Er stand in seinem Garten, wies ins Grüne und auf die frühlingshafte Blütenpracht, auf der einen Seite das Elbtal, vor sich der Boselblick, auf der anderen Seite die freie Sicht ins Grüne. Andreas Baumann hat sie gepriesen – und musste doch darum bangen, dieses Idyll nicht mehr allzu lange genießen zu können. Der schmal gewordene Mann war von seiner schweren Krankheit gezeichnet, von quälenden Behandlungsfehlern und den Nebenwirkungen der Medikation. Am schlimmsten litt er inzwischen wohl unter den damit verbundenen Hörproblemen.
Dass man im Gespräch mit Andreas Baumann zuletzt etwas lauter werden musste, war keine Hürde. Er sprach immer noch gern von seinem Leben, das der Regisseur und Pädagoge ganz und gar der Musik, dem Musiktheater gewidmet hatte. Doch dass ausgerechnet er die Musik nicht mehr hören konnte, er, der zeitlebens ein solch feines Gespür für die Notation und ihre Bedeutung gehabt hatte, wirkt geradezu tragisch. Die umfangreiche Sammlung vielfältiger Aufnahmen, die verbliebenen Kulturprogramme im Radio sowie die rar gewordenen Fernsehbeiträge mit sinnhaften Bezügen, sie waren für ihn mit enervierenden Störgeräuschen verbunden. Auf tragischste Weise musste er sich von den klangvollen Inhalten seines Metiers verabschieden.
Andreas Baumann hat über Jahrzehnte für die Oper gewirkt und die mitteldeutsche Opernlandschaft mitgeprägt. Als Operndirektor und Prorektor war er durch und durch ein Mann des Musiktheaters und wurde dafür zuletzt als Ehrensenator der Dresdner Musikhochschule gewürdigt. Dort hat er mehr als vier Jahrzehnte lang unterrichtet, die Opernklasse geprägt und geleitet, die es ohne ihn in der heutigen Form wohl kaum geben würde. Praxisbezogene Probebedingungen sowie unvergessliche Aufführungen am Kleinen Haus des Staatstheaters boten im Laufe der Jahre Hunderten von Studierenden ein Rüstzeug für ihr künstlerisches Berufsleben mit auf den Weg. Zuvor arbeitete Andreas Baumann am Theater Meißen, an den Landesbühnen Radebeul sowie an der Staatsoperette Dresden, unternahm Gastspiele auf deutschen, schweizerischen und italienischen Bühnen, war Spielleiter in Chemnitz, das damals noch als Karl-Marx-Stadt bezeichnet worden ist.
Besonders prägend ist Baumanns Zeit als Operndirektor in Halle gewesen. „Wir haben damals in Halle eine unglaubliche Aufbruchsstimmung gehabt. In diesen Jahren hat sich meine Haltung zur Regiearbeit eigentlich so richtig entwickelt, denn wir haben mit großer Sorgfalt, großer Gewissenhaftigkeit und auch mit großem Respekt vor dem Werk Schichten abgetragen und sind zu wirklich neuen Erkenntnissen gekommen. Haben erfahren, wie das ist, wenn man der Musik mehr an Informationen für die Szene entlockt.“ Mit diesen Sätzen erinnerte er sich im Mai aus Anlass des 70. Geburtstags an die künstlerische Vergangenheit. Sein Rüstzeug für das Musiktheater hatte Andreas Baumann einst bei Götz Friedrich und Hans-Jochen Irmer studiert. Zum Jubiläum erinnerten sich einstige Weggefährten mit großer Wertschätzung an den allseits geschätzten Theatermann.
Mit seinen großen blauen Augen stand er damals in seinem Garten, hatte den bevorstehenden Abschied wohl schon geahnt. Viel zu früh ist es nun tatsächlich dazu gekommen – am Freitag ist Andreas Baumann gestorben.