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Getanzte Operettenspitze

Ballett und Humor? Geht das? Auf jeden Fall, wenn sich ein Meister vom Range des Französischen Choreografen Roland Petit dem heiteren Genre widmet. Petit verkörperte das „Elixier des Balletts“, so der Ballettexperte Horst Koegler. In bester Pariser Tradition arbeitete er mit prominenten Künstlern unterschiedlicher Genres zusammen. Georges Simenon, Jean Anouilh,  Jaques Prevert oder Jean Cocteau schrieben Libretti für seine Kreationen. Pablo Picasso, Niki de Saint Phalle und Max Ernst entwarfen Bühnenbilder, die Kostüme schufen unter anderem Yves Saint Laurent oder Christian Dior. Petit, der immer wieder gerne die Grenzen der Genres durchbrach, arbeitete sogar mit Pink Floyd zusammen.

Also, warum nicht auch eine Operette? Nicht eine, sondern vielleicht die Operette, die gerne als Höhepunkt des Genres gilt und an vorderster Stelle in der Gunst des Publikums steht: »Die Fledermaus« von Johann Strauss. Selbst eine inzwischen in die Jahre gekommene, eigentlich von Beginn an nicht ganz taufrische Produktion wie die der Semperoper in der Inszenierung von Günter Krämer zieht noch. Als die Staatsoperette noch in Leuben spielte, waren die Vorstellungen eine sichere Bank: mal sehen, wann im Kraftwerk Mitte Champagner der Erste regieren wird.

Roland Petit jedenfalls kreierte ein prickelndes und sprühendes Werk: »La Chauve-souris« – ein Ballett nach »Die Fledermaus« von Johann Strauss. Diese Ballettversion des Operettenklassikers ist umwerfend gut gelungen; nicht zuletzt der herausragenden Tänzerinnen und Tänzer wegen. Der Mitschnitt einer Aufführung des Balletts der Mailänder Scala ist bei ARTHAUS MUSIK erschienen.

Hier wird getanzt! Gesungen wird nur einmal, ganz kurz, im Gefängnis. Das kleine Lied vom Täubchen, mit schöner leichter Stimme aus dem Off vom Tenor Giorgio Trucco, dieweil der Supertänzer Massimo Murro als Johann dazu die Lippen bewegt. Es gibt keinen Gefängniswärter Frosch. Zum Glück! Somit bleiben uns unerträgliche Witzeleien und dumme Sprüche erspart. Das Ganze spielt auch nicht in Wien, sondern in Paris, wo es eigentlich auch hingehört. Es gibt nur drei Hauptpersonen für diesen flotten Tanz auf dem Vulkan, der geschickt von Douglas Gamley arrangierten Musik aus der Operette »Die Fledermaus« von Johann Strauss.

Im vorliegenden Mitschnitt aus dem Interimsquartier der Mailänder Scala, dem Teatro degli Arcimboldi, aus dem Jahre 2003 steht Kevin Rhodes am Pult des Orchesters. Es klingt genauso flott, wie es die Choreografie verlangt. Weil eben kein Geringerer als der in so gut wie allen Ballett- und Tanzstilen erfahrene Roland Petit »Die Fledermaus« 1979 als Stoff für sich entdeckte und für das Ballet National de Marseille kreiert hatte. Die Uraufführung in Monte Carlo wurde ein rauschender Erfolg. Das lag natürlich auch daran, dass nach verletzungsbedingter Pause mit Zizi Jeanmaire ein Star der Tanzszene in der Hauptpartie auf die Bühne zurückgekehrt war. Jeanmaire war Petits Frau und Muse, und man liegt nicht falsch, wenn man glaubt, dass der anhaltende Erfolg etlicher weiterer Einstudierungen wie etwa der vorliegenden aus Mailand, jetzt mit der wunderbaren Alessandra Ferri in der Hauptrolle, auch ihr zu verdanken ist.

Roland Petit, der 2011 im Alter von 87 Jahren verstarb, gehörte zu den Erneuerern des Balletts. Dabei riss er gekonnt die Grenzen zwischen der Show und der klassischen Aura der Unnahbarkeit ein und verzichtete in seinen Ansprüchen ganz und gar nicht auf die Akkuratesse, freilich meistens im Kontext überschäumender Charmeoffensiven. Um seine Geschichte von der Fledermaus zu erzählen, braucht er als Handlungsträger nur noch drei Typen.

Aus der Familie Eisenstein werden Bella und Johann inmitten ihrer Kinderschar zu einer gut- und großbürgerlichen Familie. Man füttert sich durchs Leben, es geht so dahin, die Träume aber gehen weit hinaus über die Grenzen wohl geordneter Häuslichkeit. Im Ehebett herrscht stiller Friede. Da entschwebt Massimo Murro als Gatte, dessen erste flotte Tanzschritte schon verraten, dass da weit mehr als das brave Feuer des Ehestandes unterm hochgeschlossenen, schwarzen Anstandsdress glüht, als Fledermaus davon. Unschwer zu erraten: Bald gerät auch Alessandra Ferri als Gattin mit gut gewähltem Namen Bella in kaum bekleidete Fluglust und noch weniger schwer zu erraten, dass beide im Maxim regelrecht aufeinander fliegen – ohne ganz operettengemäß einander zu erkennen. Oder etwa doch – und sie treiben das Spiel nur ganz raffiniert auf die Spitze? Es gibt auch einen Spielmeister als geniale Tanzerfindung, so ein Hausfreund und Clown mit dem traurigen Blick eines Chaplin und dem sprungfidelen Tanz eines Gebrauchskavaliers, der in jede der gerade nötigen Rollen springend tanzt. Luigi Bonino lässt die Herzen des Publikums Sprünge machen. Ja, ja, es geht ganz gut aus. Nimmt man den nächtlichen Traumausflug als Vorspeise, weiß man ja, dass noch ein Hauptgericht samt Dessert folgt, wieder zu Hause, natürlich mit Walzerfinale, wie sonst?

Diese DVD mit dem Ballett der Mailänder Scala bietet einen tänzerischen Hochgenuss, grandiose Technik beim Corps de ballet, außergewöhnliche Momente bei den Solisten. Hier kann sich ein Meister wie Roland Petit ganz sicher fühlen. Ob die Raffinesse der neoklassisch geprägten Spitzentanzkunst oder der kreiselnde Charme der Walzerwellen gefragt ist, der große Auftritt, als gelte es, das revueverwöhnte Pariser Publikum zu gewinnen, oder die vielen tänzerischen Eskapaden gemischt mit dem ironisierten Repertoire der Pantomime. Das Zusehen ist purer Genuss. Natürlich liegt das an diesem solistischen Trio infernale: Allesandra Ferri als Bella, Massimo Murro als Johann und Luigi Bonino als Ulrich. Und auf keinen Fall zu vergessen: Mick Zeni als Solist in einer hinreißenden Csárdás-Variation. Mag dieser exzellente Tanzspaß auch schon etliche Jahre alt und die vorliegende Aufnahme vor 17 Jahren entstanden sein – angestaubt wirkt hier gar nichts.

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