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Schwarzweiß und nachhaltig

Martin Helmchen (Foto: Giorgia Bertazzi) wird auf einem historischen Flügel das Brahms-Konzert interpretieren.

Die Dresdner Musikfestspiele resümieren einen guten Jahrgang 2022 und blicken optimistisch nach vorn. Jan Vogler hat bereits das Programm für 2023 vorgestellt.

Das Motto der Dresdner Musikfestspiele 2023 geht auf Tolstoi zurück: Beim Lesen von »Krieg und Frieden« hat Jan Vogler mal wieder den enormen Kontrast von höchster Kultur und tiefstem Grauen empfunden, der gerade auch die globale Gegenwart prägt. Aus diesem Kontrast soll das Thema für das kommende Jahr abgeleitet worden sein: »Schwarzweiß«.

Das klingt zunächst vielleicht etwas beliebig, denn unter »Schwarzweiß« könnte ja alles und nichts zu verstehen sein. Nicht so bei Jan Vogler, der auf einer Pressekonferenz Ende November (gekleidet in Schwarz und in Weiß) von der Musikfestspiel-Pressesprecherin Nicole Czerwinka (ganz in Schwarz) durch das Programm geführt wurde und die Kontrastfarben dahingehend verstanden haben will, dass sie provozieren sollen, um Schwarz und Weiß zu verbinden. Brückenbauer wolle er sein, um mit der Kraft der Musik Menschen (wieder) zusammenzubringen.

Auf »Cellomania« folgen »Tastenspiele«

Schwarzweiß wie das Motto sind auch die Grundfarben für das druckfrisch präsentierte Jahresprogramm der vom 18. Mai bis zum 18. Juni 2023 geplanten Musikfestspiele in deren 46. Jahrgang. Ganze 63 Veranstaltungen an exakt 22 Spielstätten sind darin enthalten. Der Kontrast von schwarz und weiß steht natürlich auch als Ausdruck des Tastenspiels und lässt umgehend ans Klavier denken. Die Musikfestspiele werden nun aber nicht als Klavierfestival reüssieren, auch wenn der Gedanke an Voglers »Cellomania« vom vergangenen Frühjahr das nahelegen könnte. Schon dies war ja eine Art Festival im Festival – so ähnlich sollen »Tastenspiele« tatsächlich auch im kommenden Jahr einen Schwerpunkt mit allein 18 Konzerten die vielen Facetten der schwarzweißen Tasten offenlegen. Darin soll aber nicht nur reichlich Klaviermusik erklingen, sondern werden auch das Akkordeon sowie die Orgel zu ihrem Recht kommen. Neben Konzerten mit zahlreichen renommierten Pianistinnen und Pianisten, die dann (teilweise zum wiederholten Mal) nach Dresden kommen – Khatia Buniatishvili, Hélène Grimaud, Emanuel Ax, Olli Mustonen, Louis Lortie seien nur beispielhaft genannt – wird es auch einen Klavier-Zyklus mit allen neun Beethoven-Sinfonien geben. Aufgeführt in den hinreißenden Transkriptionen von Franz Liszt.

Hélène Grimaud (Foto: Mat Hennek)
Neun Sinfonien an drei Abenden

Alle neun Klavier-Sinfonien, separat beginnend mit der »Neunten«, die Liszt für zwei Klaviere verfasst hat, sollen an nur drei Abenden erklingen, macht nach dem Auftakt also noch jeweils vier Sinfonien pro Konzert. Mit einem anderen Großvorhaben sorgten die Musikfestspiele bereits vorab für Schlagzeilen: Richard Wagners Tetralogie »Der Ring des Nibelungen« soll von Musikerinnen und Musikern des Dresdner Festspielorchesters sowie von Concerto Köln weitgehend im Originalklang aufgeführt werden, also auf historischen Instrumenten, konzertant und unter der musikalischen Leitung von Kent Nagano.

Dieses in der Tat höchst spannende und obendrein von musikwissenschaftlichen Forschungen begleitete Projekt soll sich auf die kommenden vier Jahre erstrecken. Vogler verspricht sich davon durchaus neue Erkenntnisse und Impulse: Wie könnte Wagners Musik zu seinen Lebzeiten geklungen haben? Welche Wirkmacht mag sich der Dichter-Komponist von dieser bis heute polarisierenden Tetralogie versprochen haben? Wie werden die damaligen Zeitgenossen diesen schon immer umstrittenen Meister und dessen Wirken wohl wahrgenommen haben?

