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Jeder ein König

Foto: Julian Baumann

„Jeder Mensch ein König“, sagt Serge Dorny und präsentiert als neuer Intendant der Bayerischen Staatsoper das Programm der ersten Saison. Das könnte ein richtig guter Start werden!

Eben, weil jeder Mensch ein König sei, was Diversitäten, Differenzen und vor allem Unterschiede verschiedenster Arten und Herkünfte einschließe, sei eben der Widerspruch genau die inspirierende Kraft, „uns für verschiedene Perspektiven zu sensibilisieren, denn wir sind alle unterschiedlich, wir sind alle Menschen“, so Serge Dorny im Hinblick auf das für ihn als Motto gewählte Zitat von Dezső Kosztolányi. In der Süddeutschen Zeitung vom 11. Juni bilanziert Rita Argauer nach Vorstellung der neuen Saison durch Serge Dorny als künftigem Intendanten und Vladimir Jurowski als neuem Generalmusikdirektor: diese beiden setzten viel weniger „auf Glamour und Star-Qualitäten. Sie kehren viel mehr einen grundlegenden, mutigen und erdenden Humanismus heraus.“

Spielzeitpräsentation 21/22 im „White Space“ (mit BR-Redakteur Bernd Neuhoff). Foto: W. Hösl

Die Autorin sieht darin eine Chance, wenn Dorny deutlich macht, dass man den Menschen in seinem Suchen und in seinen Unterschieden zeige, „als nackten Menschen“. Die greifen die angekündigten Neuproduktionen auf, und es sei ja eigentlich eine Chance, „auf beliebte Komponisten wie Verdi oder Stars wie Jonas Kaufmann zu verzichten. Stattdessen geht es um gesellschaftliche und politische Fragen, hauptsächlich in der Musik des 20. Jahrhunderts.“ Dorny spreche sogar von einer „Feier des 20. Jahrhunderts“.

Aber, so Serge Dorny in einem Interview auf der Seite der Bayerischen Staatsoper, die Musik der „vergangenen hundert Jahre ist viel zugänglicher, als wir oft denken.“ Die Unterscheidung zwischen der Vergangenheit, der sogenannten „Klassik“, und zeitgenössischer Musik sei auch gar nicht so entscheidend. Für ihn sei letztlich ja alle Musik, „die wir hic et nunc hören“, zeitgenössisch, ob sie nun von Claudio Monteverdi oder Georg Friedrich Haas stammt“.

Mit dem Komponisten Georg Friedrich Haas, geboren 1953 in Graz, verbindet sich neben den traditionellen Opernfestspielen ein neues Festspielformat, »Ja, Mai – DAS NEUE FESTIVAL« in dem jeweils ein zeitgenössischer Komponist vorgestellt wird. Im Mai nächsten Jahres, Georg Friedrich Haas mit drei Opern deren Libretti Klaus Händl schrieb: »Bluthaus«, von 2011, »Thomas« (2013) und »Koma« (2016), alle uraufgeführt im Rahmen der SWR-Festspiele in Schwetzingen. Spannend dürfte es es ein, wenn diese Werke in einen ästhetischen Dialog mit Werken Monteverdis geführt werden. Und noch ein drittes, ein weiteres neues Festspielformat wird angekündigt, bezogen auf die gesamte Saison, vom Nationaltheater, gewissermaßen die Stufen hinab, in die Stadt und dann wider zurück ins Theater, die Stufen hinauf, Ehrfurcht als Hemmschwelle gilt es zu vergessen.

Ausgangspunkte für diese jeweils zu entwickelnden diskursiven Formate sind die Themen der Opern- und Ballettproduktionen. Man wolle sich dabei „mit den vielfältigen Stimmen und Perspektiven der Stadtgesellschaft“, verbinden, „um den Wirkungskreis der Oper zu erweitern. Von der Bühne zum Alltag der Bevölkerung und wieder zurück“. Serge Dorny spricht in diesem Zusammenhang von „produktiver Irritation“, und die wird „umso größer sein, je vielfältiger das Publikum ist.“ Auf die Frage, ob denn die mit solchen und weiteren Formaten und Angeboten angestrebte Vielfalt des Publikums mit den Ansprüchen der Oper als Kunstform zusammenpassen, sagt Dorny: „Für mich ist Vielfalt eine ganz grundliegende Anforderung und Exzellenz kann nicht ohne Offenheit erreicht werden.“ Er wolle ja auch nicht ein Publikum durch das andere ersetzen, sondern, „das Publikum“ erweitern. Für ihn müsse angesichts der Situation, dass sich unsere Vorstellungsmöglichkeiten im Laufe unseres Lebens verändern, dass jedem Menschen ein Kulturverständnis eigen sei, aber eben nicht fixierbar, das Theater in der Lage sein, „auf diese individuelle Bandbreite zu reagieren.“

