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„Das Aus hat uns die Sprache verschlagen“

Foto: Stephan Floss

Das Bündnis internationaler Produktionshäuser, zu dem auch HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste gehört, wird im Jahr 2026 nicht mehr weiter gefördert. Damit endet ein erfolgreiches Modell der Bund-Land-Kommunen-Kooperation. Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Wolfram Weimer, konnte kürzlich einen Aufwuchs des Bundeskulturetats von 10% gegenüber dem Vorjahr vermelden. Das Bündnis internationaler Produktionshäuser ist im Bundeshaushalt aber nach zehn Jahren erstmals nicht mehr berücksichtigt. Über die Auswirkungen dieser überraschenden Kürzung hat Björn Kühnicke mit der Hellerauer Intendantin Carena Schlewitt gesprochen.

Carena Schlewitt, wie und wann haben Sie vom Förder-Aus für das Bündnis internationaler Produktionshäuser erfahren? 

Ich gehe zunächst mit meiner Antwort nochmal ein Stück zurück: Wir standen bei der Ampelregierung mit dem Bündnis sogar im Koalitionsvertrag. Und trotzdem sind uns die Gelder 2024 unter Claudia Roth schon mal gestrichen worden. Daraufhin gab es große Proteste, besonders aus der freien Szene, und wir haben viele Gespräche geführt und so zumindest eine Übergangsfinanzierung aus dem Haushalt der Bundeskulturministerin erreicht. Und wir waren durchaus optimistisch, dass es eine längerfristige Lösung geben könnte. Dann ist die Ampel geplatzt und wir mussten als Bündnis neue Akteure in Berlin von der Notwendigkeit unserer Arbeit überzeugen.

In der neuen Koalitionsvereinbarung der jetzigen Regierung steht, dass die Große Koalition für die freie Szene eine Systematisierung anstrebt. Und wir haben uns alle gefragt, was das für die Zukunft bedeutet. Bisher gab es auch viele Einzelprojekte, die vom Bund gefördert wurden. Wir haben uns daraufhin als Bündnis mit dem Fonds Darstellende Künste zusammengetan. Das macht durchaus Sinn, da der Fonds künstlerische Projekte der freien Szene in der ganzen Bandbreite fördert und wir die Orte für diese künstlerischen Arbeiten sind.

Bei der Haushaltsaufstellung stand das Bündnis nicht drin. Wir haben daraufhin gemeinsam mit dem Fonds Darstellende Künste versucht, den vielen neuen politischen Akteur*innen im Bundestag unsere Kooperationsarbeit nochmals zu erklären, und während der Bereinigungssitzung der Haushälter gehofft und gebangt, ob das Bündnis nun drin ist oder nicht. Wir haben dann erfahren, dass das Bündnis keine Position im Haushalt hat. Wir hatten am nächsten Tag unser reguläres Intendanz-Meeting und die erste Reaktion war einfach Schweigen. Wir haben alle gedacht, das bedeutet nach zehn Jahren Förderung das Aus. Da bricht eine Säule unserer Arbeit einfach weg. Das war schon hart, weil wir am Ende alle daran geglaubt haben, dass ein internationales Kooperationsmodell bundesweit und darüber hinaus eine hohe Relevanz hat. Das Aus hat uns die Sprache verschlagen.

Kassensturz? Was ist jetzt alles nicht mehr finanziert?

Das ist ja nicht einfach nur eine Kasse gewesen. An die Gelder war auch immer ein Auftrag gebunden. Vor allem wird es einen starken Rückgang der internationalen Bühnenprojekte in all unseren Häusern geben. Ganz konkret haben verschiedene Häuser aus dem Bündnis projektbezogen gemeinsam produziert. HELLERAU hat zum Beispiel zusammen mit dem Berliner HAU und dem FFT Düsseldorf im letzten Jahr Nicoleta Esinencus „Playing on Nerves. A Punk Dream“ koproduziert – ein Stück aus Moldau, das Stimmen aus Osteuropa hörbar gemacht hat. Oder auch „Shout Aloud“ von der israelischen Choreographin Yasmeen Godder, für das wir mit dem Mousonturm Frankfurt kooperiert haben. Die Kooperation im Bündnis hat uns ermöglicht, mit internationalen Künstler*innen nachhaltig zusammenzuarbeiten und künstlerische Positionen zu zeigen, die man sonst vielleicht nur in London oder Paris hätte sehen können. Wir konnten zum Beispiel kontinuierlich unsere Kooperationen mit osteuropäischen Partnern durchführen. Und für uns in HELLERAU hieß das auch, dass wir mit den Bündnismitteln das internationale Residenzprogramm vor Ort sehr gut weiterentwickeln konnten und so den Austausch mit der regionalen Szene fördern konnten.

