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„Danach streben, was wirklich mein Wesen ist“

Selten fällt es so schwer zu gratulieren wie heute. Wenn man weiß, dass es dem zu Gratulierenden nicht gut geht, fehlen die Worte. Doch der Komponist Udo Zimmermann hat sie verdient. Er, dem lange Zeit selbst die geschliffene Sprache ein so wichtiges Mittel gewesen ist, lebt nun schon seit langem sehr zurückgezogen, eine schwere Krankheit ließ ihn verstummen. Auch musikalisch konnte er deswegen seit seinem für Jan Vogler geschriebenen Cellokonzert und einem Violinkonzert für Elena Denisova nichts Neues mehr vollbringen. Doch auch das bis dahin Geschaffene ist immens, hörenswert und verdient unbedingt eine Würdigung.

Udo Zimmermann hat sechs erfolgreiche Opern geschrieben, außerdem Orchesterstücke und Solokonzerte sowie umfangreiche Vokalmusik – literarische Anregungen, mitunter auch religiös gespeiste, sind ihm für sein Schaffen stets wichtig gewesen. Das musikalische Werk hat Udo Zimmermann längst schon unsterblich gemacht, es wurde und wird in fast aller Welt aufgeführt und gespielt. Just in diesem Jahr zum 75. Geburtstag wird insbesondere die Kammeroper »Weiße Rose« im In- und Ausland wieder häufiger inszeniert, um damit auch an das Schicksal der vor 75 Jahren hingerichteten Geschwister Sophie und Hans Scholl zu gemahnen. Deren aufrichtige Menschlichkeit sah Zimmermann als zeitlos wichtige Grundhaltung.

Auch er selbst hat sich stets der Humanität verpflichtet gesehen, was er wohl nicht zuletzt in seiner Zeit als Kruzianer unter Rudolf Mauersberger als prägend erfahren haben dürfte. Mit diesem Ethos hat der Komponist, Dirigent und Intendant sein Arbeitsleben gestaltet. Ob an der Werkstatt für zeitgenössisches Musiktheater an der Oper Bonn, die er noch zu Mauerzeiten geleitet hatte, ob im von ihm gegründeten Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik oder als Dramaturg an der Oper: Zimmermann wollte sich einmischen, wollte mitmischen, wollte gestalten.

Den gewiss größten Spielraum dafür erhielt er an der Oper Leipzig, die er ab 1990 übernahm und mit teilweiss spektakulären Produktionen wieder in die erste Liga des deutschsprachigen Musiktheaters führte. Sein Verbleiben an der Deutschen Oper Berlin, wo er von 2001 bis 2003 Generalintendant war, geriet wesentlich kürzer und endete weniger glücklich. Nur Freunde hat Zimmermann sich mit seiner Umtriebigkeit freilich nicht gemacht, doch großen Respekt für seine Leistungen erfährt der unbequeme Zeitgenosse bis heute.

Der Intendant und der Künstler Udo Zimmermann mögen sich mitunter im Weg gestanden haben, bei derartigen Konstellationen liegt dergleichen auf der Hand. „Schöngeistiger Verwaltungsbeamter“ wollte er nie werden, sondern danach streben, „was wirklich mein Wesen ist, nämlich Künstler zu sein und Kunst zu machen.“

Dass dennoch wichtige Vorhaben wie die Oper »Gantenbein« nach dem gleichnamigen Roman von Max Frisch nicht zustande gekommen sind, mag ein Verlust sein. Andere Literaturadaptionen allerdings sind zeitlos und sollten auch heutige Spielpläne schmücken: »Lewins Mühle« nach Johannes Bobrowski etwa, »Der Schuhu und die fliegende Prinzessin« nach Peter Hacks sowie »Die wundersame Schustersfrau« nach Federico Garcia Lorca.

In seiner Kunst sah sich Udo Zimmermann stets als ein Weltbürger. Seine Aussage klingt wie ein Bekenntnis: „Ich habe immer behauptet, ich bin gar nicht richtig deutsch. Wenn ich darüber nachdenke, was in mir deutsch wäre, dann würde es mir vielleicht so gehen wie jenem Schubertschen Wanderer, der ständig unterwegs ist. Vielleicht suche ich mir mit meiner Musik am Ende nicht diesen Leiermann, der Weinen und Tränen mitbegleiten soll. Vielmehr ein ständiges Unterwegssein.“

Dieses Unterwegssein ist ihm nun nicht mehr möglich. Seine Musik mag das übernehmen. Und wir gratulieren am 6. Oktober in aller gebotenen Stille.

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