Nur für den Fall, dass er das Ende des Abends nicht erlebt (er ist schließlich schon achtzig), beginnt Herman van Veen sein erstes Dresdner Konzert auf der aktuellen Tournee mit einem Abschiedslied: auf Wiederseh’n, good-bye, danke für den schönen Abend in… (er blickt gespielt geistesabwesend in seine Unterlagen) …Dresden! Was folgt, sind die pathetische Übergabe eines großen Blumenstraußes und – logisch – die Zugaben. Zwei Dutzend werden es über die nächsten zweieinhalb Stunden werden.
Und: Herman van Veen erinnert sich mit bewegten Worten an sein allererstes Konzert in Dresden, als die Leute schon Tage vorher in Schlafsäcken rund um den Palast ausharrten, um eine Karte zu ergattern. Das ist sein halbes Leben her. 1987 ging der Sänger, nachdem er zuvor schon mehrmals in Berlin zu Gast gewesen war (u.a. hier), auf seine allererste Konzerttournee durch den Osten. Dresden, Karl-Marx-Stadt, Leipzig und Weimar standen auf dem Reiseplan. Und seine Lieder, seine Themen? Die waren damals schon zeitlos. Weltkrisen wurden aufgegriffen, die Texte waren zutiefst humanistisch (was hüben wie drüben verstanden wurde). Was ist der Zusammenhang zwischen Ölpreisen und Flüchtlingen? Warum sterben immer noch sinnlos Soldaten? Was tun, wenn Nachdenken zu teuer wird? Liebt sie mich noch? Und wann kommt der Tod, um mich zu holen?
Sicher: „Mit 55 artikuliert man sich anders als mit 30,“ diktierte er Monika Dänhardt vor 25 Jahren in den Block. Und versuchte auch über die Jahrzehnte, den Ton, die Ansprache, den Anspruch und die Höhe des Zeigefingers zu verändern. Ein holländischer Journalist bemerkte vor 25 Jahren verwundert „sehr viele junge Leute im Saal“ (darunter war auch ich). Zu Dresden hat van Veen eine lange, komplexe Beziehung. In der Jungen Garde trat er einst auf (»Für einen Kuss von dir«), in der Lukaskirche und immer wieder im Kulturpalast. Und nicht immer waren das einfache Konzerte. Manchmal schienen die Lieder nur noch um sich selbst zu kreisen, die neue Platte musste ja unters Volk, inhaltlich aber kam nichts neues von dem Sänger, der sich schon so viele Jahre gegen Aufrüstung, Kriege, Bonzen, Blender und Besserwisser engagiert hatte. Die einstige reine Männerbesetzung seiner eingespielten Tourfamilie – Erik van der Wurff (Synthesizers; Kompositionen, Arrangements), Nard Reijnders (Saxophon, Klarinette, Akkordeon), Chris Lookers (Gitarre), Cees van der Laarse (Baßgitarre) – wich einer One-man-Show mit vielen, nun oft jüngeren Frauen, der Tenor war verbissener und fast angestrengt frivol. Herman van Veen schien müde geworden zu sein. Tourneemüde? Themenmüde? Kampfesmüde?
Umso überraschter und beglückter bin ich gestern Abend gewesen, nachdem ich Herman van Veen viele Jahre nicht mehr live erlebt habe. Das Publikum war zumindest äußerlich mitnichten jung; es steht zu vermuten, dass die meisten von ihnen van Veen seit DDR-Zeiten kennen und lieben, einige vielleicht sogar beim legendären Konzert 1987 dabei waren. Aber die lange gemeinsame Zeit schaffte zwischen dem Sänger und seinen Hörern eine Vertrautheit, eine Intimität, eine gemeinsame Wellenlänge. Dabei spart van Veen nicht mit melancholischen Spitzen gegen sein langes Tourneeleben, mit Worten, Anekdoten und kleinen Bühnengags. Liest aus Briefen vor („Sehr geehrter Herr van Veen, da unsere Mutter ihre Platten liebt, müssen wir seit den siebziger Jahren Ihre Lieder ertragen…“), bläst theatralisch eine Staubschicht von seiner geliebten Geige, gibt leichtherzig zu: „natürlich spring‘ ich nicht mehr so hoch wie noch mit ’76!“
Musikalisch ist nicht viel neues zu hören. Viele der alten Lieder sind nun eher minimalistisch instrumentiert, auch sängerisch hält sich Herman van Veen auf der neuen Platte »Achtzig« ein bisschen zurück. Aber all dies ist altersleicht und liebevoll choreographiert, man hat das Gefühl, Herman van Veen ruht nun in sich. Die Welt wachzusingen mit einem Wiegenlied: diese seine Lebensaufgabe hat er angenommen, und es spricht nichts dagegen, dass nun eine Zeit anbricht, die vielleicht irgendwann als ‚Alterswerk‘ betitelt sein wird. „Ich bin ein glücklicher Mensch“, sagt Herman van Veen am Ende leise. „Und ich möchte noch…“ Der Rest geht im Applaus unter.
Herman van Veen. Tournee »Achtzig«
Weitere Konzerte: 22. und 23. September Dresden (20 Uhr, Karten zwischen 57 und 80 EUR);
danach u.a. in Cottbus, Halle (Saale), Leipzig und Chemnitz