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Abschied

Ein Orchester in Trauer: Die Sächsische Staatskapelle nimmt Abschied vom einstigen Konzertdramaturgen Eberhard Steindorf sowie vom früheren Solobratscher Joachim Ulbricht

Fotos (2): Matthias Creutziger (2013)

Er ist eine Instanz gewesen, der langjährige Konzertdramaturg Eberhard Steindorf. Eine wahre Instanz, denn wenn jemand an der Sächsischen Staatskapelle als wandelndes Archiv der traditionsreichen Orchestergeschichte bezeichnet werden konnte, dann er. Für sein fulminantes Wissen, das er stets mit außerordentlicher Bescheidenheit vortrug, für seine kenntnisreich stimmigen Programmplanungen sowie nicht zuletzt für seine menschlich kollegiale Arbeitsweise wurde er geschätzt und ist verdientermaßen zum Ehrenmitglied des Orchesters erhoben worden.

Auch außerhalb der Staatskapelle, in Publikumsgesprächen sowie gegenüber den Medien, war Eberhard Steindorf als überaus freundlicher Gesprächspartner und Ratgeber beliebt. In zahllosen Rundfunkmitschnitten und Konzerteinführungen legte er immer wieder Zeugnis davon ab. Die tiefgründigen Programmhefttexte Steindorfs haben noch heute gültige Maßstäbe gelegt.

Die Musikerinnen und Musiker der Staatskapelle erinnern sich an eine »bescheidene, zurückhaltende, dabei immer freundliche, ruhige Persönlichkeit«, wie es in einem Nachruf des Orchesters für den am 27. Juli verstorbenen Kollegen heißt. »Bei näherem persönlichem Kontakt konnten sein feiner Humor und seine von großer Herzensgüte geprägte Zugewandtheit erlebt werden.«

Eberhard Steindorf, 1938 in Zwickau geboren, studierte Kirchenmusik und Musikwissenschaft in Leipzig und wirkte nach frühen Stationen in Eisleben und Chemnitz von 1969 bis 2004 als Konzertdramaturg der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Auch danach stand er mit seinem profunden Wissen immer noch hilfreich zur Verfügung, wenn es etwa um Anfragen zur Orchestergeschichte ging. Als er entschied, keine Interviews mehr geben zu wollen und nicht mehr vor Mikrofonen zu sprechen, tat er dies mit aller Konsequenz – was aufgrund des Respekts, den er sich verdient und erarbeitet hatte, wenn auch schweren Herzens, so doch voller Verständnis umgehend akzeptiert worden ist. 

Eberhard Steindorf habe »das Hören all unserer Konzerte« als eine »zentrale und wichtige Aufgabe« verstanden, heißt es im Orchesternachruf, »es gibt wohl niemanden, der die Staatskapelle so oft gehört hat, wie Eberhard Steindorf.«

Womöglich wurde er dadurch zum vielleicht besten Kenner dieses Orchesters. Mit diesem Wissen beriet er die jeweiligen Chefdirigenten, insbesondere Persönlichkeiten wie Herbert Blomstedt, Giuseppe Sinopoli und Bernhard Haitink, dessen Berufung Steindorf 2002 maßgeblich mit angebahnt hatte. Darüber hinaus nahm er Einfluss auf wichtige Entscheidungen hinsichtlich der Gastdirigenten und des Repertoires für die Konzerte in Dresden sowie auf den zahlreichen Reisen der Kapelle.

Hierfür pflegte Eberhard Steindorf äußerst umfangreiche und fruchtbare Kontakte zu Konzertagenturen in Europa, Asien und Nordamerika, deren Vertrauen er in langjähriger Verbundenheit durch sein überaus integres Agieren gewann. Neben der wachsenden Reisetätigkeit und der damit einhergehenden internationalen Bekanntheit vermochte er auch die intensive Zusammenarbeit mit namhaften Dirigenten, Solisten und Aufnahmestudios zu gestalten.

Mit der deutschen Wiedervereinigung gelang es Eberhard Steindorf in kürzester Zeit, die Positionierung des Orchesters auf dem nunmehr globalen Musikmarkt voranzutreiben und zahlreiche Dirigentenpersönlichkeiten einzuladen, die zuvor nicht in Dresden am Pult standen. Die ersten Konzertpläne nach der sogenannten Wende sollen sich wie ein »Who is Who« der damaligen Dirigentenszene gelesen haben.