Von einer „kulturellen Evangelisierung“ hält er gar nichts, schon gar nicht von einer „Bekehrung oder Belehrung von „denen da draußen“. „im Gegenteil“, so Dorny, „der Prozess muss mit einem Blick auf uns selbst beginnen: „Wir müssen uns als Institutionen öffnen.“ Und dies angesichts der Einsichten, „dass man angesichts der Probleme und der Komplexität unserer Welt der Menschen durch die Oper keine vorgefertigten Antworten finden kann, sondern im Idealfall Wege der Reflexion und der Vertiefung.“ Damit dürfte nun aber die Neugier so geweckt wie gerechtfertigt sein, für welche Werke des Musiktheaters im letzten Jahrhundert in der Antrittssaison des neuen Münchner Opernintendanten Serge Dorny und des ebenfalls neuen Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski sich der Premierenvorhang heben wird.

Foto: Wilfried Hösl

Die erste Premiere gilt Dmitri Schostakowitschs Oper »Die Nase« nach einer Novelle von Gogol. Vladimir Jurowski steht am Pult, Regie führt noch immer von Moskau aus, Kirill Serebrennikow. Die russische Tradition des Absurden geht weit zurück, immer als Reaktion auf Zensur und Diktatur, nicht selten mit einer langen Nase, die sogar wider alle Natürlichkeit das Gesicht verlassen und sich selbständig machen kann.

Wenn nun ein so unbeugsamer Künstler wie Serebrennikow ein solches Werk zu Beginn einer Neuausrichtung eines der bedeutendsten Opernensembles, nicht nur in Deutschland, zudem aus seiner ebenfalls absurden Situation erzwungener Abwesenheit inszenieren wird, dann könnte auch die Provokation des Lachens Visionen der Hoffnung und der Unbeugsamkeit, grundiert mit der Musik Schostakowitschs und dem schrägen Humor Gogols, eine sichtbare Lücke am Horizont weltweiter Unfreiheiten aufzeigen.

Wie frei es dann darauf in einer Operetteninszenierung zugehen wird, bleibt eine spannende Frage. So oder so, anders oder ganz anders, heiter auch, aber vielleicht erst auf den zweiten Blick oder mit dem dritten Ton, oder erst wenn man auch die Untertöne wahrnimmt, könnte es werden, wenn Christoph Marthaler »Giuditta« von Franz Lehár mit dem Text von Franz Löhner-Beda inszeniert. Na, ja, da war doch was, klar, Lehár und Hitler, der mochte den Komponisten, besonders »Die lustige Witwe«, seine Lieblingsoperette, den Librettisten Franz Löhner-Beda mochte er wohl nicht, er wurde in Auschwitz umgebracht. 

„Jeder Mensch ein König“ – Shakespeare lässt grüßen, Kunst von gestern gibt es nicht!

Und weiter geht´s dann mit » Das schlaue Füchslein« von  Leoš Janáčeks. Da dürfte doch Barry Kosky als Regisseur genau der Mann sein für dieses Meisterwerk dieser melancholischen, tragikomischen Heiterkeit über den Kreislauf der Natur! Am Pult die litauische Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla, die an der Leipziger Hochschule für Musik studierte. Ihr Weg als Operndirigentin begann auch in Deutschland. Zu ihren Lehrern zählen Kurt Masur und Herbert Blomstedt oder Peter Gülke, bei denen sie Meisterkurse belegte. Dann geht es steil aufwärts, inzwischen Chefdirigentin beim City of Birmingham Symphony Orchestra und erste Frau in einer Chefposition im Vereinigten Königreich. 

