Im Trailer sieht man eine Handpuppe mit den charakteristischen Gesichtszügen von Hanns Eisler, angefertigt von Sabine Köhler und Heiki Ikkola, die auf eine neue Produktion von Cie. Freaks und Fremde aufmerksam macht, für die beide die künstlerische Leitung, Szenografie und Performance übernommen haben. Da Aufführungen von Werken dieses Komponisten heute eine Seltenheit sind, war ich neugierig, welchen fantasievollen Ansatz beide für ein solches Porträt gefunden haben.
Die entscheidende Frage für den Sozialisten Eisler war immer: Für wen schreibe ich meine Musik? Sie wird zum Ausgangspunkt eines fantasievollen Dialogs zweier geflügelten Gestalten, auf die Notenblätter in Massen vom Himmel segeln, die als Stücke von Eisler erkannt werden. Beide führen Handpuppen von Eisler und von Brecht und stehen in lebhaftestem Austausch darüber, für wen komponiert werden soll: Musik soll zum Nachdenken über die Welt anregen; ob sie die Welt verbessern kann, ist zumindest fraglich und bleibt offen.
Hanns Eisler (1898 – 1962) hat alle Stürme und Verwerfungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts am eigenen Leib erfahren: Kriege, Emigrationen, Anklagen wegen kommunistischer Gesinnung in den USA, Anklage wegen Formalismus in der DDR und und und… Er war neben Alban Berg und Anton von Webern der profilierteste Schüler Arnold Schönbergs, bei dem er exzellentes kompositorisches Handwerk lernen konnte, der aber gegen die elitären Ansichten seines Lehrers über die Rolle der Kunst seine politische Grundhaltung in Werken für die Arbeitersängerbewegung, oft gemeinsam mit Bertolt Brecht, u.a. in zündenden Kampfliedern oder „Lehrstücken“ zum Ausdruck brachte.
Seit 1949 in Ostberlin ansässig, war der Österreicher Eisler, der nie einer kommunistischen Partei oder der SED angehörte, ein aufmerksamer und wacher Zeitgenosse, der die ideologischen Verhärtungen der DDR-Kulturpolitik am eigenen Leib erfuhr, aber in der Öffentlichkeit und für seine Schüler an der Berliner Musikhochschule stets ein gewitzter Propagandist für die Neue Musik war. Ihm ist im Nachhinein der Aufbruch der DDR-Moderne in der Musik nach 1968 zu danken, da er überzeugende klingende Beweise vorlegte, dass die von den DDR-Ideologen verteufelte Zwölfton-Musik und anderes modernes musikalisches Rüstzeug einen notwendigen Platz in der zeitgenössischen Musik zu haben hatte. (Absichtsvoll hatten Mitglieder des Leipziger Rundfunksinfonieorchesters, die ab 1970 die avantgardistische Musik junger DDR-Komponisten und des Westens einer verwunderten und begeisterten Hörerschaft zu Gehör brachte, den Namen „Gruppe Neue Musik Hanns Eisler“ gewählt.).
Eisler war einer der produktivsten und vielseitigsten Komponisten, der anspruchsvolle Kammermusik, Kampfmusiken, Filmmusiken, große Orchesterwerke mit Solisten, Bühnenmusiken, Lieder, viele Artikel über die Funktion der Neuen Musik und zusammen mit Theodor W. Adorno ein grundlegendes Buch über die Komposition von Musik für den Film schrieb.
Aus der Fülle dieses kompositorischen Werkes haben Cie. Freaks und Fremde ein Programm unter dem Titel »EISLER – LOST IN HOLLYWOOD. Anmut, Mühe, Leidenschaft, Verstand« vorgestellt, damit zum einen auf seine verlorene Position in Amerika um 1947, dem Verhör vor dem „Komitee für unamerikanische Umtreibe“ anspielend, zum anderen auf die von Brecht gedichtete »Kinderhymne« verweisend, die als neue Nationalhymne nach 1991 ins Gespräch kam. Zugleich umfassen diese vier Begriffe auf anmutige Weise Charakter, Lebens- und Schaffensprinzip von Hanns Eislers. Die Anregung zu dieser Produktion fanden Sabine Köhler und Frieder Zimmermann in einer der letzten Produktionen von Freaks und Fremde: „Glück“, in der „Das Lied vom Wasserrad“ von Eisler/Brecht erklingt. Beide fanden es an der Zeit, an diesen wichtigen Komponisten zu erinnern, von dem heute kaum noch ein einziger Ton erklingt. Dabei sind eine Reihe von Werken, die sich mit politisch kritischen Situationen, Diktaturen und Krieg befassten, heute immer noch oder wieder aktuell. (Immerhin hatte es im November 2021 in der neuen Hamburger Elbphilharmonie drei Abende mit Musik von Eisler gegeben, u.a. mit Matthias Goerne als Solisten.)
