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Etwas fehlt.

»Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny« kam schon 1962 in Radebeul zur Aufführung, erstmals zu DDR-Zeiten. 1995 inszenierte Joachim Herz das Werk erneut an seiner ersten Wirkungsstätte. Und nun ist »Mahagonny« zum dritten Mal in Radebeul zu sehen. Die drängenden Themen, die hier verhandelt werden, sind aktueller denn je. Aber der Regisseur Manuel Schöbel weiß mit dem Stoff einfach nichts anzufangen.

Es versteht sich von selbst, dass ein Rezensent sich provokanten Störaktionen, wie sie etwa von der Uraufführung von »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny« aus Leipzig überliefert sind, niemals anschließen sollte. Wird er ungewollt Teil der Inszenierung (wir erinnern uns an Stadelmaier va. IM »Beckett« oder die »Holländer«-Premiere an der Leipziger Oper, als eine vom Regisseur Michael von zur Mühlen gedungene Prostituierte sich vor dem Autor – ja, ähm, prostituierte), so hat er Contenance zu wahren und wenn möglich noch gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Und niemals, niemals sollte er eher gehen als der Rest des Publikums. Auch in ausweglosen Situationen, wenn etwa das Stück abgebrochen wird und große Teile des Publikums brüllend den Saal verlassen (wieder Leipzig, »Holländer«), hat er auszuharren und darf die Rezension zur Kriegsberichterstattung umschreiben. Das gebietet schon die Achtung vor den Künstlern auf der Bühne, vor denen dahinter und vor denen im Graben, die bei sicherlich wechselnder Tagesform doch zumeist das Allerbeste geben.

Dass ich am Samstag nach dem ersten Akt die Premiere von »Mahagonny« verließ, soll die Leistung der erwähnten Künstler nicht schmälern, und es geschah auch nicht im Affekt. Es war die Achtung vor dem Werk, die den Ausschlag für meine Flucht gab. Die Bewunderung für dieses Schlüsselwerk der Theatergeschichte, für die vielschichtige und anspielungsreiche Musik Kurt Weills, die Brechtschen Texte, die legendären Namen, anhand derer sich die Aufführungsgeschichte erzählen lässt.

Foto: Pawel Sosnowski

Vielleicht saß Intendant und Regisseur Manuel Schöbel wie ein Kaninchen vor der Schlange »Mahagonny«. Vielleicht wusste er um die Symbolik der Wiederaufführung gerade an dem Haus, an dem 1962 die erste Inszenierung der DDR-Zeit auf die Bretter kam (die Presseinformation erwähnt den 70. Todestag Weills, obwohl der noch ein ganzes Weillchen hin ist). Gerade in diesen Zeiten, da der Raubtier-Kapitalismus schlimmer grassiert als in den Zwanzigern, da Trumpisten auf Thunberg treffen, Putinisten, Neostalinisten, Neoliberalisten und Klimawandelleugner in großen Meinungsblasen mit ihresgleichen heulen und Jeff Bezos und Elon Musk derweil die größten Haufen machen. Vielleicht wollte er das alles irgendwie unterbringen.

Und dann diese genialen Texte. Schon der Anfang. „Halloh, wir müssen weiter!“ / „Aber der Wagen ist kaputt.“ / „Ja, dann können wir nicht weiter.“ / Aber wir müssen weiter!“ / „Aber vor uns ist nur Wüste.“ / „Ja, dann können wir nicht weiter.“ / „Also müssen wir umkehren.“ / „Aber hinter uns sind die Konstabler.“ / „Ja, dann können wir nicht umkehren.“ Und so weiter. Die berühmt-berüchtigten Bonmots von »Mahagonny«: „Ich muss hinlangen, damit ich weiß, ob das Liebe ist bei mir.“ „Man raucht. Man schläft etwas. Man schwimmt. Man holt sich eine Banane! Man schaut das Wasser an. Man vergisst. Aber etwas fehlt.“ „Schlimm ist der Hurrikan. Schlimmer ist der Taifun. Doch am schlimmsten ist der Mensch…“

All dies wird in der neuen Inszenierung in Radebeuler Bühnensprache gebracht, während sich das Orchester unter Hans-Peter Preu tapfer durch die Partitur beißt. Heißt: ein großes, mit Videosequenzen bespieltes Portal stellt die Bühne zu und macht die Räume eng. Der Chor simuliert eine Art Stellprobe, während die Tontechnik versucht, die verdammten Mikroports (wieso eigentlich Mikroports?) mal leiser, mal lauter zu stellen. Und die Solisten probieren sich mal besser, mal schlechter an der Aussprache schwieriger Konsonantkombinationen und schwanken zwischen verruchter Deklamation und übertrieben opernhafter Koloratur (mit Schwerpunkt auf letzterem, zu unpassenden Zeitpunkten). Was fehlt? Oh, so viel. Ironie. Tiefe. Humor. Liebe. Anspielungen. Erkenntnis. Verständnis. Drive. Proportion. Hintersinn. Überhaupt Sinn.

Als ich dieses Theater betrat, um mir mit Geld Freude zu kaufen, war mein Untergang besiegelt.
Jetzt sitze ich hier und habe doch nichts gehabt.
Die Freude, die ich kaufte, war keine Freude und die Freiheit für Geld war keine Freiheit.
Ich aß und wurde nicht satt, ich trank und wurde durstig.
Gebt mir doch ein Glas Wasser!

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