Scroll Top

»Julius Caesar« mit Eingriff

Wir schreiben das Jahr 48 v. u. Z., das bedeutet „vor unserer Zeitrechnung“ und ist konkreter als die Legenden des religiös verquasten „v. Chr.“, von dem zwar alle irgendwie wissen, was damit gemeint sein soll, aber niemand sagen kann, was es mit einer realen Zeitangabe zu tun haben könnte.

Vor 2067 Jahren also waren ausgewählte Regenten innerhalb der Menschheit schon ähnlich dekadent wie die Twitter-Fürsten von heute. Sie beriefen sich auf diverse Götter und gaben vor, von ihnen auserwählt zu sein. Salben ließen sie sich freilich von Sklaven und Huren. Aber das ist ein anderes Thema. In diesem lange vergangenen Jahr jedenfalls sollte der römische Kaiser Julius Caesar von seinem ägyptischen Kollegen Ptolemäus aus dem Wege geräumt, also umgebracht werden. Meister Pharao rechnete allerdings nicht mit seiner cleveren Schwester Cleopatra, der er rein machttechnisch de facto gleichgestellt war. Obwohl sie ja nur eine Frau gewesen ist. Das mit der Gleichberechtigung war damals folglich fast so sehr auf den Hund respektive die Hündin gekommen (global gesehen) wie heute. Nur dass Cleo wesentlich (!!!) schöner und verführerischer gewesen sein soll als sämtliche derzeitige Regentinnen und First Ladies zusammen.

Das mit der Legendenbildung ist freilich ein Thema für sich und soll hier nicht eingehender untersucht werden. Könnte ja heftig zuungunsten der Gegenwärtigen ausfallen. Springen wir trotzdem ins Heute und gleich wieder knapp 300 Jahre zurück. 1724 nämlich (u. Z., versteht sich!) hat ein Komponist namens Georg Friedrich Händel, der sich damals wohl schon George Frederic Handel genannt haben dürfte, in London die (später noch überarbeitete) Oper »Giulio Cesare in Egitto« herausgebracht. Womit wir nun endlich im Heute angelangt wären.

Denn direkt in aktuellen Zeitbezügen hat Regisseur Peter Konwitschny die Oper »Julius Caesar in Ägypten« an der Oper Halle zur Eröffnung der diesjährigen Händel-Festspiele inszeniert. Die standen unter dem Motto »Händel und die Frauen« – Grund genug, den Frauen und Konwitschny eine Renaissance zu gönnen, auf dass der einst – vor sagenhaften drei Jahrzehnten! – eine ganze Barock-Ära in der Saale-Stadt mitgeprägt habende Theatermann wieder an den Orten seiner künstlerischen Wurzeln wirken kann.

Nach immerhin zwanzig Jahren unfreiwilliger Abwesenheit endlich auch wieder an der Dresdner Semperoper, wo am 29. Juni  »Les Huguenots« (»Die Hugenotten«) von Giacomo Meyerbeer in Konwitschnys Regie herauskommen wird. Und genau dies ist der Grund, weshalb wir uns bei Musik in Dresden diesen Blick nach Sachsen-Anhalt erlauben.

Denn hier wie dort gab es eine lange, allzu lange Konwitschny-Abstinenz. Hier mit Intendanten-Eingriff und juristischem Nachspiel um Franz Lehárs »Csárdásfürstin«, da sogar ohne geschmäcklerische Kompetenzüberschreitung. Aber da wie hier wurde und wird der stets so zeitbezogene Theaterutopiker Peter Konwitschny mit Spannung erwartet. Warum? Weil der 1945 Geborene nach wie vor als Enfant terrible des Musiktheaters gilt? Oder weil seine Arbeiten ganz aus dem Geist der Musik gespeist sind und – ob sie nun in jedem Fall zusagen oder auch nicht – stets unvergessliche Lebensmomente bescheren.

