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Geborgte Emotionen

Nicola Alaimo als Sir John Falstaff (Foto: Semperoper Dresden/Jochen Quast)

Mit der Eröffnungspremiere der Saison gab Daniele Gatti nun also auch sein Debüt als Chef im Semperopern-Graben. Gewählt hatte er sich für diesen Einstand Verdis Commedia lirica »Falstaff«, die als späte, letzte Oper seines Landsmannes sich durch eine gehörige Portion Altersradikalität auszeichnet. Verdi entledigte sich elegant aller Konvention. Kaum gibt es Nummern wie Arien, Duette oder Ensembles. Gänzlich verzichtet er auf eine Ouvertüre. Stattdessen eröffnet ein einfacher Ruf “Falstaff” das Spiel. Dottore Cajus ruft da nach dem dicken Ritter aus Shakespeares Feder, und auf der Bühne der Semperoper erscheint uns ein fetter Elvis-Imitator in samtglänzender Joggingschlaghose und zerknittertem Rüschenhemd: der King of Pop gekrönt mit langem, fettigem Haupthaar irgendwo zwischen Altrocker und Siegfried — nicht der von Roy und den Tigern, sondern der von wagnerischer Provenienz. 

Jenseits der radikalen Form der musikalischen Prosa bietet Verdis Plot allerhand mögliche Ansatzpunkte, die eine gegenwärtige Lektüre geradezu einladen und herausfordern. Handelt es sich bei den Attacken, die die Damen an diesem Ritter der traurigen Gestalt exerzieren, um Mobbing und Bodyshaming? Oder um ein feministisches Aufbegehren à la #metoo gegen lüsterne alte weiße Männer? Von denen soll es ja auch in den Opernhäusern dieser Welt einige Exemplare geben.

Bezaubernd: Rosalia Cid (Nannetta) und Juan Francisco Gatell (Fenton); Foto: Semperoper Dresden/Jochen Quast

Das italienische Regieteam um Damiano Michieletto entschied sich fürs Metatheatrale — und stellt uns mit viel Paletten, Diskokugel und reichlich Bühnennebel den dritten Akt als Revuetheater auf dem Theater vor. Tanzende Cowboygirls und blaue Federhüte mit viel nacktem Bein sind auch wunderbar trashig und fürs Publikum wie auch für Falstaff, für den diese Glitzerwelt als erogener Köder inszeniert wird, ein visuell reizendes Spektakel. Auch der Clash mit dem Geisterchor beiger Perücken, gestützt auf allerlei Gehhilfen—wie aus der Altenverwahranstalt des Unbewußten entflohen—liefert ein bildgewaltiges Tableau, wie gemacht für die Fotoabteilung des Hausmarketings. Doch der Aufwand verpufft folgenlos, ohne tiefere Einsicht. 

Woran liegt’s? Vornehmlich an der wenig inspirierten Personenregie der ersten beiden Akte. Die musikalische Struktur der Oper mit ihren durchkomponierten Parlando-Rezitativen grenzt an ein Kammerspiel mit großem Orchester. In der Dresdner Inszenierung wird allerdings selten klar, wer da mit wem spricht, geschweige denn mit welcher Motivation. Keine der Figuren wird greifbar. Nur in wenigen Momenten, vor allem in den Doppelszenen von Falstaff und Mrs. Quickly, erkennt man das volle spielerische Potential der Vorlage. Da verbiegt Marie-Nicole Lemieux lockend ihre Hüften in grotesken Kurven, schiebt ihren Busen mit vorgespielter Wonne unter die Augen des hormonvernebelten Ritters und führt ihn so gekonnt an der Nase seines Begehrens herum. Das ist derb und komisch zugleich. Und Lemieux verbindet all dies mit einer sängerischen Finesse, die alle doppelten Böden dieses Spiels gewitzt erhellt. 

Überhaupt ist der Cast mit nicht weniger als vier Hausdebüts und vielen hochkarätigen, vor allem italienischen Gästen Grund genug, in diese Produktion zu eilen. Nicola Alaimo als Falstaff besticht mit warmem Timbre. Eleonora Buratta als Alice Ford betört mit wunderbaren Kantilenen. Rosalie Cid und Juan Francisco Gatell harmonieren bezaubernd als junges Liebespaar Nannetta und Fenton. 

Leider bleibt eine solche Magie zwischen Graben und Bühne meist aus. Gatti koordiniert zwar äußerst routiniert und meistert alle technischen Herausforderungen des Zusammenspiels — keine leichte Aufgabe bei dieser Partitur — doch klingt der Abend über lange Passagen nach einer Menge geborgter Emotionen. Eher nach ehelicher Abendbrotroutine als nach durchkichertem Sektfrühstück in Italien.

»Falstaff« wieder am 8., 12., 15., 17., 24. Oktober 2025; Tickets (16-120 EUR) hier.