Leider selten zu erleben seit einigen Jahren hier: »Peter Grimes« von Benjamin Britten. Diese Oper dürfte zu den Schlüsselwerken des 20. Jahrhunderts zählen, geht es doch um das Los eines Außenseiters, eines einsamen Menschen, der zum Opfer von Vorurteilen wird, zum Sündenbock einer Gesellschaft, die keine Abweichungen ertragen kann. Dorny konnte Stefan Herheim als Regisseur gewinnen. Mit dem britischen Dirigenten Edward Gardner dürfte auch ein Fachmann am Pult stehen, wenn es darum geht, aus scheinbar einfachen Elementen expressive Klangvarianten zu entwickeln.

»Les Troyens« von Hector Berlioz wurde zwar bereits noch im 19. Jahrhundert in sonderbarer Abfolge in Paris uraufgeführt, die Akte III bis V, 1863 in Paris und ebenda, elf Jahre später die ersten beiden Akte. Und dann sind wir doch im 20. Jahrhundert, denn nach einer konzertanten Aufführung des ganzen Werkes, 1890, fand 1969, an der Scottish Opera Glasgow die erste Aufführung dieser Oper statt. 

Christophe Honoré, der französische Theater- und Filmregisseur wird nun gemeinsam mit dem Dirigenten Daniele Rustioni, in München ja nicht unbekannt, dieses mythologischen Monumentalwerk über die Belagerung Trojas in die Wahrnehmungsmöglichkeit der Gegenwart führen.

Und zum Finale dieser Saison, dann zur Eröffnung der Opernfestspiele, im Hinblick auf den Komponisten,  der Blick nach Osten, wo ja ohnehin die Mitte liege, so der Berliner Historiker Karl Schlögel, nach Polen mit Krzysztof Penderecki: »Die Teufel von Loudon«. Es geht in dieser Handlung, die in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts spielt, um Verleumdung, Exorzismus und religiösen Wahn, letztlich in der tödlichen Konstruktion einer unmenschlichen Intrige. Das Werk in deutscher Sprache wurde 1969 in Hamburg uraufgeführt, der Text von Erich Fried nach Aldous Huxley überführt mit der Musik, die extreme Möglichkeiten der Klangvarianten nutzt und somit vom Sound her ganz bewusst aus dem 17. Jahrhundert ins 20. führt. Am Pult – das ist Chefsache – Vladimir Jurowski, Simon Stone, erfahren als Theater-, Film-, und natürlich Opernregisseur, ist für die Kraft des szenischen Kontextes angesichts der Erfahrungen im 21. Jahrhundert zuständig.

Die Opernfestspiele, zum Abschluss der ersten Saison in neuer Direktion, werden zudem noch einmal im Kontext einer Auswahl des Repertoires alle Neuproduktionen präsentieren und dazu dann, gewissermaßen zum Abschluss – wurde ja auch 1942 hier uraufgeführt – »Capriccio« von Richard Strauss. Mit Lothar Koenigs dürfte der richtige Mann am Pult stehen. Mit David Marton wird ein Regisseur zu erleben sein, an dessen Dresdner Debüt, 2010, am Schauspielhaus, wo er seine ganz eigene, letztlich aber total überzeugende Fassung von Alban Bergs »Lulu«  auf die Theaterbühne brachte, ohne den 12-Tonsound auszublenden, man sich hier lebhaft erinnert. Ein Jahr später, wieder am Schauspielhaus, seine wunderbare Fassung von Richard Wagners Rheingold. „Wunderwerk an Überraschungen“ schwärmte Michael Lages in der Nachtkritik, „Randvoll mit Theaterglück“. Leider wurden hier in Dresden nicht aller guten Dinge drei: zu einer weiteren Verpflichtung des Regisseurs kam es nicht. Aber wenn nun das ja wirklich gar nicht so leicht zu inszenierende Konversationsstück für Musik, eben dieses »Capriccio« von Richard Strauss, auch endlich endlich mal zu einem „Wunderwerk der Überraschungen, randvoll mit Theaterglück“, würde, das wär´s doch im Hinblick auf Dresden für David Marton, Strauss und Dresden, da klingelt es doch auch!  

Und am Ende, die Zeichen stehen ja nicht schlecht, für diese „Feier des 20. Jahrhunderts“, die sich Serge Dorny wünscht. Wenn die Feier steigt, Glück hoch drei für München. Dresden sollte eben nicht sein.