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Zu nah am Rande des Klischees?

Foto: Birgit Hupfeld

»10 Odd Emotions« – Tanztheater von Saar Magal als Koproduktion des Schauspiels Frankfurt und der Dresden Frankfurt Dance Company wird zur Dresdner Premiere in Hellerau gefeiert

Die Bühne des Festspielhauses ist leer. Auch die meisten der hingestellten Stühle. Nur auf einigen sitzen seltsame Gestalten einer grünen, gesichtslosen Abendgesellschaft. Weitere kommen hinzu, surreal, wie Roboter, schleichend, suchend. Dazu netter Sound, Klavier und Schlagwerk, Omer Klein und Silvan Strauß. Der Sound wird sich ändern, die Musiker können es auch ganz schön krachen lassen.

Sind das jene normierten Wesen in den Kostümen von Slavna Martinovic auf der Bühne von Magdalena Gut, von denen wie erfahren, dass sie eben jener „Norma“ entsprechen, einer vor gut 80 Jahren errechneten „Durchschnittsamerikanerin“? Nicht zu übersehen: hier ist man schon weiter, diese „Normanen“ sind beiderlei oder mehrerlei Geschlechts, weshalb wohl immer mal Hosen herabgelassen und Oberteile der totalen Brustfreiheit wegen abgelegt werden. Daneben Kommentare per Video: Hellerau, Wand 3 liest man zunächst. Und ab, gegen die Wand!

So beginnt diese Auftragsproduktion des Frankfurter Schauspiels in der Koproduktion mit der Dresden Frankfurt Dance Company. Der Auftrag lautete, es solle ein Stück sein gegen Antisemitismus, gegen Rassismus. Für Konzept und Regie ging dieser Auftrag an Saar Magal. Die in Berlin lebende Künstlerin wurde in Israel geboren, studierte an der Thelma Yalin Arts Highschool Tel Aviv sowie am Laban Centre for Movement and Dance in London. Sie schuf Kreationen für die Bathsheva Dance Company in Tel Aviv und am Suzanne Dellal Center, bevor sie weltweit streitbare wie Aufsehen erregende, meistens genreübergreifende Stücke schuf. So arbeitete sie in der Folge in verschiedenen Funktionen: als Choreografin, als Regisseurin, mit Tanzkompanien, auch im Musiktheater, und immer wieder, so wie jetzt in »10 Odd Emotions«, in der Zusammenführung von Sparten.

Mit ihrer Arbeit »Hacking Wagner« an der Berliner Staatsoper hatte Saar Magal, Holocaust-Überlebende in dritter Generation, sich der komplexen Thematik des Antisemitismus anhand von Richard Wagner auseinandergesetzt. Die Auseinandersetzungen in der Rezeption bleiben nicht aus. Das dürfte bei der aktuellen Arbeit ebenso sein – und auch beabsichtigt. Wenn nämlich jetzt diese entindividualisierten Wesen ihre Gesichter zeigen, dann kommen eben auch die sprichwörtlichen, wahren Gesichter ins Licht. Und dieses Licht ist schonungslos. Sind sie nun wirklich bei sich angekommen, haben sie sich gefunden, haben sie alle Etikettierungen abgelegt, und – entscheidende Frage – geht das überhaupt? Was nutzen die selbstgewählten Zuschreibungen aus dem Medienkatalog aktueller Diversitätsangebote, wen da doch mal ein Hitler herausrutscht, um gleich darauf grinsend weggejodelt zu werden?

