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Herr Dorny, wie halten Sie’s mit dem Staatsballett?

Es ist ja in der Regel leider so. Egal, ob Ballettkompanien als eigenständige Sparten geführt werden oder (trotz eigener Direktion) der Intendanz eines Opernhauses oder Theaters unterstellt sind: zu einer konzeptionell abgestimmten, inhaltlich orientierten Zusammenarbeit kommt es selten. Dabei müssten dies ja nicht einmal aufwendige spartenübergreifende Kreationen sein. Wenn es dazu kommt, wie etwa in Zürich mit der grandiosen choreografischen Inszenierung von Verdis Requiem durch Christian Spuck, dem man es demnächst zutraut, sogar das Berliner Staatsballett aus der Dauerkrise zu führen, dann fragt man sich schon: warum agieren gerade diese so stark musikalisch grundierten Sparten an den Opernhäusern nebeneinander her?

Vladimir Jurowsky, Serge Dorny und Igor Zelensky (Foto: W. Hösl)

In München, unter dem neuen Staatsopernintendanten Serge Dorny (»Musik in Dresden« berichtete), könnte sich das nun ändern. Die Zusammenarbeit mit dem Staatsballett solle gestärkt werden, so Dorny, der dabei betonte, wie notwendig der gegenseitige Respekt ist. Nun wäre dies ja auch anders kaum vorstellbar, denn Vladimir Jurowski, der neue Generalmusikdirektor, ist dem Ballett sehr verbunden, hat ja sogar seine Karriere als Ballettdirigent begonnen. Wie er es vermag, gerade mit den Klassikern des Repertoires umzugehen, belegt etwa seine Einspielung von Tschaikowskis »Schwanensee«: „Der transparente Orchesterklang vermittelt zwischen Leichtigkeit und gebotener Kraft und setzt zugleich auf Homogenität im Bezug auf das Gesamtwerk. Jurowski arbeitet mit den Originaltempi, verwendet die ursprüngliche Orchestrierung und fokussiert sich ganz auf den emotionalen Charakter der Musik. Die Qualität der Aufzeichnung überragt“, so Johannes Budecke im Magazin „Concerti“. Und Daniel Hauser betont im Onlinemagazin „Opera Lounge“, „den Schwanensee orchestral selten derart überzeugend gehört zu haben“.

Dass nun der neue Münchner Generalmusikdirektor auch ankündigt, demnächst regelmäßig eine Neuproduktion des Staatsballetts pro Saison zu dirigieren, dürfte auch Igor Zelensky freuen, der 2016 die Leitung des Bayerischen Staatsballetts übernahm und dessen Vertrag bis 2026 verlängert wurde. Inzwischen gehört das Bayerische Staatsballett zu den bestens aufgestellten Kompanien in Deutschland und darüber hinaus. Nach anfänglichen Entrüstungen darüber, wie es Zelensky wagen könne, zu Beginn seiner Direktion mit dem Ballett »Spartakus« von Aram Chatschaturjan in der Moskauer Bolshoi-Choreografie von Juri Grigorowitsch aus dem Jahre 1968 ausgerechnet diesen sowjetischen Klassiker in München zu präsentieren, zeigte sich bald, dass dies nicht zuletzt vor allem konzeptioneller Aufmerksamkeit geschuldet war. Dabei machte Zelensky ja im Hinblick auf das übernommene Repertoire, vor allem bei den Choreografien der Klassiker, keinen Kahlschlag, wie man es leider immer wieder bei Direktionswechseln erlebt. Erst mal alles weg, nach dem Motto, ich mache alles neu und lasse in eigenen Inszenierungen Klassiker künftig an der Isar spielen, um somit etwa »Schwanensee« in die Gegenwart zu holen. Nein, Zelensky weiss das übernommene Münchner Repertoire zu schätzen, und dies natürlich nicht zuletzt dahingehend, was die hohe Qualität der klassischen Techniken des gesamten Ensembles angeht. Nur so ist es möglich, dass sich immer wieder zu verpflichtende Gastsolistinnen und Solisten hier einfügen können, ohne den unbedingt nötigen Gesamteindruck einer Ballettkreation aufzubrechen.   

