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Bangt dir?

Etwas verwunderlich ist das schon: da hat die Staatskapelle Dresden als „Capell-Compositeur“ mit Aribert Reimann in diesem Jahr erneut einen der wichtigsten, auch interessantesten und immer noch sehr produktiven Komponisten der Zeit eingeladen, der überdies am Haus selbst (erinnert sei an Willy Deckers „Lear“ und die „Melusine“) mehrfach gespielt wurde, doch das Publikum machte sich am Sonntagvormittag zur ersten Begegnung mit dem Capell-Compositeur rar. Dabei stand im 4. Sinfoniekonzert der Staatskapelle Dresden auch noch Bartóks meisterlicher Operneinakter „Herzog Blaubarts Burg“ in konzertanter Fassung auf dem Programm, der nun wahrlich selten genug zu hören ist und mit Elena Zhidkova und Matthias Goerne nahezu golden besetzt war. Erliegen die Besucher bei der Staatskapelle wieder einmal den großen Namen, dem konservativ-Bekannten und der bequemen Wiederholung? Es sollte kein Trend daraus werden, denn damit nimmt man sich die Neugier und Herausforderung, die ja bereichernd wirken kann.

So zum Beispiel bei Aribert Reimanns „Neun Stücken“, die vor der Pause erklangen. Selbst ohne Konzerteinführung oder Programmtext wirkten die Stücke wie neun autarke, dennoch im Gestischen auch verbundene Klanginseln, bei denen nach und nach immer faszinierender zu verfolgen war, wie sich Klänge verwandelten und so, von einer Instrumentengruppe zur nächsten weitergereicht, immer neue Farben beigemischt bekamen. Über markante und auch hörbare Intervall-Motivik fuhren sich einige der Stücke regelrecht fest, andere suchten förmlich nach einer Lösung, einem Ausgang oder einer Beruhigung. In einer ersten Fassung entstand zu den Celan-Gedichten bereits der Liederzyklus „eingedunkelt“, die neun Stücke waren für Reimann eine instrumentale Ausdrucksform, die folgen musste – es gab noch mehr zu sagen.

Aribert Reimann

An Ausdruck sparte die Staatskapelle Dresden bei der Interpretation auch nicht, zumal es viele Möglichkeiten gab, die Instrumentenkombinationen, in denen Reimann auch die Räume austarierte, entweder präzise oder mit dem notwendigen Teil eines emotionalen Zugangs auszuformen. Gastdirigent David Robertson hatte das gut angelegt und so wurde der Zyklus mit jedem Stück auch ein Stück intensiver, gar vertrauter.

Dann ging es richtigerweise in die Pause, denn ein verzagtes Instrumentalkonzert wäre auch genau der Baustein zuviel im Programm gewesen. Stattdessen gab es gar eine Verbindung zwischen dem Operneinakter und Reimanns Stücken, denn unversehens wird man durch die Anzahl der Einzelstücke auf die Thematik von Ereignis und Entwicklung geworfen. Was wir auch im Erlebnis des Augenblicks wahrnehmen, hat ja im Zeitstrang der Musik immer eine Position und ist vom Komponisten sorgsam platziert. Damit weiß auch Béla Bartók zu spielen, wenn er seine Judith die sieben Türen der Burg öffnen läßt. Nur mit Widerwillen reicht ihm Blaubart die Schlüssel und offenbart ihr nach und nach das ganze Grausen von Macht und Männlichkeit. Dass dies in hinter dem Text kaum zu übersehenden, die Realität überdeckenden Emotionen und einem nicht ausgesprochenen und gottseidank auch nur im Ansatz auskomponierten grausigen Ende geschieht, macht uns um so mehr Schaudern beim Zuhören.

Elena Zhidkova, David Robertson, Matthias Goerne (Fotos: Matthias Creutziger)

Für diese Oper braucht es zwei hervorragende Solisten, die weit mehr über das bloße Singen heraus die psychologischen Schichten der Figuren freilegen oder noch besser: schattieren und umspielen können, ohne ins Theatralische zu fallen. Genau das gelang dem Duo Elena Zhidkova – im Sommer war sie noch im Citroën als Venus in Bayreuth unterwegs – und Matthias Goerne hervorragend, denn dort, wo die Stimmen im Schwelgen über das hinter den Türen entdeckte Gold schwärmen, fährt schon der Tod mit: „Bangt dir?“ fragt Blaubart unentwegt, während Judith ungehindert die blutbesudelten Mauern untersucht. Elena Zhidkova fand genau den Raum zwischen Identifikation und Distanz in ihrer Figur, den es braucht, um den Zuhörer auch bis zur siebten Tür mitzunehmen, während Matthias Goerne Größe und Macht sängerisch ausspielte, aber niemals in die Übertreibung zwang.

David Robertson hatte zu Beginn des Stücks den gesprochenen Prolog auswendig (und in Ungarisch!) übernommen,, die Sächsische Staatskapelle zeigte sich dann unter seinen wiederum die Klangfarben, aber auch den organischen Fluß fördernden gestaltenden Händen in sehr guter Form und mit dieser schillernd-impressionistischen Partitur absolut vertraut. Einem neuen Gesicht am Konzertmeisterpult der 1. Violinen werden die Zuhörer nun öfter begegnen: der US-Amerikaner Nathan Giem begann am 1.10. seine neue Stelle als Konzertmeister der Staatskapelle Dresden.

Das Konzert wird heute und morgen, jeweils um 20 Uhr, in der Semperoper Dresden wiederholt, es gibt noch Restkarten.

In einem Konzert von kapelle21 wird am 19. November um 19 Uhr der Capell-Compositeur Aribert Reimann im Festspielhaus Hellerau porträtiert, gemeinsam mit Werken von Mendelssohn, Schumann und Schubert.

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