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Bachs und Barschais Opus summum

Mit einem Gastspiel der Dresdner Kapellsolisten unter der Leitung von Helmut Branny findet am 28. April 2018 ein außergewöhnliches Konzert in der George-Bähr-Kirche in Lohmen (Sächsische Schweiz) statt. Hierbei kooperieren mit dem Festival »Sandstein und Musik« und den Internationalen Schostakowitsch Tagen Gohrisch erstmals die beiden führenden Veranstalter klassischer Musik in der Region. Auf dem Programm steht eines der großen Werke der Musikgeschichte: Johann Sebastian Bachs »Die Kunst der Fuge« in der Orchesterbearbeitung von Rudolf Barschai.

Bach schuf sein Opus ultimum in den 1740er Jahren, konnte es aber nicht vollenden. Die Arbeit an der geplanten Schlussfuge musste er aufgrund seiner fortschreitenden Blindheit abbrechen. Seit jeher ranken sich daher Legenden um das Werk, mit dem Bach die Kunst der Fugenkomposition, die er wie kein anderer beherrschte, sukzessive ausschritt und auf einen letzten Gipfel führte. Der Leipziger Thomaskantor legte »Die Kunst der Fuge« als einen Zyklus von 14 Fugen und vier Kanons an, die ein riesiges Ausdrucksspektrum abdecken – und dennoch viele Fragen aufwerfen: So machte Bach zum Beispiel keine konkrete Vorgabe zur Besetzung des Werkes, das deshalb häufig als kontrapunktisches Lehrwerk interpretiert wurde. Im Laufe der Jahrhunderte wurde »Die Kunst der Fuge« in verschiedensten Besetzungen aufgeführt und immer wieder bearbeitet – wobei jeder Bearbeiter vor der großen Herausforderung steht, die komplexe Schlussfuge, deren Thema mit dem musikalischen Signum des Komponisten b-a-c-h beginnt, zu vollenden.

Rudolf Barschai (c) Internationale Schostakowitsch Tage Gohrisch

Rudolf Barschai stellte sich schon früh dieser Aufgabe: Bereits Anfang der 1960er Jahre wurde er von der Pianistin Maria Judina zu einer solchen Bearbeitung angeregt, die er darauf in engem Austausch mit seinem Kompositionslehrer Dmitri Schostakowitsch umsetzte. Eine erste Fassung brachte er 1965 mit seinem Moskauer Kammerorchester zur Uraufführung – und Schostakowitsch reagierte begeistert: „Bis heute war man der Meinung, man darf unvollendete Werke großer Meister nicht fertig stellen. Jetzt haben Sie klar gemacht, dass das doch möglich ist.“ Doch Barschai gab sich mit dieser Erstfassung nicht zufrieden. In den nächsten Jahrzehnten arbeitete er immer weiter an einer „endgültigen“ Orchesterfassung des Werkes. Nach mehreren Zwischenstadien konnte er diese Fassung noch kurz vor seinem Tod im November 2010 abschließen. Ein Leben lang also hat er sich mit der »Kunst der Fuge« beschäftigt, und die letztgültige Fassung, die in Lohmen zur deutschen Erstaufführung gelangen wird, ist damit auch sein Opus summum.

Barschai kann als ein musikalisches Multitalent bezeichnet werden: Als Bratscher war er Gründungsmitglied des Borodin-Quartetts und musizierte mit den größten Musikern seiner Zeit. 1956 gründete er das Moskauer Kammerorchester, mit dem er erstmals barocke und frühklassische Musik in der Sowjetunion aufführte und außerdem viele zeitgenössische Werke zur Uraufführung brachte. In die jüngere Musikgeschichte ist Barschai aber vor allem als Bearbeiter eingegangen: Neben der »Kunst der Fuge« vervollständigte er auch die unvollendete zehnte Symphonie von Gustav Mahler; und er bearbeitete das achte Streichquartett von Dmitri Schostakowitsch, das dieser 1960 in Gohrisch geschrieben hatte, für Streichorchester – und erlangte damit Weltgeltung. Schostakowitsch war von dieser Fassung so angetan, dass er sie als »Kammersymphonie op. 110a« in sein eigenes Werkverzeichnis aufnahm!

So war es naheliegend, dass Rudolf Barschai 2010 zu den erstmals ausgerichteten Internationalen Schostakowitsch Tagen nach Gohrisch eingeladen wurde, die das Andenken an die beiden Aufenthalte Schostakowitschs in dem Kurort seither lebendig halten. Barschai sollte damals am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden die Kammersymphonie op. 110a persönlich leiten. Daraus wurde leider nichts: Der Dirigent musste seine Mitwirkung kurzfristig aus gesundheitlichen Gründen absagen, was er sehr bedauerte; wenige Wochen später starb er in seiner Wahlheimat Basel. 2011 wurde er postum mit dem 1. Internationalen Schostakowitsch Preis Gohrisch ausgezeichnet, den seine Ehefrau Elena stellvertretend beim Gohrischer Festival in Empfang nahm.

Die deutsche Erstaufführung von Bach-Barschais »Die Kunst der Fuge«, gespielt von den Dresdner Kapellsolisten unter Helmut Branny, steht also unter beziehungsreichen Vorzeichen. Es ist ein Ereignis, das weit über die Grenzen der Sächsischen Schweiz ausstrahlen dürfte.

Sonnabend, 28. April 2018, 17 Uhr
Lohmen, Evangelische Kirche

Johann Sebastian Bach (1685-1750)
»Die Kunst der Fuge« BWV 1080,
Letztfassung der Bearbeitung für Kammerorchester von Rudolf Barschai (2010)

Deutsche Erstaufführung

Jobst Schneiderat, Cembalo
Dresdner Kapellsolisten
Helmut Branny, Leitung

Veranstaltung des Festivals Sandstein und Musik in Kooperation mit den Internationalen Schostakowitsch Tagen Gohrisch

Karten: 15 bis 22 Euro, über die Geschäftsstelle des Vereins Sandstein und Musik e. V. (Tel. (03501) 44 65 72, Fax (03501) 44 64 72, info@sandstein-musik.de), über den Buchungsservice Sächsische Schweiz (Tel. (03501) 47 01 47) sowie an der Abendkasse

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