Und gab es darüber hinaus weitere Projekte, die aus dem Bündnis hervorgegangen sind? 

Einmal im Jahr haben wir als Bündnis ein eigenes Festival mit dem Titel Claiming Common Spaces veranstaltet, jeweils in einer anderen Stadt. Und wir haben mit den Bundesgeldern auch Weiterbildungsformate für die freie Szene organisiert. Es gab eine Producers-Akademie für Produktionsleiter*innen. Es gab eine Journalismus-Akademie, die wir gegründet haben – aus dem Impuls heraus, dass die Berichterstattung über zeitgenössische Kunst und Kultur zurückgeht. Wir wollten einen Raum schaffen, in dem sich Schreibende darüber verständigen können, wie ein Diskurs über experimentelle und zeitgenössische Formen mit all ihren internationalen Einflüssen aussehen kann. Und diese Akademien waren äußerst erfolgreich. Kürzlich hatten wir die Akademie „Kunst und Begegnung“. Über ein Jahr lang haben wir gemeinsam für den Bereich Vermittlung und kulturelle Bildung darüber nachgedacht, welche Themen und Tools hier wichtig sind. Wir haben neue partizipative Projekte entwickelt, also Formate, in denen es um die Öffnung der Häuser und um Beteiligung geht. In diesem Zusammenhang haben wir uns sehr konkret darüber ausgetauscht, wie die verschiedenen Häuser in ihren jeweiligen Städten mit ganz unterschiedlichen Communities zusammenarbeiten.

Drittmittel, Bundesgelder, städtische Finanzierung – das klingt nach einer komplexen Mischfinanzierung. Mal der Blick unter die Motorhaube: Wie funktioniert die Finanzierung des Spielbetriebs im Festspielhaus?

Wir sind eine Bühne der Landeshauptstadt Dresden. Das, was gesichert ist, sind die Kosten fürs Gebäude und das Personal für den Betrieb. Hinzu kommt der Sachkostenzuschuss von der Stadt, aus dem wir zu einem kleinen Teil das Programm finanzieren. Dieser Sachkostenzuschuss ist in den letzten Jahren stark gekürzt worden. Die Stadt hat diese Kürzungsrunden bereichsübergreifend vorgenommen, um Dresden möglichst schuldenfrei zu halten. Als Produktionshaus trifft uns das sehr hart, weil wir kein festes künstlerisches Ensemble haben, sondern die freien Künstler*innen und Companies aus diesem Sachkostenzuschuss und zusätzlich eingeworbenen Drittmitteln bezahlen müssen – sie sind unser Ensemble! 

Ohne Drittmittel gäbe es also kein Programm auf der Bühne?

Bereits bei der Budgetplanung ist es eine Vorgabe, etwa eine Million Drittmittel einzuwerben. Davon waren die Bündnisgelder bisher immer eine feste Größe mit ca. der Hälfte der Summe. Darüber hinaus stellen wir im Jahr ungefähr 30 bis 40 Anträge, von klein bis groß und wir wissen nicht, was am Ende klappt. Da ist alles dabei: Ländervertretungen, Bundeszentrale für politische Bildung, Nationales Performance Netzwerk, Kulturstiftung des Bundes, Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, EU-Gelder u.v.m. Das Schwierige ist dabei, dass man für alle Förderlinien auch Eigenmittel einbringen muss. Das heißt, wenn wir nicht mehr genügend Eigenmittel haben, um diese Anträge überhaupt stellen zu können, wird die Finanzierung noch komplizierter. Wir sind bereits jetzt an dem Punkt, dass unser Programm fast ausschließlich aus Drittmitteln finanziert wird.

Was sagen Sie Menschen, die meinen, die finanzielle Zuwendung der Stadt sei doch sehr umfangreich?

HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste, das möchte ich hier noch einmal betonen, ist eine städtische Bühne. Ich habe als Intendantin den Auftrag, ganzjährig ein breites Programm aus internationalen, nationalen und auch regionalen Positionen zu gestalten. Gleichzeitig ist der Zuschuss der Landeshauptstadt so bemessen, dass aus den Geldern der Stadt inzwischen im Wesentlichen die Infrastruktur finanziert wird: Gebäude und Personal. Das allein ist nicht wenig, zumal der Unterhalt des weltweit einmaligen und denkmalgeschützten Festspielhausensembles anspruchsvoll ist. Bezüglich des Personals hat HELLERAU für das, was im Festspielhaus und seit Neuestem auch im Ostflügel geleistet wird, ein kleines Team. Die 44 Mitarbeiter*innen, einige in Teilzeit, rund die Hälfte Techniker*innen, braucht es einfach, um eigenes Programm, Kooperationen und auch Vermietungen umsetzen zu können. Mich bewegt die Frage, dass diese Ausgaben geleistet werden, aber kaum noch Mittel für die Programmgestaltung zur Verfügung gestellt werden. Das ist nicht mehr im Gleichgewicht. Der Wegfall der Bündnismittel als wesentliche Finanzierung der internationalen Programmarbeit macht dies einfach nur noch mal besonders deutlich.

Der Große Saal des Festspielhauses zum Tag des Offenen Denkmals mit einer Aufführung von »auditiv vokal« (Foto: Peter Fiebig)

Bedeutet das für Sie, dass Sie auch über die zukünftige künstlerische Ausrichtung von HELLERAU grundsätzlich nachdenken müssen?

Ganz pragmatisch gesprochen: 2026 können wir noch einigermaßen gestalten. Wir haben noch Restmittel vom Bündnis, Projektmittel von der Kulturstiftung des Bundes, die Tanzplattform Deutschland 2026 ist auch über Bundes- und Landesgelder und weitere Drittmittel finanziert. Und wir warten noch auf weitere Drittmittel-Bescheide für 2026. Ich mache mir aber bereits Gedanken über den nächsten Doppelhaushalt 2027/28, zu dem die Verhandlungen jetzt in Dresden beginnen. Ich gehe davon aus, dass sich die finanzielle Situation in Dresden nicht schlagartig ändern wird. Die Finanzlage aller Kommunalhaushalte ist krisenhaft.

Und über 2026 hinaus? 

Trotz der aktuellen Lage ist das Profil des Hauses nicht in Frage gestellt. Wir müssen weiterhin erfinderisch sein, die Drittmittelakquise beibehalten und gleichzeitig darüber nachdenken, wie wir mit unseren bisherigen und vielleicht auch neuen Partnern so zusammenarbeiten können, dass alle etwas davon haben. Das ist unser Part, den ich auch weiter annehme. An die Stadt als Rechtsträgerin ist die Frage zu richten, ob dieses Haus damit im Grundstock ab 2026 ausreichend ausgestattet ist. 

Was für Möglichkeiten sehen Sie für weitere Partnerschaften?

Wir sind ja bereits ein Haus für ganz unterschiedliche Partner: das Heinrich-Schütz-Konservatorium, die Komponistenklasse, die Staatskapelle oder auch die Palucca-Schule sind beispielsweise immer wieder bei uns. Wir hatten in der letzten Spielzeit auch eine besondere Kooperation mit dem Jugendjazzorchester Sachsen und tanzart Kirschau. HELLERAU ist für mich ein Ort zwischen Experimentalbühne, internationaler Gastspielort und Kulturhaus. Kulturhaus im positiven Sinne. Ich denke, wir können noch stärker ein Ort für regionale Player werden, können den Austausch mit anderen städtischen Institutionen weiter vertiefen. Gleichzeitig muss das Kernprofil dieses einmaligen internationalen Hauses der freien Szene in Dresden, Sachsen und Ostdeutschland, das international weit ausstrahlt, erhalten bleiben. Ich kann mir HELLERAU einfach nicht anders vorstellen. Was sollte es sein – ein Museum? Dann müsste es ja trotzdem bezahlt werden.

Woher nehmen Sie persönlich die Kraft, für Ihr Ideal von Hellerau weiterzukämpfen?