Das umfangreiche Lied-Repertoire Eislers ist zugleich ein Spiegel seiner Lebens-Situationen, seiner vielen gemeinsamen Projekte mit seinem wichtigsten Partner Bertolt Brecht: seien es die kämpferischen Lieder der Zwanziger Jahre oder die Lieder des Exils, oft mit Sehnsucht nach der verlorenen deutschen Kultur, oder die Vertonungen der Gedichte Brechts, die in Hollywood zu aktuellen Nachrichten aus dem vom Krieg überzogenen Europa nach Amerika entstanden, und schließlich die späten Lieder aus DDR-Zeit, als nach 1956 endlich Hoffnung auf Überwindung des Stalinismus aufkeimte. Etwa fünfzehn Lieder wurden nicht etwa als Konzertstücke am Flügel vorgetragen, obwohl für Eisler die Klavierbegleitung gegeben war, sondern in eine spielerische Dramaturgie einbezogen, die dem Zuschauer kaum Luft zum Atmen ließ, da die biografischen und gesellschaftlichen Ereignisse in einem dichten Netz theatralischer Ereignisse verwoben waren, in dem Sabine Köhler und Heiki Ikkola als Sprecher und Sänger mit großem sprachlichen und körperlichen Einsatz agierten.
Frieder Zimmermann hatte sich diesen Kompositionen mit sensibler Hand angenommen und für wechselnde kleine Besetzungen instrumentiert, die den charakteristischen Eislerschen Sound bei aller Neuinterpretation bewahrten. In der Vorproduktion spielte Anna Katharina Schumannn verschiedene Instrumente nacheinander ein; Anna Zepnick begleitete am Klavier.
Der Biografie Eislers folgend, wurden Lebensstationen ab 1916, die Emigration ab 1933 verfolgt, während in Deutschland die Judenverfolgung zunahm (Tobias Herzz Halbauer mit einer eindrucksvollen Interpretation der „Ballade von der Judenhure Marie Sanders“), bis Eisler in Hollywood erlebte, dass seine Vorstellung von der Funktion seiner Musik nichts mit der amerikanischen Realität zu tun hatte und er sich, mit Brechts Worten, in die Reihe der Verkäufer von Lügen einreihen musste.
Kaum war der Faschismus besiegt, geriet Eisler in die Mühlen des FBI wegen seiner kämpferischen Lieder, und er wehrte sich geschickt gegenüber allen demagogischen Verdächtigungen. Die nächste Enttäuschung bereiteten ihm die Dogmatiker der DDR-Kulturpolitik, die das Libretto seiner »Faustus«-Oper mit vernichtender Kritik überzogen. Da fragte sich Eisler am Ende seines Lebens wiederum: Für wen komponiere ich? Diese Frage war um 1960 herum in der DDR nicht positiv zu beantworten. Allenfalls konnte er mit Brechts Worten „Vom Sprengen des Gartens“ Hoffnung darein setzen, dass irgendwann Samen keimen werden.
Die umfangreichen Videoschnitte und Projektionen hatte Beate Oxenfarth zusammengestellt, Kamera und Vorproduktion stammten von Eckart Reichl. Josia Werth betreute das Lichtdesign und Jörg Lehmann die Dramaturgie. Es wäre wünschenswert, wenn diese bemerkenswerte Produktion ihren Weg auf viele Bühnen finden könnte.
Nächste Aufführungen: 14. Februar, 18./19. April 2025, jeweils 20.00 Uhr