Eine Auszeichnung für vielversprechende Newcomer ist der seit fünfzehn Jahren vergebene Schostakowitsch-Preis ganz sicher nicht. Mit ihm werden gereifte Künstlerinnen und Künstler ausgezeichnet, die sich Jahrzehnte, ja oft ihr Leben lang um Schostakowitschs musikalisches Schaffen verdient gemacht haben. So erhielten Natalie Gutman und Gidon Kremer den Preis in ihren Siebzigern. Krzysztof Meyer und Juri Temirkanow wurden um ihren 80. Geburtstag herum damit überrascht. Sofia Gubaidulina, Rudolf Barschai, Irina Antonowna Schostakowitsch und Valentin Silvestrov waren schon weit über die achtzig hinaus. Während Andris Nelsons, zur Preisverleihung 2019 gerade vierzig Jahre alt, in der Liste als Jungspund zählen darf, hält Kurt Sanderling mit fast neunundneunzig Jahren den Altersrekord unter den Preisträgern.
Diese Marke pulverisiert die kommende Preisträgerin jedoch spielend, ist sie doch schon fast ein halbes Jahrtausend alt. Obwohl sie zugegebenermaßen erst seit 78 Jahren davon mit Schostakowitschs Musik befasst ist, darf der Komponist durchaus als einer ihrer „versteckten Hausgötter“ (Tobias Niederschlag) bezeichnet werden. Richtig, die Rede ist von der Sächsischen Staatskapelle, die ja nicht zuletzt maßgeblich an der Entstehung der Internationalen Schostakowitsch-Tage Gohrisch beteiligt war. Zu DDR-Zeiten lag für die Musiker die Beschäftigung mit Schostakowitschs Musik nahe; das Orchester übernahm etwa 1963 die deutsche Erstaufführung der 4. Sinfonie unter Kirill Kondraschin und widmete sich spätestens ab 1964, dem Beginn von Kurt Sanderlings Chefzeit, verstärkt dem Komponisten. Aber auch nach der Wende erfuhren Schostakowitschs Werke durch Gäste wie Juri Temirkanow oder Gennadi Roschdestwenski Zuwendung. Das Kuratorium dankt es ihr dieses Jahr mit der Verleihung des insgesamt 15. Preises (2020 fiel die Preisverleihung der Pandemie zum Opfer; die vorgesehene Preisträgerin erhielt die Auszeichnung ein Jahr später).
Das Festival steht dieses Jahr im Zeichen des 50. Todestages des Komponisten († 9. August 1975). Daher erklingen zentrale Werke Schostakowitschs, darunter sein 8. Streichquartett c-Moll op. 110, das er im Juli 1960 in Gohrisch komponierte. Es bildet den Rahmen des diesjährigen Programms: im Eröffnungskonzert (26. Juni, 19.30 Uhr) spielen die SSKD-Stimmführer Matthias Wollong, Holger Grohs, Sebastian Herberg und Sebastian Fritsch das Werk. Und in der Fassung für Streichorchester von Rudolf Barschai erklingt das Quartett zum Schluss in einer Aufführungsmatinee (29. Juni, 11 Uhr).
Neben Werken des Namensgebers blickt das Festival im Gedenkjahr auf seine Vorbilder. So gestaltet Yulianna Avdeeva eine Klaviermatinee mit Werken von Schostakowitsch und Frédéric Chopin (28. Juni, 11 Uhr). „Schostakowitsch war ein hervorragender Pianist“, so die Pianistin. „1927 nahm er am erstmals ausgetragenen Chopin-Wettbewerb in Warschau teil, gewann aber keinen Preis, sondern nur ein Diplom. Das hat dazu beigetragen, dass er sich fortan mehr dem Komponieren als dem Klavier widmete. Der Einfluss von Chopin auf den jungen Schostakowitsch darf aber als ziemlich hoch eingestuft werden.“ In ihrer Matinee stellt Avdeeva einer Auswahl aus Schostakowitschs 24 Präludien und Fugen op. 87 den Zyklus der 24 Préludes von Chopin gegenüber.
Für Schostakowitsch war Bach zeitlebens ein Idol. Bei seinem Besuch in Leipzig 1950 bekannte er: „Johann Sebastian Bach, der Genius der Musik, ist einer meiner liebsten Komponisten. Ich spiele täglich Bach.“ In Anlehnung an das „Wohltemperierte Klavier“ schrieb er nach der Leipzig-Erfahrung seinen eigenen Zyklus Opus 87. Der Bassist Alexander Roslavets und der Pianist Andrei Korobeinikov stellen dem Liedschaffen Schostakowitschs in der Konzertscheune Auszüge aus Bachs „Wohltemperiertem Klavier“ gegenüber (28. Juni, 19.30 Uhr).
Ein weiterer Fixpunkt für Schostakowitsch war Ludwig van Beethoven, eine Beethoven-Büste überragte alles in seinem Moskauer Arbeitszimmer. Im Abschlusskonzert (29. Juni, 15 Uhr) gestaltet das Quatuor Danel ein Beethoven-Schostakowitsch-Programm, das unter besonderen Vorzeichen steht: „Wir verbinden das 15. Streichquartett Beethovens, sein Opus 132, mit dem 15. und letzten Quartett Schostakowitschs“, so Primarius Marc Danel. „Diese Kombination wurde gern vom alten Borodin-Quartett gespielt, dessen legendärer Cellist Valentin Berlinsky in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre.“ Somit würdigt dieses Konzert nicht nur Schostakowitsch, sondern zugleich das Borodin-Quartett und Berlinsky, die für die Mitglieder des Quatuor Danel wichtige Mentoren in ihrer Anfangszeit waren.
Neben dem Eröffnungskonzert und der erwähnten Aufführungsmatinee gestalten Mitglieder der Sächsischen Staatskapelle Dresden einen weiteren Termin mit: eine musikalische Lesung mit dem Schauspieler Ulrich Noethen, der sein Debüt in der Konzertscheune gibt (28. Juni, 15 Uhr). Er liest aus dem fiktiven Schostakowitsch-Roman „Der Lärm der Zeit“ von Julian Barnes, dazu erklingt etwa das 2. Klaviertrio mit Yuki Manuela Janke, Friedrich Thiele und der Pianistin Onutė Gražinytė, die bereits im Eröffnungskonzert den Klavierpart in Schostakowitschs Quintett op. 57 übernimmt. Und schon am Vorabend der Schostakowitsch Tage (25. Juni, 20 Uhr) musiziert das Orchester ein Sonderkonzert im Dresdner Kulturpalast. Dabei gelangen u. a. beide Klavierkonzerte Schostakowitschs mit dem Pianisten Kirill Gerstein und dem Trompeter Helmut Fuchs unter Leitung von Marie Jacquot zur Aufführung.
(mit Material der Schostakowitsch-Tage)
Tickets für die 16. Internationalen Schostakowitsch-Tage (26.–29. Juni 2025) können entweder telefonisch (Tel. +49 3501 4404 536, Anrufbeantworter) oder per E-Mail reserviert werden.