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Zehn Uraufführungen von Schostakowitsch!

Foto: Matthias Creutziger

Ausgerechnet jetzt, da die Internationalen Schostakowitsch-Tage Gohrisch längst international etabliert sind und sich dank einer neuen Trägerschaft auch weitsichtig konsolidieren ließen, werden sie vom schwarzen Hauch der epidemisch um sich greifenden Absagen umwoben.

Optimistisch, wie sie von Anbeginn an sind, haben die Veranstalter unlängst das Programm der 11. Internationalen Schostakowitsch-Tage präsentiert. Wie schon im Jahr zuvor, beim Jubiläumsjahrgang des 10. Festivals, soll auch diesmal wieder vier Tage lang ein weltweites Publikum in die Sächsische Schweiz gelockt werden, nachdem am 1. Juli ein Sonderkonzert der Sächsischen Staatskapelle im Dresdner Kulturpalast dazu den Auftakt setzt. Das diesjährige Schostakowitsch-Fest mit dessen Cellokonzert und seiner 12. Sinfonie im Kontrast zu den „Polowetzer Tänzen“ von Alexander Borodin einzuleiten ist gewiss eine spannende Idee.

Petr Popelka (Foto: Matthias Creutziger)

In Gohrisch selbst wäre dieses Programm nicht realisierbar, da in der dortigen Konzertscheune vornehmlich Kammermusik mit namhaften Ensembles erklingen soll. Einmal mehr sind das Borodin Quartet sowie das Quatuor Danel angekündigt – im Eröffnungskonzert am 2. Juli sollen die beiden Spitzenensembles sogar gemeinsam aufspielen! Weitere Stammgäste kommen von der aus Mitgliedern der Sächsischen Staatskapelle bestehenden kapelle 21, die unter der Leitung von Petr Popelka musizieren werden. Angekündigt sind aber auch die Geschwister Baiba und Lauma Skride sowie erstmals die Pianistin Yulianna Avdeeva und ihr Tastenkollege Dmitry Masleev.

Dmitry Masleev (Foto: Alexandra Horoshvyan)

Inhaltlich stehen die Schostakowitsch-Tage jeweils in Bezug zu relevanten Komponisten, die für den Namensgeber bedeutsam gewesen sind. Wer sonst als Ludwig van Beethoven könnte diese Rolle aktuell übernehmen? Dmitri Schostakowitsch sah sein kompositorisches Schaffen stets in Kontrast und Korrespondenz zum großen sinfonischen und kammermusikalischen Vorbild aus Bonn. Obzwar die Musikwelt ganz selbstverständlich davon ausgeht, von beiden Komponisten längst keine Überraschungen mehr erwarten zu dürfen, werden sie doch weltweit gefeiert. In Gohrisch freilich mit Überraschungen, die aufhorchen lassen dürften: Zehn Uraufführungen von Dmitri Schostakowitsch sollen dort zu hören sein, ein ganz besonderer Glücksfall, da mehrere Jugendwerke, die öffentlich noch nie gehört worden sind, nun erstmals in Gohrisch erklingen sollen.

Sowohl der Witwe des Komponisten, Irina Antonowna Schostakowitsch, als auch dem von ihr gegründeten Schostakowitsch-Zentrum Paris sind diese Entdeckungen mit zu verdanken. Vor allem aber hat die unermüdliche Arbeit von Olga Digonskaya vom Moskauer Schostakowitsch-Archiv diese Schätze zutage gefördert. Sie konnte in den vergangenen Jahren etwa 300 bislang unbekannte Manuskripte von Schostakowitsch entdecken.

Schostakowitsch-Preis für Schostakowitsch-Uraufführungen

Da Olga Digonskaya bereits in den vergangenen Jahren mehrfach in Gohrisch zu Gast war und wiederholt Uraufführungen einzelner Kompositionen von Schostakowitsch hierher vergab, soll die russische Musikwissenschaftlerin nun den Internationalen Schostakowitsch-Preis Gohrisch 2020 erhalten. Damit wird – in der äußerst renommierten Reihe von Rudolf Barschai, Kurt Sanderling, Michail Jurowski bis hin zu Sofia Gubaidulina, Yuri Temirkanov und Andris Nelsons – in diesem Jahr erstmals keine Künstlerpersönlichkeit und auch kein Ensemble mit diesem Preis geehrt. Gewissermaßen als Sahnehäubchen steuert Frau Digonskaya sogar noch eine Art Uraufführung von Beethoven bei: Als eine Uraufführung von Schostakowitsch im Beethoven-Jahr ist eine Komposition angekündigt, die zwar von Beethoven verfasst, aber von Schostakowitsch für Streichorchester instrumentiert worden ist.

Der Mitgründer und Künstlerische Leiter der Schostakowitsch-Tage Tobias Niederschlag (Foto: Anders Lindstad)

Nukleus der Schostakowitsch-Tage ist bekanntlich dessen 1960 in Gohrisch entstandenes Achtes Streichquartett. Es erklang zuletzt im Jubiläumsjahrgang 2019, soll aber auch diesmal zum Programm gehören und einmal mehr vom Borodin Quartet aufgeführt werden. Nach dem überraschenden Jazz im vergangenen Jahr ist nunmehr erstmals auch Tanz vorgesehen. In einer Produktion des Finnen Valtteri Raskallio will dessen Tanzcompagnie eine Performance zum 8. Streichquartett kreieren, deren Entstehungsprozess drei Tage lang online mitverfolgt werden kann. Man kann nur hoffen, dass dieser so spannend klingende 11. Jahrgang wie geplant stattfinden wird.

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