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Wohin gehst du, 2025?

Montage und Fotos: M.M.

Ein von Musik erfülltes langes Wochenende liegt hinter uns: Heinrich-Schütz-Konservatorium, Kreuzchor und Staatskapelle läuteten das neue Dresdner Musikjahr ein.

Dreimal holte ich am Wochenende das Fahrrad aus dem verschneiten Schuppen, dreimal fuhr ich über verschiedene Elbbrücken, dreimal hörte ich Musik an ganz verschiedenen Orten, dreimal war ich berührt, ja angefasst von dem, was ich sah und hörte. Und nun frage ich mich: wo führt uns Dresdner das Musikjahr 2025 hin? Statt dreier klassischer Rezensionen (die ja eh niemand mehr liest) möchte ich mit dir, lieber treuer Leser, einen Ausblick wagen. Und etwas Optimismus verbreiten.

Kapitel eins: Neujahrskonzert des HSKD

An den Wänden der ehemaligen Kraftwerks-Schaltzentrale sind nach wie vor Geräte zu bewundern… Akustisch ist der Raum kürzlich durch schwarze Faltvorhänge tauglich gemacht worden. Foto: M.M.

Ganz kurzfristig bekam ich noch eine Einladung zum Neujahrskonzert des Heinrich-Schütz-Konservatoriums. Nun hat das Konservatorium seinem Neujahrspublikum einen ganz neuen, aufregenden und ungewöhnlichen Konzertort vorgestellt: die denkmalgeschützte ehemalige Schaltzentrale des Kraftwerks Mitte. Dort spulte sich, von Reden der Konservatoriumschefin Kati Hellmuth, der Philharmonie-Intendantin Frauke Roth und der sächsischen Kunstministerin Barbara Klepsch untersetzt, ein „who-is-who“ der vielfältigen und ohrenscheinlich äußerst lebendigen Ensembleszene des Hauses ab. Ein Gesangsquartett à la Comedian Harmonists (Simon Commer, Felix Heller, Ludwig Commer, Oskar Goldammer, Leitung: Olaf Heller) setzte mit „Ein neuer Frühling wird in die Heimat kommen“ (1933, Text: Will Meisel) den optimistischen Grundton. Textausschnitt gefällig? „Du und ich, wir alle brauchen wieder neuen Mut / Dann wird’s gut / Uns’re Heimat muß und bleibt bestehn / Und wird wieder schön“ // Auch die grauen Wintertage gehen mal vorbei / Dann ist Mai / Und das große Wunder / Das die Sonne wieder schafft / Gibt uns Kraft / Unter die Vergangenheit ein Strich / Jeder hofft wie ich.“ Auch das Gitarrenquartett (Sonia Beug, Franziska Heineck, Lena Holfeld, Elise Selisko, Leitung: Simon Riedlecker) bewies mit dem vierzig Jahre alten Popsong »Billy Jean« des ikarusgleich gestürzten King of Propofol„People always told me, Be careful of what you do / Don’t go around breakin‘ young girls‘ hearts // She’s just a girl who claims that I am the one (you know what you did to me, baby)“ – wenig pädagogische Sensibilität. Anständig gepopt hats trotzdem.

