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„In der Herkunft liegt die Kraft“

Der Komponist und Mitbegründer der Dresdner Sinfoniker Sven Helbig kombiniert auf seiner neuen Platte »Skills« elektronische Klänge mit klassischen Instrumenten. Wohl vertraut mit den großen Adressen der Musik- und Kunstwelt wie der Royal Albert Hall in London oder dem Radialsystem in Berlin, bleibt er fürs Release-Konzert in seiner Wahlheimat Dresden – und lädt in den Saal der Staatsoperette im Kraftwerk Mitte ein.

Sven Helbig, wir waren verabredet, um über Ihr neues Album »Skills« zu reden. Nun haben Sie gerade den Dresdner Kunstpreis verliehen bekommen. Herzlichen Glückwunsch!

Danke. Ich habe mich sehr gefreut, weil es meine Verbindung zu Dresden noch einmal manifestiert. Für mich war Dresden in den letzten Jahren immer mehr zur Wohnstadt geworden. Ich bin zugezogen aus Eisenhüttenstadt, und in den letzten Jahren gab es leider weniger Schnittpunkte. Mit dem Kunstpreis ist eine gewisse Aufmerksamkeit verbunden und ich hoffe, dass sich aus dieser Aufmerksamkeit neue Möglichkeiten zum Dialog und eine stärkere Arbeit zu Hause ergeben.

Zu Hause. Das ist ein gutes Stichwort. Sie sind international gefragt, arbeiteten mit Rammstein und den Pet Shop Boys. Für das Release-Konzert haben Sie sich für die Staatsoperette entschieden, die extra für Sie einen Samstagabend frei gemacht hat. Wie kam es dazu?  

Das war eine bewusste Entscheidung für die Dresden und auch für das Haus. Auf dem Album »Skills« geht es darum, wie kulturelle Fähigkeiten von Menschen an Wert gewinnen und auch wieder verlieren. Vom Porzellanmaler bis hin zum Algorithmenprogrammierer lösen sich Fähigkeiten ab, werden erst zur Perfektion getrieben und verlieren dann wieder an Relevanz. Plötzlich braucht man keine Glockengießer oder Fassbauer mehr. Auf dem Cover sieht man das. Da steht neben altem, perfekt gestalteten Krimskrams ein Impffläschchen – und all dies verbindet sich zu einem Vanitas-Motiv. Die Staatsoperette steht für mich genau für diesen Wandel. Da wird eine alte Kulturform, die ihre Blüte hatte, in ein Kraftwerk verlegt. Das Kraftwerk als Ort der Umwandlung und Umgestaltung. Als Haus ist die Staatsoperette Dresden auch damit beschäftigt, die alte Form in die neue Zeit zu führen und nicht ins Museale abzugleiten. Das trifft genau das Thema meines Albums.

Sie sprechen es an, das von Ihnen gestaltete Album-Cover zeigt ein Stilleben, das man nur auf den ersten Blick für ein historisches Gemälde halten kann. Da gesellt sich zu den historisch plausiblen Gegenständen ein Smartphone, ein Skateboard … 

Für mich war es das geeignete Bild, dem Thema des Albums nahe zu kommen. Ich hege schon lange eine Faszination für die menschliche Fähigkeit, mit Händen und Füßen immer wieder unglaubliche Dinge zu entwickeln, die vom Handwerk in die Kunst wachsen, die dann aber auch wieder überholt werden, weil sich Zeiten, Technologien und auch der Geschmack verändern. Über die Jahrhunderte gab es immer wieder etwas Neues. Der Weinrömer, die Kunst der Glasbläser. Irgendwann hat man vier Rollen an Bretter geschraubt. Das braucht man ja nicht, um sich fortzubewegen. Das ist eine Art, seinen Körper zu unglaublichen Dingen zu befähigen, um der Sache selbst willen. Ich war immer fasziniert von Menschen, die eine Meisterschaft anstreben. Vom Bogenschützen bis zum Schwertkämpfer. Das muss nicht immer der Klaviervirtuose sein. Eine einfache, perfekte Silikonfuge fasziniert mich.

Woher rührt dieses Interesse?

In meiner Familie gibt und gab es viele Handwerker. Im Wohnzimmer stand das Meisterstück meines Großvaters im Regal. Das war ein Kupferkessel, den er aus einen Stück mit dem Hammer getrieben hatte. Dieser Kessel ist der Mittelpunkt des Vanitas-Bildes, und er hat mich immer wahnsinnig angezogen, weil ich mir das gar nicht vorstellen konnte, wie jemand seine Fertigkeiten so auf die Spitze treiben kann. Und plötzlich braucht man es gar nicht mehr!

Der Kupferkessel als Mahnbild?  

Die Kultur in unserer Gegend schmilzt ja ab. Musik findet nur noch auf Bühnen statt, Kultur und Handwerk überwiegend in Schauwerkstätten. Das ist nicht das breite Kulturerleben. In den regional bedingten Familientraditionen da lebt das aber noch. Meine Eltern sind aus diesem sächsisch-thüringisch-anhaltischen Gürtel nach Eisenhüttenstadt gezogen, um die Planstadt zu bevölkern. Fernab der Heimat wurden die Familientraditionen noch viel intensiver gepflegt. Der Kloß als heiliger Gral des Weihnachtsfestes. Da lebt so etwas weiter.