Kent Nagano (Foto: Sergio Veranes Studio)

Der Auftakt zu diesem mit von der Bundesregierung dazu freigegebenen Steuermitteln geförderten Projekts setzt am 14. Juni 2023 »Das Rheingold«. Mit derartigen Höhepunkten klingt der kommende Festspieljahrgang durchaus recht klassiklastig, doch es bleibt wie in der Vergangenheit bei einem weiten Spagat der Genres.

Auch unter den Vorzeichen von »Schwarzweiß« soll Vielfalt unbedingt fortgesetzt werden. Da gibt es – ebenfalls im Klassikbereich – große Orchesterkonzerte mit Herbert Blomstedt und dem Chamber Orchestra of Europe. Zur Eröffnung spielen die Münchner Philharmoniker unter Tugan Sokhiev, es kommen die Filarmonica Arturo Toscanini unter Omer Meir Wellber, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks sowie das Nederlands Philharmonisch Orkest unter dem früheren Musikfestspiel-Intendanten Hartmut Haenchen, der nächstes Jahr seinen 80. Geburtstag feiert.

Dessen einstiger Weggefährte im Dresdner Kreuzchor, Komponist Udo Zimmermann, schuf mit der Kammeroper »Weiße Rose« ein bedeutendes Werk um den Widerstand von Sophie und Hans Scholl gegen den Nationalsozialismus. Mit Spannung darf nun die Uraufführung eines »Weiße Rose«-Projekts des US-Amerikaners David Chesky mit den Dresdner Sinfonikern erwartet werden.

Darüber hinaus gibt es auch Ausflüge in den Jazz mit Wynton Marsalis und setzen etwa Till Brönner und David Garrett weitere Kontraste. Neben reichlich Kammermusik sind zudem (überraschende?) Begegnungen mit Schauspielgrößen zu erwarten. Birgit Minichmayr wird als Sängerin zu erleben sein, Altmeister Klaus Maria Brandauer kommt mit dem Mozartorchester Salzburg als Rezitator von Shakespeare-Texten in Mendelssohns »Sommernachtstraum«.

»Culture for Future« 

Gewürzt wird diese Spannbreite unter anderem von einem schon länger geplanten, durch die Pandemie immer wieder verschobenen Auftragswerk von Sean Shepherd. Dessen Komposition »An einem klaren Tag – On a Clear Day« kommt nach ihrer Uraufführung in der New Yorker Carnegie-Hall und zwei Aufführungen in der Hamburger Elbphilharmie nach Dresden.

Derartige internationalen und in diesem Fall gar globalen Vernetzungen sollten künftig stärker bedacht werden, betonte Ulrike Jessel, die Verwaltungsdirektorin und Stellvertretende Intendantin der Musikfestspiele. Man wolle nachhaltiger werden, sowohl was die Mobilität des Publikums betrifft – die Eintrittskarten gelten daher nun auch für den Nahverkehr im VVO – als auch hinsichtlich der Reisewege von künstlerischen Gästen. Die engere Zusammenarbeit mit anderen Veranstaltern, die Abkehr von Einladungen zu einmaligen Konzerten hin zu Residenzen etwa des seit zehn Jahren existierenden Festspielorchesters seien gute Wege, um der Initiative »Culture for Future« gerecht zu werden.

Eine konkrete Ansage, die freilich der (schwarze) Dienstwagen der ebenfalls anwesenden Kultur- und Tourismusministerin Barbara Klepsch (Sachsen sei das Kulturreiseland Nummer eins, „damit schmücken wir uns“) konterkarierte. Der Chauffeur wartete in der freistaatlichen Limousine mit laufendem Motor vorm Haus. Soweit bekannt, hat sich niemand daran festgeklebt.

Nachdem die Dresdner Musikfestspiele im Frühjahr 2022 unter schwierigen Bedingungen realisiert wurden, der Vorverkauf erst im Februar starten konnte und zunächst nur begrenzte Platzkontingente freigegeben werden durften, hätten sie großen Zuspruch erfahren, so Jessel. Angesichts der Programmideen für 2023 dürften die hohen Erwartungen Jan Voglers womöglich realistisch sein: „Mein Ziel ist natürlich, vielleicht sogar einen ausverkauften Jahrgang zu schaffen. Das ist sehr ambitioniert, aber mit diesem Programm haben wir eine gute Chance.“

46. Dresdner Musikfestspiele, 18.5.- 18.6.2023

Vorverkaufsstart am Montag, 28. November, 10 Uhr.