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Gold und Myrrhe ja, Weihrauch nein

Foto: M.M.

Einen Monat ist es her, dass die Kreuzchor-Weihnachtstournee wegen zu vieler vergrippter Kruzianer abgebrochen werden musste. Die drei Aufführungen der ersten drei Kantaten des »Weihnachtsoratoriums« konnten dann mithilfe einiger Ersatz-Sänger glücklich absolviert werden, aber die außergewöhnlichen Belastungen (und die sicherlich nur kurzen gemeinsamen Probezeiten) waren dem Chor damals anzuhören.

Wer hätte gedacht, dass von all diesen Kümmernissen bei der Aufführung des zweiten Teils des Oratoriums am Samstag schon nichts mehr zu spüren war? Die langen Monate der durch Corona verkürzten Proben und verhinderten Konzerte; der jüngste Kantorenwechsel mit einer zu erwartenden Zeit der Um- und Neuaufstellung des Chors, all diese Herausforderungen waren einen Nachmittag lang völlig vergessen. Der Chor besang ernsthaft, feierlich und sichtlich mit Freude einen viel größeren neuen Anfang: ein seliges Wunder, ein göttliches Werk – das Jesuskind in der Krippe! Staunen, Freude, Glück schwangen in diesem Musizieren mit und gipfelten im andachtsvoll-abendgolden durch die Kreuzkirche klingenden Choral „Ich steh an deiner Krippen hier“. Dreitausend Zuhörer hielten da den Atem an.

Eine organische Klangrede, die sich nicht nur in den Chorälen aus dem gesprochenen Wort ergibt; der Schwerpunkt nicht auf Stimmkraft und strahlend ausgehaltenem Ton, sondern auf ausgefeilter Artikulation und einer subtilen Abstimmung der Register untereinander bei stets makelloser Intonation, das ist der neue Kreuzchorklang. Martin Lehmann erreicht ihn durch ein sehr detailverliebtes Dirigat mit vielen, exakt gegebenen Einsätzen und Anweisungen, von der heruntersausenden Handkante und der Kung-Fu-Adlerklaue bis zum kraftvollen Faustschlag. Die Musiker der Dresdner Philharmonie haben sich inzwischen mit diesem Musizierstil arrangiert, zu einem lichten, wandlungsfähigen und quicken Klang gefunden und ertragen auch klaglos manche harsch abdämpfende Geste des Kantors. Merke: bei der Begleitung von Rezitativen darf die Theorbe (Stefan Maass) frei präludieren, Celli und Bässe indes nie mehr als eine ahnungsvolle Farbe beisteuern! Zwischendurch nimmt sich der Kantor aber auch zurück, lässt Chor und Orchester in weichen Wellenbewegungen ausschwingen und -singen und gibt den Solisten Raum für die Entfaltung.

Es war beglückend zu sehen und zu hören, wie so beispielsweise die Echo-Arie aus vielen verschiedenen Elementen zusammengebaut wurde und sich zu einem akustischen Raumklang-Dreieck fügte, mit der Sopranistin Marie Sophie Pollak und dem Ensemble am Altar, einem überaus klangschön und selbstbewusst geführten Echo (Joel Necker) und dem Oboen-Echo auf den hinteren Emporen. Überhaupt wurde in Martin Lehmanns klangbejahendem und durchweg sichtlich freudenvollem Zugriff, der komplett ohne Weihrauch auskommt, zum ersten Mal seit langen Jahren wieder deutlich, mit welch überraschenden Spezialeffekten und klugen Pointen Bach in diesen drei Kantaten eigentlich aufwartet. Der Bassbariton Andreas Wolf (ein Quasthoff-Schüler) machte die wunderbar deutlich, auch die Altistin Elvira Bill und der Evangelist Georg Poplutz beglückten mit warmweichem, immer um Natürlichkeit bemühten Gesang, wobei die Tenor-Arien in der riesigen Kirche schlicht ein bisschen mehr Entschiedenheit und Nachdrücklichkeit vertragen hätten.

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