Dann geht es unmissverständlich in die Thematik. Als hielten sie alle je eine Menge von Aktenblättern, derer sie sich entledigen wollten, verteilen die agierenden Tänzerinnen, Tänzer, Schauspielerinnen und Schauspieler sie auf den Boden der bislang sauberen Bühne. Choreografisch bleibt das schlicht. Anders der Dialog einer Darstellerin und eines Darstellers, der dem streitbaren Kurzstück »The Seven Jewish Children: A Play For Gaza« der britiscn Dramatikerin Caryl Churchill entnommen ist. Das sind wie in Stichworten, knappen oder sogar eiligen Halbsätzen, angesprochene Erinnerungen, Ängste, Verirrungen und Verwirrungen von Menschen aus der Hölle des Holocaust und derer, die ihm entkommen konnten und nun damit umgehen müssen dass eben die Ankunft im „Gelobten Land“ mitunter alles andere als lobenswert ist.

In kürzester Zeit geht es um Erfahrungen, die mit an Anne Frank erinnernden Zitaten beginnen, in die Verstecke, auf die Flucht, in die Vernichtung, ins Entkommen und zum Ankommen führen. Immer geht es darum der nächsten Generation, also einem Kind, zu vermitteln, dass alles ein Spiel sei, dass man leise sein müsse, dass nahe Verwandte eben gestorben seien, um dann sich abzugrenzen, eben in diesem ganz und gar nicht so „Heiligen Land“, wo man dem imaginären Kind sagen muss, dass jene „Fremden“ umher ziehende Beduinen sind, womit auch der Konflikt ebenfalls vertriebenen palästinensischen Menschen, eben auch Kindern, in den Blick kommt. Aber als solle das übertönt werden, so lassen die Klangemotionen kam noch verstehen wie sich hier die tödlichen „Anti-Argumentationen“ steigern.

Und schon machen Bücher, Schriften, Untersuchungen, Befragungen die Runde, als könnte man anschreiben gegen jenen Antisemitismus, Rassismus, auch in Deutschland als unbewältigte Folge seiner Vorformen, Kolonialismus, Völkermord, etwa an den Herero und Nama, 1904 bis 1908. Und wieder eine choreografische Szene: alle balancieren eben jene „Geschichtsbücher“ auf den Köpfen, tragen sie balancierend vor sich her, um dann – eines der stärksten Bilder – eine am Boden liegende Darstellerin, die sich gerade noch im Dialog als Jüdin bekannte, unter Bücherbergen zu begraben. Und schon lodern die Assoziationen, Bücherverbrennung, Menschenverbrennung, Entsorgen der Berge von Kleidern, Koffern und Schuhen. Aber die Darstellerin entledigt sich schriftlichen Lasten von Interpretationen ihrer Geschichte, sie tanzt dagegen an. Leider aber wie so oft im zeitgenössischen Tanz, in den sattsam bekannten Abfolgen von Klischees der einsamen Person im Halbdunkel am Boden.

Foto: Birgit Hupfeld

Noch eine ins Mikrofon geschriene Wutperformance, sonderbare Spiele mit Gewehren, orale Lüste am Flintenrohr. Waffen, die Menschen zu Krüppeln machen, werden zu Gehhilfen. Aber es muss aufgeräumt werden! An einer Seite der Bühne geht es vielleicht durch Schächte in Keller, Räume der Flucht, des Überlebens, jetzt für den Abraum der Geschichte. Das Theater muss wieder sauber sein. Der Tanz geht weiter, in Reih und Glied, man stützt sich, man hilft sich auf. Auf in die Welt der neuen Normalität! Und schon sind sie da, nackt und bloß, unzählige kabbelnde Einheitspüppchen, gegenwartsnormal und bühnentauglich. Aber woher kommen sie denn, wohin wollen sie denn? Wer führt sie an? Kommen sie etwa aus dem Untergrund des Zuschauerraumes um sich jetzt ihre Spielfläche zu erobern? Immerhin, es werden wohl weit mehr als nur »10 Odd Emotions« sein, die – wenn auch im Widerstreit der Gedanken – in den Köpfen weitertanzen. Aber erst mal ist Schluss. Es reicht. Applaus, jubelnder Beifall. Auch wenn sich hier kein Vorhang schließt, Fragen bleiben offen, und das ist gut so.