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Schostakowitsch-Preis für Gennadi Roschdestwenski

Dass Gennadi Roschdestwenski als eine Ikone unter den Dirigenten des 20. Jahrhunderts gilt, will er gar nicht so gerne wahrhaben. Das klinge ja sehr schön, meint er, eine Ikone zu sein. Hält aber dagegen: „Andererseits ist es sehr kompliziert, denn eine Ikone betet man an. Ich aber habe zumeist etwas mit einem Orchester zu tun. Und mit Musik. Ich bin also lieber ganz einfach ein Mensch.“

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Fotos: Helge Mirring

„Der Mensch! Das ist groß! Das klingt… stolz!“ (Maxim Gorki) Dieser Mensch hat das europäische Musikleben des vergangenen Jahrhunderts ganz wesentlich mitgeprägt. Doch in seiner fast wortlos machenden Bescheidenheit meint Roschdestwenski, das sei nicht seine Absicht gewesen. Er habe halt gearbeitet, dirigiert und das getan, was er tun wollte und konnte. „Ich habe viele Orchester dirigiert, fast 800 Schallplatten eingespielt und wundere mich manchmal selbst, wann ich das alles gemacht haben soll. Ich komme und ich dirigiere, das war‘s.“ Er habe eine ganz einfache Einstellung zu seinem Beruf, verriet der fast 85jährige Maestro am Mittwoch, und wolle dieses Geheimnis gern lüften. Dabei zeigt er die Partitur der 5. Sinfonie von Sergej Prokofjew, die er am kommenden Wochenende mit der Dresdner Philharmonie aufführen wird. „Auf der ersten Seite habe ich notiert, wo und wie oft ich sie dirigiert habe. Seit 1963 waren es 51 Konzerte in 14 Ländern und 24 Städten. Deswegen denke ich, dass ich inzwischen gut vorbereitet bin. In dieser Zeit habe ich natürlich ein Bild von diesem Werk erhalten, ich kann mich in jeden Takt hineindenken, wie er – meines Erachtens – klingen soll.“ Bescheidenheit und Demut klingen da durch, aber auch hintersinniger Witz. Denn natürlich weiß ein Mann wie Gennadi Roschdestwenski um seine Bedeutung. „Ohne Demut würde ich mir doch nicht erlauben, mich ans Dirigentenpult zu stellen! Diese Musik ist einzigartig. Sie müsste von viel, viel mehr Menschen gehört werden.“ Das sei das Ziel seiner Arbeit.

Diese Arbeit, das ist längst schon ein Lebens-, ja ein Jahrhundertwerk. Gennadi Roschdestwenski ist Chef des Staatlichen Rundfunk-Sinfonieorchesters der UdSSR gewesen, war Künstlerischer Leiter am Bolschoi-Theater und Musikchef der Moskauer Kammeroper. Später leitete er das Londoner Symphony Orchestra, wurde 1981 zum Chefdirigenten der Wiener Symphoniker berufen, leitete wiederholt die Stockholmer Philharmonie. Für ihn persönlich sei das alles zwar sehr bedeutsam gewesen, als viel wichtiger aber sehe er heute noch, „dass es ein Präzedenzfall für viele andere gewesen ist. Und dass wir unsere Musik in die Welt getragen haben!“
„Unsere Musik“, das ist vor allem das Schaffen von Dmitri Schostakowitsch und Sergej Prokofjew gewesen. Zwei wichtige Künstlerpersönlichkeiten, mit denen er jahrelang äußerst vertraut gewesen ist. Sie spielen auch bei seinem jetzigen Dresden-Besuch eine gewichtige Rolle. Hier der Schostakowitsch-Preis und da die 5. Sinfonie. Doch es geht nicht nur um diese beiden Heroen, sondern darüber hinaus um das Werk ihres einstigen Lehrers.
Bei seinem letzten Dirigat an der Philharmonie war Gennadi Roschdestwenski mit seinem Sohn Sascha zu Gast und interpretierte das Violinkonzert von Alexander Glasunow. Diesmal steht dessen 1. Klavierkonzert auf dem Programm, den Solopart spielt Wiktoria Postnikowa, die langjährige Gattin des Dirigenten. Der stammt selbst aus einer Musikerfamilie, meint aber diese Dynastie sei nicht so bedeutsam. „Die Dynastie ist nicht wichtig, wichtig ist die Qualität in der Dynastie. Wenn mein Sohn schlecht Violine oder meine Frau schlecht Klavier spielen würde, hätte ich sie nicht eingeladen. Wichtig sind die Kompositionen von Glasunow. Er ist der Lehrer von Schostakowitsch und von Prokofjew gewesen!“

Dass Maestro Roschdestwenski am Mittwoch in Gohrisch den Preis des Internationalen Schostakowitsch-Festivals entgegennehmen durfte, sei ihm „eine ganz große Freude“ gewesen. „Aber die größte Freude war für mich, ihn selbst kennenzulernen. Er war nicht mein Lehrer, aber es ist so gekommen, dass er mein Lehrer ist.“ Mit diesem Preis seien auch Roschdestwenskis Verdienste um das Werk von Dmitri Schostakowitsch gewürdigt worden. Er hat schließlich sämtliche Werke von ihm eingespielt, alle Sinfonien, Opern, Ballette, die Konzerte und auch die Filmmusik. „Was Dmitri Dmitrijewitsch hinterlassen hat, ist sehr viel – und sehr tief. Wenn man das alles erst einmal aufgenommen hat, möchte man am liebsten gleich nochmal von vorn anfangen, denn das Leben bringt ja auch Korrekturen mit sich.“

Über seine persönliche Beziehung zu Dmitri Schostakowitsch habe er sich nie Gedanken gemacht. Wenn er darüber reden sollte, würde es mehrere Abende brauchen, „das würde eine Fortsetzungsserie werden“. Wenn ihn jemand fragt, wie Schostakowitsch als Mensch gewesen ist, könne ein Weggefährte wie Roschdestwenski nur sagen, dass man sich seine Partituren anschauen solle. „Dann wird man vielleicht fünfzig Prozent von ihm verstanden haben!“ Seine enge Verbundenheit bringt Roschdestwenski auch damit zum Ausdruck, dass er 2017 das Eröffnungskonzert der 8. Internationalen Schostakowitsch-Tage dirigieren wird.

Gennadi Roschdestwenski dirigiert am 23. und 24. Januar die Dresdner Philharmonie im Albertinum. Auf dem Programm stehe Werke von Alexander Glasunow, Sergej Prokofjew und Anatoli Ljadow.