opernleben begeistert waren. Musik betrachtete der Autor als sinnstiftenden Lebenszweck und riet sie seinem Publikum als »mentale Bereicherung« an, um »das große Glückspotential« darin zu erleben.

Gerd Uecker erwies sich – siehe die Episode von Mailand – aber auch immer wieder als Netzwerker. Er leitete von 2005 bis 2010 als Vorsitzender die Deutschsprachige Opernkonferenz, holte Aaron S. Watkin als Ballettdirektor nach Dresden und verband die Company nachhaltig mit der Palucca-Hochschule für Tanz.

Nun trauert die Sächsische Staatsoper um ihren einstigen Intendanten, der – wie unter Berufung auf seine Familie mitgeteilt wurde – am 17. Januar 2024 verstorben ist. Die Vorstellung von Richard Wagners »Tristan und Isolde« am 3. Februar soll dem Andenken an den Verstorbenen gewidmet sein. Außerdem wird vom 25. Januar an ein Kondolenzbuch im Rundfoyer der Semperoper ausliegen.

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