Das Album ist entstanden aus der Frage, warum der Mensch das tut, warum er weiter macht. Will man etwas ewig Gültiges ertasten in Anbetracht der eigenen Endlichkeit? Es geht mir um diesen Antrieb, Dinge zu machen, das Manifeste zu suchen, selbst bei Menschen, die sich darüber wenig Gedanken machen.

Sie folgen auf dem Album dem Rosarium Philosophorum, einem alchemistischen Traktat, das wir aus einem Frankfurter Sammeldruck des 16. Jahrhunderts kennen. Was fasziniert Sie an diesem Text?  

Das Rosarium beschreibt in 10 Schritten den Weg zum Stein der Weisen, und diese zehn Schritte habe ich zum Fahrplan für »Skills« gemacht. Den Weg von der ersten Induktion, der ersten Anregung, also einer allerersten Begegnung, von der eine starke Faszination ausgeht. Da gibt es noch keinen Lebensplan oder berufliche Ziele. Dann als zweiter Schritt die Dedication, also die verstärkte Widmung. Ich widme dem jetzt Zeit und Aufmerksamkeit. Der dritte Schritt ist die Immersion, also die Vertiefung. Da vergisst man die Welt um sich herum, und die Beschäftigung wird immer tiefer und stärker. Ein sehr wichtiger Schritt ist die Wiederholung, Repetition. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen, weil man nicht mit jeder Wiederholung besser wird. Diese schwierige Erfahrung muss man aushalten können.

Und trotzdem braucht es diese teilweise ermüdende Wiederholung, um besser zu werden?

Genau, so wird aus einer mechanischen Arbeit etwas Anderes, etwas Künstlerisches, etwas Wertvolleres. Die Wiederholung führt aber auch zur Verzweiflung, Despair, wo man hinschmeißen will und sich fragt, bin ich gut genug, kann ich davon leben, ist das was für mich. Und auch das Umfeld, die Eltern sagen „Mach doch was anderes!“

Es klingt in Ihrere Beschreibung an, Sie denken den Weg des Rosarium als eine prototypische Biografie, als eine Suche im Leben?

Der achte Schritt, Lore, also das regionale Wissen und die Fähigkeiten sind da ein wichtiger Punkt. Die Tradition und wo man herkommt, also die Wurzeln, sind ein wesentlicher Antrieb. Die Klöße, der Kupferkessel… Ob man die Herkunft verklärt oder sie von sich wegstoßen will, in ihr liegt immer eine Kraftquelle. Und aus dieser Kraft kommt man in den neunten Schritt, den Flow, in dem eine gewisse Leichtigkeit entsteht. Und so kommt man zur finalen Transfiguration, zur Verklärung, wo etwas Erhabenes, etwas Gültiges entsteht. Dies ist der Zielpunkt. Ob der erreichbar ist oder nicht, ist eine andere Frage.

Beim Zuhören fällt mir auf, diese zehn Schritte sind im Kern auch eine ästhetische, eine musikästhetische Positionierung. Wie werden diese 10 Schritte auf dem Album Musik?

Mich interessieren klangliche Bilder für innere Zustände. Ich habe in diesem Album auf alle Virtuosität verzichtet. Es geht eben nicht um musikalische Skills, sondern um ein Färbung, einen inneren Zustand. Ich versuche, mir den Moment vorzustellen, in dem ich das erste Mal Musik wahrgenommen habe. Diese erste Vertiefung in mir, diese vielen sich senkenden Linien, die kanonisch durch alle Instrumente gehen. Alles sinkt und vertieft sich, aber am Ende steht auch so eine kleine Entdeckung: ein Hornthema, das dreimal wiederkehrt. Dabei bin ich kein musikalischer Materialforscher, der alles zerlegt und prüft, was man mit dem Material machen kann. Sondern ich suche nach einer Form, um das Thema, das mich interessiert weiter zu erzählen. Die Musik ist da das Hilfsmittel, fast wie im Film.

Sie sprechen von klanglichen Bildern und einer filmischen Musik innerer Vorstellungen. Wie wichtig ist Ihnen diese Verbindung von Gedankenwelt und Musik?

Es ist eine Musik, von der ich mir wünsche, dass sie Impulse gibt, ganz unabhängig von dem Thema oder dem Titel. Ich biete das Thema an, als eine Tür in die tiefere Ebene der Komposition, aber auch ohne diesen Weg des komponierten Gedanken funktioniert die Musik als eigene Welt. Bei den Sinfonien von Tschaikowski weiß man ja auch nur aus den Briefen an Frau von Meck, wovon sie handeln sollen. Man kann die Gedanken trotzdem ganz frei entfalten und der Expansion der eigenen Vorstellungswelt nachgehen. Man kann also die Gedanken, die ich beim Komponieren hatte, auch einfach umgehen. Diese mögliche Expansion ist mir ganz wichtig.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Premiere am 12. Februar 2022 in der Staatsoperette Dresden ist ausverkauft. Evtl. Restkarten an der Abendkasse.