
Sie lesen schon richtig. Heute geht es in unserer kleinen Jahresendgeschichte nicht um das Echo, sondern den Echo. Den, den es eigentlich nicht mehr gibt. Und der in meinem Fall doch immer noch da ist.
Als ich neulich auf den südlichen Hügeln von Dresden meine noch nicht ausgepackten Umzugskisten studierte, fiel mir ein schwerer Gegenstand mit Sockel auf. Tatsächlich, ein Echo Klassik lugte da heraus, im Sockel fein säuberlich eingraviert „Fabio Luisi, Anja Harteros und der Staatskapelle Dresden als ‚Surround-Einspielung des Jahres‘ für die Einspielung der Strauss’schen Vier Letzten Lieder und der Alpensinfonie, 2008“. Luisi war damals zu Gast im legendären, schon seit fünf Jahren geschlossenen Musikgeschäft Opus 61, stellte unter meiner Moderation die preisgekrönte Aufnahme vor und der Echo zierte fortan das Schaufenster an der Wallstraße.
Irgendwann wurde umdekoriert, der Echo verschwand auf sicherem Platz im Lager. 2009 erhielt Luisi erneut einen Echo für eine Aufnahme der 9. Sinfonie von Anton Bruckner, aber da waren die Tischtücher schon im Reißen begriffen und Thielemann sprang dann mit einer ziemlich genialen Bruckner 8 zur Saisoneröffnung ein…wir wissen, was dann weiter geschah.

2015 dann erschütterte ein Skandal mit antisemitischen Texten der Rapper Kollegah und Farid Bang den Pop-Echo. Daraufhin gaben auch viele Klassikstars ihre Echos zurück, so auch Christian Thielemann und die Staatskapelle Dresden. Damals witzelte ich im Opus 61: „Wie will Thielemann denn den Echo zurückgeben? Der steht doch bei uns im Lager, außerdem gehört er ja dem Luisi..?“ Doch saubere Recherche ergab, dass Thielemann tatsächlich seinen eigenen Echo aus dem Jahr 2004 cancelte, und die Staatskapelle den ihrigen („Orchester des Jahres 2009“) mit der Bruckner-Einspielung. Der Echo-Preis endete in einem Scherbenhaufen, wurde umbenannt und heißt heute (ausgerechnet…) OPUS KLASSIK.
Ohnehin war die Rückgabe ja nicht physisch erfolgt, sondern war als Statement zu verstehen, vermutlich stehen auch noch etliche Echos von damals Rückgabewilligen in schummrigen Kellerbarvitrinen oder in Gartenhäusern von Dirigenten und Orchestermanagern…

Und was passierte mit unserem Echo? Opus 61 zog alsbald in die Neustadt um, und ich rettete an der Wallstraße das ‚Gerät‘ im letzten Moment aus einer Entrümpelungstüte. Der Preis landete wieder im Schaufenster. 2020 machte das Geschäft endgültig zu, und ich nahm den damen- und herrenlosen Preis an mich und hielt ihn in Ehren. 2021 zog ich nach Wien um, der Echo behielt seinen Platz in einer schönen Altbauwohnung. Mit Thielemann hatte ich inzwischen das Brahms-Requiem aufgeführt, aber da war der schon von der Staatskapelle entfleucht und was sollte der nun gerade mit einem Preis, den es ohnehin nicht mehr gab und der auch qua Gravurtäfelchen nichts mit ihm zu tun hatte? Immerhin taugt der Sockel als Beschwerer für unbezahlte Rechnungen und mit dem oberen Chromteil kann man aus dem Wohnzimmerfenster einen Blitzer vortäuschen.
Dieses Jahr dann musizierte ich im September in Wien erstmals mit Fabio Luisi das Monsterwerk „Das Buch mit sieben Siegeln“ von Franz Schmidt. Leider gab es keine Möglichkeit zu einem direkten Treffen mit Luisi – ich verschwand im Konzerthaus in den Chormassen der mit drei nahezu unsingbaren Chorfugen etwas überstrapazierten Apokalypse von Schmidt. Kurz vor Weihnachten zog ich wieder nach Dresden um. Der Echo hat seine Jahre in Wien gut überstanden, keiner wollte was von ihm wissen (und nur wenige etwas von mir), also steht er nun wieder in Elbgefilden.
Doch was steht eigentlich hinter dieser kleinen Statue? Nach knapp 20 Jahren dieser „Surround-Einspielung“ (SACD und Konsorten hat sich ja nie wirklich durchgesetzt) hat die Musik kaum Patina angesetzt – die kristallklare Alpensymphonie von Luisi überzeugt noch immer und auch Anja Harteros, die hier über die Lieder spricht, singt wunderbar empfunden – mit einem Benutzerkonto der Bibliothek Dresden kann man die Aufnahme bei freegalmusic sogar nachhören.
Und die kleine Echo-Statue? Vielleicht werde ich sie irgendwann auf einem der schwer zugänglichen Gipfel in der sächsischen Schweiz vergessen. Dort darf sie dann wie der Wanderer im Nebelmeer an Eichendorff denken:
Rings sich die Täler neigen,
es dunkelt schon die Luft.
Zwei Lerchen nur noch steigen
nachträumend in den Duft.
Tritt her und laß sie schwirren,
bald ist es Schlafenszeit.
Daß wir uns nicht verirren
in dieser Einsamkeit.
O weiter, stiller Friede!
So tief im Abendrot.
Wie sind wir wandermüde –
Ist dies etwa der Tod?
Ein gutes Jahr 2026 allen Fans und Followern von Musik in Dresden!









