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Wir sind Zaungäste eines gelassenen Monologs

martin-schlaepferHeute mal eine Einladung ins Kino. Eine Filmempfehlung und in diesem Zusammenhang vielleicht auch eine Empfehlung, mal von der Elbe an den Rhein zu fahren. Dort nämlich, beim Ballett der deutschen Oper am Rhein, arbeitet Martin Schläpfer. Seit 2006 leitet der 56jährige Schweizer Tänzer und Choreograf eine der erfolgreichsten Ballettkompanien. Der Chef erhielt zwei Mal den deutschen Theaterpreis „Faust“. Wie macht das dieser Mann nur? Ich hatte zuerst von Martin Schläpfer gehört, als er das Ballett in Bern leitete. Dann konnte man nicht mehr umhin, nach Mainz zu fahren, wollte man in Sachen Ballett und Tanz auf dem Laufenden sein.
Und jetzt am Rhein. Bescheiden nennt er jeden seiner bislang hier auf die Bühnen gebrachten Ballettabende immer nur „b.“ mit dem Zusatz der Zählung, demnächst, ab 18. März, »b.27« mit »Duo Concertant« von Balanchine, einer Uraufführung vom Chef, »Variationen und Partiten« und einem Werk, das zu den bedeutendsten der weltweiten Tanzgeschichte gehören dürfte, »Der grüne Tisch« von Kurt Joss aus dem Jahre 1932. Dieser Totentanz in der Erinnerung an den ersten Weltkrieg ist immer wieder beeindruckend. Im November 1979 gab es dieses Ballett erstmals in Dresden, damals im Großen Haus.

Aber um Ballett und Tanz in Dresden soll es heute nicht gehen. Es geht um einen Film, der jetzt in die Kinos kommt; in Dresden wird er im Filmtheater Thalia zu sehen sein. Der Film heißt »Feuer bewahren – nicht Asche anbeten«. Der Titel bezieht sich auf eine Aussage Gustav Mahlers. Mahlers Musik hat Schläpfer zu einigen seiner wichtigsten Arbeiten inspiriert.

Durch ihre Fernseharbeiten für den WDR, arte oder die BBC, wie »Kurt Joss. Tanz als Bekenntnis« (2001), »Tanz unterm Hakenkreuz« (2003), »Joséphine Baker. Schwarze Diva in einer weißen Welt« (2006) oder ihren außerordentlich gelungenen Film »Nijinsky & Neumeier. Eine Seelenverwandtschaft im Tanz« von 2010 hat sich Annette von Wangenheim einen Namen bei den Tanzinteressierten gemacht. Jetzt kann man ihren ersten Kinofilm sehen, ein wahrhaft intimes Porträt des Künstlers Martin Schläpfer, und dieser Film bringt ihn und vor allem den Tanz ganz bestimmt auch Menschen nahe, die nicht unbedingt zu den Tanzfans gehören dürften.

Das ist kein Film, der den Probenalltag dokumentiert, das ist auch kein Film, der die Biografie Schläpfers nachbuchstabiert, sondern die Arbeit und die Persönlichkeit des Künstlers zusammenführt. Besonders gelungen sind für mich die Passagen über die Proben zum Ballettalltag, wenn der inzwischen über 80jährige Choreograf Hans van Manen den 56jährigen Martin Schläpfer wieder tanzen lässt. Und das sind Szenen, die muss man gesehen haben, wenn van Manen Schläpfer choreografiert: der sitzt in einer Szene fast regungslos auf einem Stuhl, während davor ein junges Tänzerpaar agiert. Und mit dem gleichen Vertrauen, wie es der Film spürbar macht, in der verbalen und nonverbalen Kommunikation zwischen Schläpfer und van Manen, funktionieren die Probenprozesse beim Ballett am Rhein. Annette von Wangenheim lässt uns teilhaben an der Kommunikation zwischen dem Choreografen und der Komponistin Adriana Hölszky in Vorbereitung der Uraufführung des Balletts »Deep Field«. Wenn es privat wird, dann geht es nicht darum, Geheimnisse zu lüften. Es geht darum, den Choreografen da zu zeigen, wohin er sich zurück zieht, wo er sich sein Leben choreografiert, etwa mit besonders farbig gestalteten Räumen in seinem Düsseldorfer Haus. Der Film folgt dem Künstler in die hoch gelegene Einsamkeit der Berge seiner Schweizer Heimat, an den spartanischen Rückzugsort einer einsam gelegenen Hütte. Für den Zuschauer stellt sich die Klangkorrespondenz zu sinfonischen Passagen von Brahms oder Mahler her (in einem Ausschnitt aus der Choreografie zur 2. Sinfonie von Johannes Brahms wird man jeden Anflug einer naturalistischen Bebilderung vergeblich suchen). So beeindruckend wie wohltuend ist dabei die Gelassenheit, mit der Martin Schläpfer sich äußert. Eigentlich spricht er mit sich, und wir haben das Glück durch diesen so sensibel gemachten Film dabei zu sein. Wer dann eine Choreografie Schläpfers sieht, dem dürfte ganz sicher die eine oder andere Passage des Films wieder präsent sein.

„Mach dir ein paar schöne Stunden, geh ins Kino“, hieß es mal. Der Film »Feuer bewahren – nicht Asche anbeten« über den Choreografen Martin Schläpfer dauert 85 Minuten. Ein „schöner“ Film, im üblichen Sinne ist das nicht, ein guter, ein wichtiger Film aber auf jeden Fall.