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Dr. Reiner Zimmermann: „Renommierte Spitzenorchester fragen: Wo spielt die Sächsische Staatskapelle in Dresden?“

“Wir sind es dem Kulturland Sachsen schuldig, dass wir nach der Taube auf dem Dach streben und uns nicht mit dem Spatzen in der Hand zufrieden geben” – Dr. Reiner Zimmermann (Foto: privat)

In der aktuellen

Diskussion um ein neues Konzerthaus für Dresden drucken wir im folgenden den Gastbeitrag von Dr. Reiner Zimmermann ab, der in sechs Punkten die kulturpolitischen Aspekte eines Konzerthaus-Neubaus abhandelt – ohne freilich Stellung zu nehmen zu konkreten finanziellen Fragen, die wohl letztendlich über Wohl oder Wehe dieser Alternative zum geplanten Kulturpalast-Umbau entscheiden werden.

Dr. Reiner Zimmermann ist Mitglied im Vorstand des Instituts zur Erforschung und Erschließung der Alten Musik in Dresden (Musikschätze aus Dresden) e.V. und war von 1991-2003 Leiter der Abteilung “Kunst” des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst.

Es gibt keinen Zweifel, dass die Diskussion um ein neues Konzerthaus in Dresden in einem kulturpolitischen Kontext zu sehen ist.

1. Der Freistaat fördert seit 1995 mit dem Kulturraumgesetz die vielen Theater- und Orchesteraktivitäten der Kommunen zwischen Görlitz und Plauen, indem er jährlich 86 Millionen € zu ihrer Finanzierung beiträgt. Unabhängig davon ist Sachsen aber nur deshalb seit Jahrhunderten ein Kulturland von herausragender Bedeutung (und in diesem Sinne sehr wohl “einzigartig”), weil der kurfürstliche Hof und die Bürger des Landes sich über Jahrhunderte der Kultur verpflichtet fühlten. Dies verpflichtet auch unsere heutige Gesellschaft, ihr Bestes zu geben.

2. Die Staatskapelle gehört zu den Top-Ten-Orchestern weltweit. Sie verfügt als eines der wenigen Spitzenorchester nicht über einen originären Konzertsaal. Die Bühne der Semperoper (als Aufführungsort für Opern) ist für einen Großteil des spät- und postromantischen Repertoires (darunter fallen auch Werke von Richard Strauss) zu klein. Die Musiker z. B. der Dresdner Philharmonie, die auf ihren weltweit beachteten Konzertreisen in aller Regel unter deutlich besseren akustischen Verhältnissen arbeiten als zu Hause, nehmen diesen Unterschied sehr wohl wahr.

3. Es ist in Dresden kaum möglich, international renommierte Spitzenorchester oder Kammermusikensembles zu hören. Dies liegt vor allem daran, dass ein Konzertsaal mit attraktiver Akustik fehlt. Man könnte das nicht weiter schlimm finden, weil Dresden ja zwei Spitzenorchester hat. Darin läge aber gerade die bornierte Abgrenzung, die sich Dresden als bedeutende Musikstadt nicht leisten kann. Sich der Welt öffnen heißt, sich der Welt als attraktive Spielstätte zu präsentieren. Das geht nur mit einem erstklassigen Konzertsaal.

4. Der geplante Umbau des Kulturpalastes wird entgegen den Beteuerungen der Stadtverwaltung nicht zu einem akustisch erstklassigen Saal führen. Dagegen sprechen die Vorgaben des Denkmalschutzes, welche die Planungsfreiheit für Architekten und Akustiker einschränken. Dagegen spricht, dass sich der Konzertsaal wohl kaum akustisch soweit isolieren lässt, dass die Nutzungsgeräusche der geplanten Bibliothek nicht stören. Dagegen spricht auch, dass es im Kulturpalast definitiv weder einen Kammermusiksaal noch eine Probebühne geben wird. Es ist kein böser Wille, sondern diesen Erwägungen geschuldet, dass die Staatskapelle eine Mitnutzung des Kulturpalastes auch nach dem Umbau ablehnt. Genauso ablehnend werden sich andere international renommierte Spitzenorchester verhalten, weil diese heute bereits fragen: Wo spielt die Sächsische Staatskapelle in Dresden?