Kraft nehme ich vor allem aus den Veranstaltungen, den Künstler*innen vor Ort, und auch unserem Publikum. Ich engagiere mich für das Profil des Hauses, wie es seit seiner Wiederbelebung ab den 1990er Jahren angelegt und später auch von der Landeshauptstadt definiert wurde – ein freies und offenes internationales Haus der Bühnenkünste. Die tollen Abende oder auch die Probenprozesse und Residenzen vor Ort geben uns Energie und machen uns immer wieder Mut. Wir hatten letztes Wochenende ein großes Kulturforum mit osteuropäischen Kolleg*innen und Künstler*innen zu den Transformationsprozessen seit den 1990ern. Die Gegebenheiten sind in einigen osteuropäischen Ländern noch viel gravierender als bei uns. Da gibt es teilweise schon keine Räume mehr, geschweige denn Mittel. Und wir haben uns über die Möglichkeiten ausgetauscht und sind bei Ansätzen aus den 1990ern gelandet. Eigentlich kann es aber nicht der Weg sein, Theater wieder ausschließlich in Wohnungen, Cafés oder auf Plätzen zu machen und damit die erfolgreiche Professionalisierung der Freien Szene der letzten Jahrzehnte  zurückzudrehen. Aber was man durchaus von den 1990er Jahren lernen kann, ist die Energie und Dringlichkeit, mit der an Themen gearbeitet wurde. Und das müssen wir immer wieder dem Publikum und auch der Politik vermitteln. Gemessen am Potenzial von HELLERAU schrumpfen allerdings gerade die Möglichkeiten.

Wie verstehen Sie als Intendantin des Hauses dieses Potenzial von HELLERAU?

Das Potenzial von HELLERAU ist der historische Ort im Grünen. Es ist kein urbaner Kulturort und trotzdem kommt man mit der Straßenbahnlinie 8 in einer knappen halben Stunde aus der Altstadt hierher. Das Ambiente verändert sofort die Stimmung für jeden, der diesen Campus betritt. Man wird Teil eines Ortes, an dem Künstler*innen arbeiten. Es ist eben nicht nur ein Gastspieltheater und Konzertraum, sondern auch ein Ort der künstlerischen Forschung und Produktion. Diese Kombination von Arbeit und Vorstellungsbetrieb ist das Besondere. Unsere Räume sind so vielseitig und wandelbar, wir haben alles zu bieten von Vorstellungen, Installationen, Gesprächsformaten bis hin zu Workshops – wir sind nicht auf eine Sparte beschränkt. Auch wegen unseres hervorragenden Technikteams gibt es nichts, was noch nicht probiert oder gemacht wurde. Und obwohl das Haus auf festem Boden steht, wandelt es sich ständig, genau wie unsere Zeit.

Das klingt nach einem Kraftzentrum im Grünen …

Ja, das gibt mir Energie. Wir brauchen diesen Optimismus. Und trotzdem beschäftigt mich gerade sehr stark, ob die Krise, in der wir uns gerade befinden, nur ein Tal ist, durch das wir durchmüssen, oder ob sich hier etwas grundlegend verändert. Ich meine, ob sich die Rahmenbedingungen jenseits der finanziellen Fragen auch politisch und gesellschaftlich dauerhaft verändern werden. Ich habe in anderen Ländern erlebt, wie schnell bei politischen Umbrüchen gerade offene Kulturräume zu ge- und verschlossenen Räumen werden. Es macht also durchaus einen Unterschied, ob Gesellschaften offene Häuser wie HELLERAU haben oder nicht.

Welche Form der Unterstützung wünschen Sie sich für HELLERAU?

Die beste Unterstützung für uns ist es, gesehen und gehört zu werden. Kommt und schaut euch das an, kommt zu den Konzerten und Aufführungen. Hier passieren aufregende Dinge. Künstlerische Erlebnisse geben positive Energie. Ich glaube immer noch an die Wirkung der Kunst in ihrer ganzen Bandbreite. Besonders freue ich mich beispielsweise darüber, dass es uns gelungen ist, für nächstes Jahr die Tanzplattform Deutschland nach Dresden zu holen. Das wird ein ganz besonderer März mit Ausstrahlung in die ganze Stadt und auch bundesweit, wenn wir die 13 bemerkenswertesten deutschen Tanzproduktionen der letzten zwei Jahre und ein vielseitiges Rahmenprogramm in Dresden präsentieren werden und Gäste aus nah und fern zu uns kommen!

Vielen Dank für das Gespräch!

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