Andrey Kaydanoewskiy (Foto: Susanne Schramke)

Also, auch zu erleben in der Ballettfestwoche der neuen Saison, »Giselle« von Peter Wright, »Schwanensee« von Ray Barra, natürlich jeweils auf den Grundlagen klassischer Originale, oder »Coppelia« von Roland Petit, »Ein Sommernachtstraum« von John Neumeier, »Jewels« von George Balanchine bleiben im Repertoire. Und gut zu sehen, wie sich dieses erweitert, sich der Bogen spannt, vom 19. über das 20., nun bis hin in die Gegenwart des 21. Jahrhunderts. Etwa mit der jüngsten Uraufführung des großen Handlungsballetts »Der Schneesturm« nach der Erzählung von Puschkin zur Auftragskomposition von Lorenz Dangel in der Choreografie von Andrey Kaydanowkiy. Im April dieses Jahres erst mal online, nun live am Nationaltheater, und natürlich auch im Rahmen der Festwoche. Mit 34 Jahren dürfte Andrey Kaydanowkiy zudem einer der jüngsten Hauschoreografen hier sein, wohin ihn sein künstlerischer Weg nach der Ballettausbildung in Moskau, Stuttgart und Wien führte (wo er als Tänzer beim Wiener Staatsballett engagiert war und als Choreograf auf sich aufmerksam machte).

Zu »Der Schneesturm« als neuester Kreation des Repertoires gehört auch der zuvor zur Premiere gebrachte dreiteilige Abend »Paradigma« mit zeitgenössischen Werken von Russel Maliphant oder Sharon Eyal. Tragischerweise wurde die Münchner Einstudierung der Choreografie »With a Chance of Rain« von Liam Scarlett gewissermaßen zum Requiem für den Choreografen, der kurz zuvor im Alter von nur 35 Jahren verstorben war. Scarlett, der als Choreograf des Royal Ballet zu den großen Hoffnungen der Gegenwart gehörte, war tief gestürzt. Man hatte ihn in London fristlos entlassen, nachdem Anschuldigungen wegen sexuellen Fehlverhaltens bekannt geworden waren. Obwohl die Anschuldigungen später wieder zurückgenommen wurden, setzten das Münchner Haus und alle anderen Häuser ebenfalls seine Choreografien sofort ab, geplante Premieren wurden abgesagt. Zelensky erntete natürlich auch für seine Entscheidung Widerspruch. Das konnte ihn aber nicht davon abhalten, diese Arbeit weiter im Repertoire zu halten und demnächst auch live zu zeigen. Auch bei tragischem, streitbarem Hintergrund: es gilt gerade hierzulande, mit den Erfahrungen des letzten und des aktuellen Jahrhunderts, sich den Frage nach der Menschlichkeit der Künstler zu stellen und zu fragen, wie sich die Verhältnisse zwischen den Schöpfungen und ihren Schöpfern definieren lassen.

»Der Schneesturm«. Choreografie: Andrey Kaydanoewskiy (Foto: Marie-Laure Briane)

Wenn das keine Voraussetzungen sein sollten für eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen einem Opernintendanten wie Serge Dorny und dem Ballettdirektor, einem Generalmusikdirektor, der künftig auch seine Töne dazu geben wird, was sonst? Ist es nicht auch ein höchst kreativer und zukunftsfähiger Gedanke, die Pläne des Staatsballetts mit denen der Staatsoper zusammenzuführen? Beide leiten uns auf der Grundlage des jeweiligen Repertoires direkt in die Gegenwart, in das 21. Jahrhundert. 

»Paradigma«: »With a Chance of Rain« (Choreografie: Liam Scarlett). Foto: W. Hösl

Weil es schon mit dem Ballett »Alice im Wunderland« in der Choreografie von Christopher Wheeldon mit der Musik von Joby Talbot und Nicholas Wright so wunderbar gelang, ganz großes Bild- Ballett- und Klangtheater für die ganze Familie auf die Bühne zu bringen, folgt in der neuen Saison eine Fortsetzung: am 19. November, mit »Cinderella« von Sergej Prokofjew. Und weil Kinder Märchen brauchen, Erwachsene aber erst recht, und es am besten ist, wenn sie sich gemeinsam mal so gehen lassen können, wenn die Erfahrungen des Alltags völlig aus der Reihe tanzen dürfen, dann sind sie richtig in diesem Ballett von Christopher Wheeldon, demnächst in München, mit dem Bayerischen Staatsballett.

Ganz zeitgenössisch und gegenwärtig dann der dreiteilige Abend »Passagen«, der am 26. März des nächsten Jahres, seine Premiere feiern wird. Hier ist es Igor Zelensky tatsächlich gelungen, drei der gegenwärtig angesagtesten Choreografen, deren künstlerische Ansätze, Stile und Formen nicht unterschiedlicher sein könnten, in einen ästhetischen Dialog der zeitgenössischen Ballettkunst zu führen; Ausgang zwar offen, aber eben nicht ungewiss. Dafür stehen nicht zuletzt die Namen David Dawson, Marco Goecke und Alexej Ratmansky.

So beginnt die Zukunft heute. Jeder Tänzer ein König, jede Tänzerin eine Königin, dazu das königliche Publikum im Parkett und sicherlich demnächst auch auf Straßen und Plätzen in München. Alles Adel? Klar doch, Kunstadel, was denn sonst!