5. Durch den geplanten Umbau des Kulturpalastes verliert die Unterhaltungsmusik eine bisher hervorragend geeignete Spielstätte. Die vorgestellten Zahlen, dass 85% der Veranstaltungen weiter stattfinden können, sind kaum realistisch. Dem geplanten Einbau der Bibliothek werden definitiv die beiden Seitenbühnen zum Opfer fallen. Der neue Konzertsaal wird über ca. 1.800 Sitzplätze verfügen (heute 2.500), von denen möglicherweise ca. 400 Chorplätze hinter der Bühne sein werden und daher für Veranstaltungen der Unterhaltungsmusik in der Regel nicht zur Verfügung stehen. Außerdem hat ein Konzertsaal für klassische Musik eine andere Atmosphäre als der jetzige Saal, der sich nur in seiner jetzigen Form hervorragend für Unterhaltungsmusik eignet. Die Messe als neuen Veranstaltungsort für U-Musik auszubauen, hat seinen Preis. Mit den bisher im Haushalt vorgesehenen 1,9 Millionen € ist es sicher nicht getan, realistisch sind wohl mindestens 10 Millionen € (plus Betriebskosten). Außerdem sagen Betroffene, dass eine solche Notlösung kein vollwertiger Ersatz für den Kulturpalast in seiner jetzigen Form sein wird.

6. Mit dem geplanten Umbau des Kulturpalastes und dem Umbau der Messe hätte Dresden zwei Spielstätten für E- und U-Musik zu betreiben. Es kämen also auch Betreiberkosten für eine zusätzliche Spielstätte (Messe) auf die Stadt zu. Hinzu kommt, dass sich der Kulturpalast ohne Philharmonie höchst wahrscheinlich mit geringeren als den derzeitigen Zuschüssen betreiben ließe. Es trifft also nicht zu, dass ein Projekt Neuer Konzertsaal für Dresden zu unzumutbaren Lasten führen würde, vor allem nicht, wenn der Freistaat offensiv für eine Zusammenarbeit gewonnen werden würde. Als Träger der Staatskapelle trägt er ebenso wie die Stadt Verantwortung für das Dresdner Musikleben und so sollte er zu einer optimalen Lösung für Dresden beitragen.

Fazit: Der aktuell in der Umsetzung befindliche Stadtratsbeschluss bringt keine zufrieden stellende Lösung, sondern nur Verdruss. Er verärgert die Besucher der Unterhaltungsveranstaltungen, ohne einen erstklassigen Konzertsaal für Dresden zu schaffen. Gegenüber der für alle Seiten befriedigenden Lösung (Renovierung des Kulturpalastes und Neubau eines Konzertsaales) werden kaum oder sogar keine Kosten gespart. Es hat in Dresden noch nie einen wirklichen Konzertsaal gegeben. Diesen Mangel hat schon Richard Wagner erkannt und forderte einen eigenen Konzertsaal für die damalige Hofkapelle. Ein neuer Saal kann neben der Frauenkirche ein architektonisches Wahrzeichen von Dresden werden und zeigen, dass historische und zeitgenössische Bauten sehr wohl in Dresden gewollt sind und sich gegenseitig ergänzen können. Ein neuer Saal lockt internationale Spitzenorchester nach Dresden und öffnet damit den Blick über die Stadtgrenzen hinaus.

Mit Blick auf eine Beteiligung des Freistaates ist festzuhalten: Weder die Dresdner noch die Touristen interessiert, in welcher Zuständigkeit etwas geschieht. Sie erwarten erstklassige Qualität, und die ist möglich. Stadt und Land müssen miteinander reden. Noch ist es nicht zu spät. Ein gemeinsam genutztes Konzerthaus für beide renommierte Orchester wäre ein Gewinn für Dresden und für Sachsen. Zudem würde durch einen Erhalt des Kulturpalastes in seiner jetzigen Form neben den Besuchern der Unterhaltungsmusikveranstaltungen auch der Denkmalschutz zu seinem Recht kommen. Die Mehrheit der Bürger Dresdens ist zurecht gegen den Umbau des Kulturpalastes. Alle politisch Verantwortlichen sollten die Herausforderung annehmen und eine überzeugende Lösung mit einer angemessenen Außenwirkung finden. Wir sind es dem Kulturland Sachsen schuldig, dass wir nach der Taube auf dem Dach streben und uns nicht mit dem Spatzen in der Hand zufrieden geben.

Dresden, im April 2009.