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Da gehen wir zusammen durch

Ein Shitstorm umtost die Jazztage Dresden derzeit, oder genauer: ihren Intendanten Kilian Forster. Der hält trotzig an seiner Wieder-Einladung an einen umstrittenen Schweizer Publizisten fest – und droht so, sein seit Jahren unterfinanziertes Festival endgültig ins Abseits zu steuern.

Der Ankündigungstext klingt diesmal unverdächtig. „In seinen Vorträgen geht es Dr. Ganser hauptsächlich um den Weltfrieden,“ heißt es dort, „denn der Frieden ist die Basis einer gesunden Entwicklung in jedem Land, in jeder Gemeinschaft und eben auch in der Familie.“ In der Tat verbreitet der grundsympathisch wirkende Schweizer Daniele Ganser dieser Tage als Redner simple und mehrheitsfähige Pointen – nachdem er auf den letzten Jazztagen noch die großen Hits spielte, für den ihn die 9/11-Truther-Gemeinde seit Jahren feiert. Etwa in dem Vortrag, der auf der Jazztage-Webseite verlinkt ist: um Angst geht es da. Ganser legt dort lang und breit dar, warum er glaubt, die US-Regierung sei an den Geschehnissen des 11. September 2001 beteiligt gewesen oder habe die Anschläge mindestens „absichtlich zugelassen“, färbt diese ganze Erzählung allerdings durchweg sehr persönlich, gibt sich als Schmerzensmann, der die Wahrheit auch sagt, wenn ihm das persönlich schadet. Und am Ende sagt Ganser dann:

Wenn Sie in einer Position sind, wo Sie jemanden unterstützen können, der unter Angst leidet – ich litt damals [nach der Veröffentlichung der umstrittenen 9/11 Thesen] sehr unter dieser Angst –, dann können Sie ihm die Angst nehmen, indem Sie ihm sagen: Das schaffen wir! Da gehen wir zusammen durch. Kann auch sein, Sie sind irgendwie mit dem Sohn am steilen Hang, mit dem Snowboard, er sagt, da komm ich nie runter, und Sie sagen, doch, das schaffen wir, komm, wir rutschen mal in den Hang rein. Wenn man es zusammen macht, kann man viel mehr machen als alleine. Applaus brandet auf.

Es ist ein einzigartiger Mix, mit dem Ganser seine Gemeinde fesselt: fast undurchschaubar komplexe Themen wie die politische Gemengelage im Syrienkrieg werden auf Gut-Böse-Dichotomien heruntergebrochen und mit leicht verdaulichen Kalendersprüchen verquirlt. So zieht Ganser, von den von ihm kritisierten Mainstream-Medien weitgehend kritisch betrachtet oder gleich ignoriert, ein großes Publikum an. Und genau das ist mit Sicherheit der Grund, warum Forster ihn dieses Jahr wieder zu seinen Jazztagen eingeladen hat: der Mann ist ein Quotenbringer, zumal – es schmerzt, das zu schreiben – in Dresden. Weniger einträgliche Veranstaltungen des Festivals, so lese ich Forsters Antworten auf seinem Facebook-Account, werden von den Ganser-Shows querfinanziert: „Der Auftritt von Daniele Ganser hat den Jazztagen letztes Jahr mehr geholfen als der Freistaat Sachsen“, schreibt der Intendant.

An sich ist diese Art der kulturellen Mischfinanzierung überhaupt nicht neu; die De-facto-Intendantin des Kulturpalastes, Frauke Roth, praktiziert sie genauso wie der Tigerbändiger André Sarrasani, wenn er in der Sommerpause in sein Varietézelt eine Leichenshow einlädt (BILD wortpinselte damals: Wo sonst Eismeerlachs auf Fenchel-Graupen-Risotto oder Perlhuhnbrust an feinen Holunderkräutern gereicht werden, gibt es ab Freitag Herz, Lunge und Niere). Das Problem liegt woanders: nämlich im neurechten Nimbus des Vortragenden. Und der passt eben so gar nicht zu der weltoffenen, toleranten, ergo linksgrün-versifften Jazzszene.

Warum Gansers Vortrag bei den letzten Jazztagen da nicht für mehr Widerspruch sorgte, ist für mich das eigentliche Rätsel der Geschichte. Waren die Veranstaltungen des Festivals für die Dresdner Neuesten Nachrichten letztes Jahr überhaupt noch berichtenswert? Eine Besprechung des Ganserschen Abends findet sich jedenfalls nur beim damaligen und jetzigen Medienpartner, der Sächsischen Zeitung; Oliver Reinhard wohnte dem Vortrag damals bei und schrieb mit einer Unlust, die seine Rezension »Obama? Ein Kriegsverbrecher!« (18.11.2019, online hier) deutlich durchzog.

Um das Budget der Jazztage Dresden auszugleichen, verschließt Kilian Forster nun die Augen. Etwa vor dem antisemitischen Geschwurbel, das die Fans im Kielwasser von Gansers Vorträgen weiterverbreiten. Und vor der Kritik, die in wachsender Lautstärke dieser Tage von Jazzmusikerinnen und Jazzmusikern, aber auch von manchen Gästen bei den Jazztagen anbrandet. Trotzig argumentiert der Intendant sich immer weiter ins Abseits, und er wird von da aus noch zu argumentieren wissen, die „Jazzpolizei“ habe sein Festival auf dem Gewissen.

Wir wissen es besser.

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