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Wird bald noch viel mehr fehlen?

Olivier Messiaen 1937. Foto: Studio Harcourt, Public domain, via Wikimedia Commons

Ausgerechnet in den Zeiten des Krieges fehlt das Geld, um an den Wahnsinn von Krieg zu erinnern?

Seit beinahe zehn Jahren sind die Internationalen Messiaen-Tage in der europäischen Doppelstadt Görlitz / Zgorzelec eine feste Größe im Kulturkalender. Nicht nur im sächsischen / schlesischen, denn dieses Festival wird aufgrund seiner historisch determinierten Bezüge und der evidenten Aktualität auch international wahrgenommen. Alljährlich wird seit 2008 nicht nur an die Uraufführung von Olivier Messiaens »Quatuor pour la fin du temps« erinnert – das »Quartett für das Ende der Zeit« ist am 15. Januar 1941 unter absurdesten Bedingungen im damaligen Kriegsgefangenenlager Stalag VIII A erstmals erklungen -, sondern seit der Errichtung des Europäischen Zentrums für Bildung und Kultur 2015 stets auch ein bemerkenswertes Begleitprogramm präsentiert.

Ausgerechnet im Kriegswinter 2024 – der russische Überfall auf die Ukraine jährt sich bald zum zweiten Mal, der Gaza-Krieg fordert täglich mehr Opfer, Syrien und andere Brandherde werden fatalerweise schon kaum noch wahrgenommen – soll damit nun Schluss sein. Denn natürlich hatte das kleine, aber sehr tatkräftige Team des Meetingpoint Memory Messiaen e.V. auch für dieses Jahr wieder ein spannendes Programm entwickelt, um an das Schicksal der etwa 120.000 Kriegsgefangenen des Görlitzer Lagers zu erinnern und vor dem fortgesetzten Wahnsinn von Kriegen zu warnen. Neben einer Freiluft-Ausstellung zum Thema »Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg« war eine weitere Ausstellung mit Fotografien aus dem Ukraine-Krieg vorgesehen. Was für ein Zeichen wird mit der Absage beider Expositionen gesetzt? Zudem mit der Stornierung von Konzerten und einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion zu »Gegenwartsfragen an die Vergangenheit«?

Immerhin am Konzert selbst darf an diesem nicht nur für Görlitz so geschichtsträchtigen Datum festgehalten werden. Das »Quartett für das Ende der Zeit« soll am 15. Januar aufgeführt werden und sowohl das Erbe von Olivier Messiaen als auch die vor rund zwanzig Jahren von Albrecht Goetze gesetzten Impulse fortsetzen. Ohne ihn würde das vom deutsch-polnischen Verein Meetingpoint Memory Messiaen betriebene »Europäische Zentrum Erinnerung, Bildung, Kultur«, so der heutige Name, wohl kaum existieren.

Alle weiteren Vorhaben mussten gestrichen werden, wie Geschäftsleiterin Alexandra Grochowski bekannt gab: »Das ist bitter, denn noch nie war das Programm aktueller und noch nie war der Blick zu unseren östlichen Nachbarn prägender als in diesem Festivalprogramm.« Schuld an dieser Misere sind fehlende Gelder, insbesondere aufgrund abgesagter Förderungen durch den Kulturkonvent der Kreise Bautzen und Görlitz, bislang eine der tragenden Säulen des grenzüberschreitenden Festivals. Dessen Begründung, dass der Meetingpoint ja vom Freistaat Sachsen gefördert werde, verkennt die Situation dahingehend, dass diese institutionelle Förderung für den ganzjährigen Unterhalt von Verein und Gedenkstätte gedacht ist, nicht aber für die kostenträchtige Realisierung der so bedeutsamen Messiaen-Tage.

Das Zentrum habe sich in den vergangenen Jahren »trotz der europakritischen und oft deutschfeindlichen Politik der nationalistischen PiS-Regierung als ein Musterbeispiel für die deutsch-polnische Zusammenarbeit etabliert«, wie der Vereinsvorsitzende Frank Seibel feststellte. Das Festival sei mit seinen künstlerischen Beiträgen und der geleisteten Erinnerungsarbeit alljährlich im gesamten Stadtgebiet von Görlitz und Zgorzelec präsent gewesen, ein Anziehungspunkt für Menschen auch aus anderen Ländern. Angesichts einer nun wieder vernunftgesteuerten und Europa zugewandten Regierung in Warschau wirkt die unvermeidliche Reduktion geradezu tragisch.

Neben dem immensen Schaden für und in Görlitz / Zgorzelec steht obendrein eine fatale Beispielwirkung für andere Veranstalter in derart strukturschwachen Kulturregionen zu befürchten. Obwohl sich der Meetingpoint Memory Messiaen e.V. klug verhält und keinerlei Neiddebatten thematisiert, muss in diesem Zusammenhang doch an das Lausitz-Festival gedacht werden, das mit Millionenförderung teure Kulinarik produziert. Die Messiaen-Tage hingegen, deren Finanzierung immer schon einigermaßen heikel gewesen ist, da die wichtigsten Institutionen (der Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien ebenso wie wichtige Stiftungen auf Landes- und Bundesebene und die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit) oft erst im Dezember über Fördermittel des folgenden Halbjahres entscheiden, setzen auf wichtige Inhalte. Die wären heute wieder wichtiger denn je!

Wenn jetzt etwas fehlt, wird bald noch viel mehr fehlen.

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