So auch bei »Julius Caesar«. Werner Hintze hat der Oper eine neue Textfassung beschert, die eingängig klingt, gut verständlich ist, Witz beinhaltet und dem singenden Personal ziemlich entgegenkommt. Sanglich also und in der Konsequenz so textverständlich, dass es einer Übertitelung gar nicht bedurft hätte. Dann wären auch diverse Extempores nicht aufgefallen, die allerdings nicht gestört haben. Wesentlich auffälliger war ein deutlicher Eingriff der Regie in die Rollenverteilung. Sextus, Sohn des ermordeten Pompejus, wird tatsächlich von einem Knaben gespielt und gesprochen. Seine Gesangsrolle übernimmt der Geist des toten Vaters – mal wie aus der Urne, mal mahnend, mal klagend, aber immer tief hinein ins Gewissen von Witwe und Waise. So wird Rache angestachelt, der ewige Kreislauf militanter Idiotie von vor unserer Zeitrechnung bis übers Heute hinaus. Noch immer nicht überwundenem Götterglauben und Machtstreben sei Dank.

Zusammen mit seinem Ausstatter Helmut Brade präsentiert Peter Konwitschny ein hübsches Schablonentheater. Da werden Palmen und Pyramiden auf die Spielfläche gesenkt, taucht ein U-Boot auf und ganz zum Schluss wieder ab, plustern sich Haremsszenen ins Bild und wird Chaos erzeugt. Pikant ist ein königliches Arbeitsessen, nahezu kabarettistisch, bei dem sich die Rivalen freundlich gegenübersitzen und insgeheim nichts anderes vorhaben, als den Kontrahenten giftig zu morden. Dran glauben jedoch muss, wie nahezu immer, das Fussvolk, in diesem Fall die Vorkoster der beiden miesen Monarchen.

Auf dem Boden der Utopie

Vieles ist lustig in dieser Sichtweise, manches überzogen, anderes geht unter die Haut. Ein Happy End, wie bei Händel, kann es nicht geben. Das Trauerduett von Cleopatra und Cornelia sagt am Ende allerdings alles und betont noch einmal das Motto der Frauen um Händel. Mit welcher Konsequenz? Caesar zieht in den Kampf, Sextus, von Kindheitsbeinen an Rache gewöhnt und darin geschult, kann nicht anders, schließt sich ihm an. Beide Frauen, Mutter und Gattin, haben einen Geliebten verloren.

„Händel ist dialektisch und man muss ihm nicht aktuell machen, denn der ist einfach aktuell“, lässt sich Peter Konwitschny zitieren.

Wegen der eng gedrängten Premierentermine in Halle und Dresden stand der Regisseur zwischendurch wie im Spagat zwischen Saale und Elbe. Und damit wieder ganz auf dem Boden der Utopie. Denn die macht die Kraft seiner Theaterträume aus, auf dass sie aus den Nächten der schlafenden Vernunft ins pralle, echte Leben springen mögen.

So sieht er Meyerbeers »Hugenotten« denn auch gern als „ein Lehrstück für eine unbelehrbare Menschheit“. Wer könnte angesichts der Finanzkatastrophen, der Rüstungsindustrie und des Waffenhandels sowie des massenhaften Leidens der Ärmsten der Armen wohl noch optimistisch sein?

In Emmerich Kálmáns »Csárdásfürstin« hatte Peter Konwitschny den Krieg auf die Bühne geholt, weil die Operette im Kriegsjahr 1915 entstanden ist und nun zur hoffnungsvoll enttäuschenden Jahrhundertwende herausgekommen ist. Giacomo Meyerbeers »Hugenotten« hingegen beziehen sich auf ein tatsächliches Abschlachten von Menschen durch die Menschen, von einer mörderischen Nacht des Jahres 1572, der sogenannten „Bartholomäusnacht“, in der die katholische Christenheit die nicht minder christlichen Protestanten (im damaligen Frankreich Hugenotten genannt) blutrünstig abgeschlachtet haben.

Ein Liebespaar will die Glaubensgräben mit der Kraft seiner Gefühle überbrücken – und wird durch den Mutwillen der gläubigen Massen daran gehindert.

Man darf also gespannt sein auf einen Abend großer Kontraste und gewaltiger Emotionen, auf eine Neuproduktion im Zeichen heutigen Nachdenkens über damalige Vorgänge, die in den Geschichtsbüchern ebenso wie in den täglichen Nachrichtenspalten vorkommen. Leider, noch immer.

Das Jahr 1572 ist dem Heute kaum ferner als das Jahr 48 vor unserer Zeitrechnung.