Darüber hinaus hat Eberhard Steindorf auch die vom Orchester selbst verantwortete Kammermusik als stellvertretender Vorsitzender des Kammermusikbeirates lange Zeit über kenntnisreich und impulsgebend unterstützt. Vielen Musikfreunden dürfte das Festkonzert zum 150. Geburtstag des Tonkünstlervereins zu Dresden im Jahr 2004, dessen Programm er maßgeblich konzipiert hatte, nachhaltig in guter Erinnerung sein.

Seinem Kerngebiet als Musikwissenschaftler ist er bei aller Aufgabenfülle bis zuletzt treu geblieben. Er hat zahlreiche Partituren aus dem historischen Kapell-Fundus der Sächsischen Landesbibliothek für Wiederaufführungen erschlossen sowie mehrere Publikationen über die Staatskapelle veröffentlicht. Zuletzt hat er, schon in seiner Pensionszeit, ein zweibändiges Kompendium über die »Konzerttätigkeit der Königlichen musikalischen Kapelle zu Dresden von 1817-1918« verfasst. Ein Thema, dem er engstens verbunden war und zu dem er, ebenfalls nach seiner Pensionierung, am Institut für Musikwissenschaft der Dresdner Musikhochschule, promoviert wurde.

Eberhard Steindorf habe, obwohl kein Musiker des Orchesters, durch sein lebenslanges Wirken immens am Klang der Kapelle mitgewirkt. 


Als aktives Mitglied des Klangkörpers tat dies auch der ehemalige Solobratscher Joachim Ulbricht, ein bedeutender Musiker, dem der Beruf zeitlebens Berufung gewesen ist und der sein Wirken als Mitglied der Sächsischen Staatskapelle Dresden in das Zentrum seines Lebens gestellt hat.

Dem 1930 in Dresden geborenen Musiker, der von 1955 bis 1997 in der Kapelle gewirkt hat, gilt ein weiterer Nachruf des Orchesters, denn Joachim Ulbricht ist bereits am 24. Juli verstorben. Er galt als hochangesehener und von seinen Kollegen verehrter Stimmführer der Bratschengruppe. »Wer ihn am ersten Bratschenpult unseres Orchesters als Solobratscher erleben durfte, wird seine wunderbar klangvollen, ganz persönlich gestalteten Soli nicht vergessen«, so der Orchestervorstand der Sächsischen Staatskapelle Dresden. »Darüber hinaus war er ein aufmerksamer und auch diplomatischer Kommunikator, der zum Beispiel im Kontakt mit den Dirigenten vom ersten Pult aus wesentlich zu einer guten Atmosphäre beigetragen hat oder auch heikle Situationen, die es im Orchesteralltag immer mal wieder gibt, schnell und diskret bereinigen konnte.«

Joachim Ulbricht, der sich ab 1984 auch als Vorsitzender des Kammermusikbeirates unschätzbare Verdienste erwarb, galt diesbezüglich als einer der wichtigsten Sachwalter im Orchester: »Er wusste um die Bedeutung des Kammermusikspiels für uns Orchestermusiker und hat sich Zeit seines Berufslebens dafür eingesetzt.«

Als Mitglied des Mühlbach- Quartettes sowie der Dresdner Kammersolisten ist Joachim Ulbricht ein begeisterter Kammermusiker gewesen. Noch heute gilt beispielsweise seine Aufnahme von Claude Debussys Trios für Harfe, Flöte und Viola mit dem Dresdner Harfentrio (Jutta Zoff, Johannes Walter und Joachim Ulbricht) als eine Referenzeinspielung dieser Musik.

Mit der Wiedereröffnung der Semperoper 1985 konnten auch dank der Initiative von Joachim Ulbricht die Kammer-und Aufführungsabende wieder in diesem Opernhaus stattfinden. Mit großer Überzeugungskraft und diplomatischem Geschick habe er nach der sogenannten Wiedervereinigung gemeinsam mit dem damaligen Intendanten Christoph Albrecht die langfristige Perspektive der Kammermusik, die nun wieder in der Tradition des 1854 gegründeten Tonkünstlervereins zu Dresden steht, in einer nach wie vor gültigen Vereinbarung für die Zukunft absichern können.

Joachim Ulbricht, Träger des Fritz-Busch-Preises der Stiftung zur Förderung der Semperoper, wurde mit seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst zum Ehrenmitglied der Sächsischen Staatskapelle Dresden ernannt.