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Händel oder Handyklingelton?

Foto: M.M.

Dresdner Erstaufführung von »Messias Superstar« in der Kreuzkirche spaltete die Gemüter

Er nehme alles zurück, was er vor den Festspielen über die (mangelnde) Lust der Dresdner am Fremden gesagt habe, erklärte Intendant Hartmut Haenchen lächelnd beim Anblick der vollen Kreuzkirche am letzten Abend der Dresdner Musikfestspiele. Dabei ist zu vermuten, dass es bei diesem Konzert eher die bekannten Elemente (Kreuzchor unter Roderich Kreile, Klazz Brothers, ensemble amarcord) waren, die die Massen strömen ließen – und zu tumulthaftem Beifall trieben. Was nämlich »Messias Superstar« – als Jazz-Fassung frei nach Händels »Messias« angekündigt – musikalisch anzubieten hatte, war weder fremd noch neu – es war eine missglückte Imitation verschiedener Stile.

Das einzige, was sich die Arrangeure dieser hybriden Bigband-Christenpop-Filmmusik zugute halten können, ist, das Publikum polarisiert zu haben. Während die einen still kopfschüttelnd den Saal verließen, spendeten die anderen immer wieder Beifall: für „He was despised“, eine wunderschön gesungene Barbra-Streisand-Parodie, für eine synthetische Schnulznummer („Comfort ye“), für ein souliges „And the glory“ (tauglich als Hintergrundmusik) oder den Kreuzchor-Rap „All we like sheep“.

„Die Jugend emotional wieder viel mehr ansprechen“, war das von Komponist Tobias Forster erklärte Ziel der Veranstaltung. Mit einem Blick ins Publikum konnte man feststellen, dass der jugendliche Adressat kaum anwesend war. Genaueres über den Kompositionsprozess für das Auftragswerk, dem zwei Komponisten neben Forster verlustig gingen und durch Marko Lackner und Sverre Indris Joner ersetzt wurden, war kurzfristig nicht zu erfahren. Die inhaltlich und tonsetzerisch verschiedenen Ursprünge des Werkes hört man aber – leider – deutlich heraus.

Die Schöpfer rechtfertigen ihre gemeinsame Arbeit im Programmtext etwas kryptisch: „Die Grundwerte der abendländischen Kultur zeigen den Weg des Erlösers als Vorbild und bewegen sich damit auf einem Terrain, das heute ebenso aktuell ist wie vor 200 Jahren.“ Ohne Grundwerte, fahren sie fort, sei man „einsam und verloren in dieser großen und schnellen Welt“. Das hört sich irgendwie so gar nicht nach „Lust am Fremden“ an. Auch der hilflose Untertitel Oratorium des 20./21. Jahrhunderts deutet auf ein Missverständnis der Rollen von Komponist, Arrangeur und Zielgruppe hin – was denn nun, Händel oder Handyklingelton?

Die Revue drohte leider immer dann abzugleiten, wenn Tutti-Nummern wie „Hallelujah“ (eine einzige lärmende Farce) oder „Worthy is the Lamb“ anstanden – oder „Behold, a virgin shall conceive“, was akustisch an Weihnachten im Kaufhaus erinnerte. Dann wurde das Lutherrelief neben dem Altar in rhythmisch-pulsierendes, oranges Licht getaucht, intonierte das durchgängig unterforderte ensemble amarcord ein simples „bammm-bam-bammm“, lieferte der Kreuzchor einen mystischen Akkordteppich. Und das bis zur Pause hoffnungslos übersteuerte Schlagzeug sowie die HR Big Band übertönten die gestikulierende Altistin Jocelyn B. Smith und die scheue Sopranistin Lorraine Hinds; der musikalische Leiter, Kreuzkantor Roderich Kreile, ermunterte in diesen Momenten meist zum Mitklatschen.

Mit der Einbeziehung eines Knabenchores (dessen Mitglieder in ihrer Begeisterung ebenfalls sichtlich gespalten waren) und im Hinblick auf die Uraufführung, die am Sonnabend im Rahmen des Evangelischen Kirchentages in Hannover stattfand, kam dem Arrangement quasi automatisch eine öffentliche Bedeutung zu, die, was die musikalische Qualität betrifft, nicht immer gerechtfertigt war. Die Chorstimmen (auch die des solistischen Männerensembles) beschränkten sich zumeist auf Background-Vocals oder imitierten einstimmig die Melodie der Solistin, wenn sie nicht ganz schwiegen. Die wirklich guten Big-Band-Sounds der zweiten Hälfte stammten vermutlich vom Dresdner Hochschulprofessor Marko Lackner. Sie gäben einen soliden Grundstein für eine ehrliche Big-Band-Fassung des Händelschen „Messias“, auf die ich sehr gespannt wäre.

Eine Textfassung des Artikels ist am 31.5.2005 in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.