Foto: Andreas Schwarze

Frauke Roth dämpfte indes jegliche gute Laune mit einem bemerkenswerten und nachdenklichen Grußwort. Sie sagte voraus: mit der Kultur geht es in Dresden dieses Jahr steil abwärts. Allein im Konservatorium, rechnete sie den anwesenden Mitgliedern des städtischen Kulturausschusses schonungslos vor, fallen ab dem Sommer wöchentlich sechshundert (!) Musikstunden weg, sollte nicht noch ein Wunder gescheh’n. Was sollte man dazu noch sagen – oder singen? Die Sängerin Saskia „Jasmin“ Seiffarth riss die Anwesenden aus der Grübelei und gab, begleitet von dem Leiter des bemerkenswerten »Alpha Projects«, Marco Pfennig, einen Einblick in die inklusiven Musizierangebote der Musikschule. Ihr selbstgedichtetes Lied „Das Wiedersehen“, vorgetragen mit weicher und dennoch intonationsreiner Stimme, war ein Erlebnis, das selbst den hartgesottensten Stadtpolitiker nicht kaltgelassen haben dürfte. Tatsächlich sprach anschließend die sichtlich und hörbar bewegte Kunstministerin Barbara Klepsch in einer spontanen Rede davon, es könne wohl „keine wertvollere Schirmherrschaft geben“, und übernahm per Urkunde selbige für das Projekt »UnGehindert musizieren«. In seltener polit-astronomischer Konjunktion trat ihr dafür die Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch zur Seite. Was für eine ungewöhnliche kulturpolitische Allianz! Leise gerührt verließ ich den Empfang. Die Frage bleibt: ist dem Stadtrat das HSKD wichtig genug, um die Finanzierung des Hauses noch einmal deutlich aufzustocken und die befristeten Verträge der aus der Selbständigkeit in die Festanstellung übernommenen Kolleginnen und Kollegen zu verlängern, gar zu entfristen – oder stiehlt man sich schulterzuckend und mit Verweis auf die zusammengestürzte Brücke und fehlende Steuereinnahmen aus der Verantwortung?

(c) Martin Morgenstern

Kapitel zwei: Weihnachtsoratorium IV-VI

Dass Dresdens Kulturliebhaber nach der Corona-Krise und einer anschließenden Durststrecke nun am Anfang des neuen Jahres wieder in die traditionellen Konzertreihen strömen, war etwa in der Aufführung des Bachschen Weihnachtsoratoriums (Zweiter Teil) in der bis in die Orgelempore knackvoll besetzten Kreuzkirche zu beobachten. Herrlich ausgewogen im Chorklang (allenfalls hätten die Soprane etwas prononcierter agieren können) flogen diese drei Kantaten des sechsteiligen Oratoriums vorbei. Kreuzkantor Martin Lehmann leitete, ermutigte hier, dämpfte da, war in ständigem, engen Kontakt mit seinen Sängern; es war eine große Freude, diesen runderneuerten Kreuzchorklang zu erleben. Ein kleines Wermutströpfchen: das wunderbare, klare und reine Echo (Simeon Anwand) war schlicht keines, denn die „Nein“- und „Ja-ja“-Vorlagen der Sopranistin Rinnat Moriah vibrierten und wogten opernhaft-leidenschaftlich, wo ein zurückhaltendes, feines Nachdenken über unser aller Leben Endlichkeit („Sollt ich nun das Sterben scheuen? Nein, dein süßes Wort ist da!“) überzeugender gewesen wäre.

Der Höhepunkt dieser Aufführung, der mir lange im Gedächtnis und im Herzen bleiben wird: der stille Choral „Ich steh‘ an deiner Krippen hier“ in der sechsten Kantate. Hier standen wir tausenden Zuhörer mit dem a-capella-Chor in dem kleinen Stall. Sahen diesen neugeborenen Sohn. Und waren einfach angerührt. Ein Ewigkeitsmoment.

Foto: Jörg Simanowski

Kapitel drei: Popelka dirigiert die Kollegen

Im fünften Sinfoniekonzert der Saison, so kündigte es Petr Popelka in zwei Interviews an, würden Werke erklingen, die „die Kapelle nicht oft spielt, die ihr aber trotzdem liegen.“ Der Ex-Kontrabassist der Staatskapelle Dresden der in den letzten Jahren eine steile Karriere als Dirigent absolvierte und inzwischen als Chefdirigent der Wiener Symphoniker amtiert, muss es wissen! Zehn Jahre lang hat er in Dresden unter den besten Dirigenten der Welt auf und vor der Bühne der Semperoper mitgespielt und kennt die Stärken und Schwächen „seiner“ Kapelle wie seine Westentasche. Seine Rückkehr nach Dresden – diesmal eben ans Dirigentenpult – gelang triumphal. Popelkas Dirigierstil wird im Programmheft als „inklusiv“ bezeichnet – was immer das hier heißen soll. Vielleicht, dass er sich nicht über seine ehemaligen Kollegen erhebt, sondern ein kollektives, intuitiv-vertrautes Musizieren zelebriert? Es war – zum dritten Mal an diesem Wochenende – beglückend, eine solch außergewöhnliche Aufführung miterleben zu dürfen.

Petr Popelka dirigiert hochpräzise (und mit Stab), bis in die Fingerspitzen kontrolliert, er schwingt, er beugt sich in die Stimmgruppen hinein, dehnt den ganzen Körper, gibt jeden Einsatz, nickt den Solisten zu, vergewissert sich hin und wieder tastend der Haltestange hinter sich, bevor er weiterwirbelt… All das ist nicht aufgesetzt, sondern entsteht aus dem musikalischen Moment und dient der Komposition, die durch seine Zeichen herrlich transparent und gleichzeitig frei und beseelt abschnurrt. Die Musiker (und auch der mit dem Klangkörper ebenfalls sehr gut vertraute Gastsolist Antoine Tamestit, der das komplexe Bratschenkonzert von Alfred Schnittke geradezu explodieren ließ, so dass man mehr als einmal um Bogen und Instrument fürchtete) genossen dieses selbstlose Musizieren, stellten sich ihrerseits leidenschaftlich und sichtlich gutgelaunt in den Dienst der Sache. Es war nachgerade logisch, dass Popelka, mit derselben goldenen Matinee-Krawatte gekleidet wie die Ex-Kollegen, den rauschenden und herzlichen Applaus nicht mit dem kühnen Sprung aufs Podium feierte, den wir in den letzten Jahren oft vom Ex-Chef sehen durften, sondern sich ganz bescheiden in den Kreis der Musiker stellte.

Was für ein optimistisch gefärbter Abschluss eines langen Wochenendes war das, der die düsteren Gedanken aus dem Kraftwerk zumindest für den Moment wettmachte. Warum sollten wir nicht versuchen, einen solchen Dirigenten, der uns auf die geschilderte Weise interessante, teils lange vernachlässigte Werke präsentiert, der mitzureißen vermag und dennoch kein Showman ist, sondern ernsthaft und grundgescheit das Repertoire befragt, wieder dauerhaft an Dresden zu binden? Der 1986 geborene Prager wäre ein glaubhafter Advokat der von der oben erwähnten Ministerin propagierten „Strategie 2030“ der Staatsoper, die Christian Thielemann das Amt kostete. Petr Popelka könnte wohl wie kein anderer einen aufrichtigen und tiefgreifenden künstlerischen Erneuerungsprozess der Staatskapelle einleiten und dauerhaft begleiten.

Wohin also gehst du, 2025? Worauf machst du uns Lust, und vermagst du es, dich den avisierten Kürzungsorgien des Oberbürgermeisters und seiner „Liste der Grausamkeiten“ zu widersetzen? Frauke Roth ist zuzustimmen: wer an der kulturellen Ausbildung der Kinder spart, wer Angebote in der Kultur und im Sozialen kürzt, der handelt kurzsichtig und dumm. Stattdessen gefragt sind Weitsicht beim Haushalten mit den Steuereinnahmen, damit Dresden im Wettbewerb mit anderen lebenswerten Großstädten mithalten kann. Statt Schulen verrotten zu lassen und vielleicht am Ende noch die Staatsoperette zu schließen, müsste der Stadtrat diskutieren, wie die Landeshauptstadt langfristig Einwohner und weitere große Investoren anlocken könnte. „Du und ich, wir alle brauchen wieder neuen Mut“ – ja, gern wieder etwas mehr davon. Aber auch die richtigen Prioritäten.

Für die dritte Aufführung des SSKD-Konzertes heute Abend gibt es in den Platzgruppen 1 bis 4 (30-73 EUR) noch Restkarten.

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