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Vulkanischen Ursprungs

Gegenseitiges, am Ende gemeinschaftliches Hören… (Foto: Oliver Killig)

Das experimentierfreudige Populär-Duo Ätna spielte bei den Musikfestspielen mit den klassischen Dresdner Kapellsolisten unter Gordon Hamilton. Der Abend pulsierte durch seine Einmaligkeit.

Zeitgleich wurde nur wenige Kilometer weiter westwärts ein zweiter Stein von vier in den Südwestwind der Flutrinne gerammt. Und Ätna? Schickten gegen Ende ihres gemeinsamen Konzerts mit den Dresdner Kapellsolisten eigene ironisch-scharfe Beats genau an diese Adresse. Demian Kappenstein stülpte sich seinen Discokugel-Helm auf, Inéz Schaefer sekundierte am elektronischen Gerät, der Kulturpalast füllte sich mit Blitzlicht, das nahezu vollzählig erschienene Publikum hatte vorab von zehn herunter gezählt und stand. Bevor es tanzte.

Dieser Musikfestspieleabend hatte (s)einen nächsten stimmigen Moment gefunden. Einen, der auf Ätna verwies, wenn das in Dresden als Wahlheimat residierende und aufrecht in die Welt strahlende, sehr experimentelle Populär-Duo demnächst wieder allein unterwegs ist und für gewöhnlich keine Sitzkonzerte gibt. Zur stimmigen Gesamtdramaturgie des Auftritts aber gehörte, dass der kollektive Tanz dann doch nicht der Abschluss war. Die Kapellsolisten kamen noch einmal auf die Bühne zurück für ein letztes gemeinsames Stück, bei dem die Streicherinnen und Streicher gen finito ihre Bögen „fallen“ ließen und sich – so es ihnen vom Naturell her gegeben ist – in eine freie Pop-Pose begaben. Das sah sehr authentisch aus, nicht bemüht. Es war wirklich das würdige Finale einer Einmaligkeit. Genau von dieser Exklusivität pulsierte dieser Abend.

Der australische Komponist Gordon Hamilton hatte die Orchesterarrangements für zwei Handvoll Songs geschrieben, Stücke aus dem Ätna-Repertoire und vom im Herbst erscheinenden dritten Album der Band. Kappenstein und Schaefer wurden integraler Teil dieses Orchesters. Viel zu oft, wenn sich Pop/Rock und Klassik begegnen, geht es vorrangig um schon bekanntes Material, also auch um eine Art Nummer sicher. Ätna aber zogen gemeinsam mit Hamilton den Joker des Riskanten. Nach wenigen gemeinsamen Proben, die, so Demian Kappenstein, ihnen allen eher ein „Wochenendgefühl“ gegeben hätten, nahmen die Kapellsolisten durch Gordon Hamiltons Arrangements die Chance auf feinsinnige Weise an, dem eher verwittert-verwinkelten musikalischen Ätna-Ansatz zu folgen, in Klüfte zu steigen, anstatt nur zu unterkoffern, Brüche zu finden, anstatt mit zahmen Hooks zu liebkosen. Transparenz im guten Sinne dominierte das Konzert, was zunächst lapidar und selbstverständlich klingen mag, aber eben nicht ist. Essenziell dabei: Es blieben Songs und wurden keine Miniatursuiten. Und: Es ging immer vor allem ums gegenseitige, am Ende gemeinsame und gemeinschaftliche Hören. Der Energiefluss aber war ein völlig anderer als beispielsweise beim Konzert von Ätna mit der NDR-Bigband 2021 in der Hamburger Elbphilharmonie.

Inéz Schaefer (Gesang, Keyboard, Synthesizer) und Demian Kappenstein (Drums, Percussion, Electronics) kommen hörbar wurzelnd aus dem Jazz, der Improvisation, der Kollaboration, dem offenen Visier als Fundament einer freien Geste. Nicht grundlos spielt Kappenstein auch inspirierende Weltmusik mit Masaa, singt Schaefer mit Peter Fox oder sind beide beim Rapper Marteria oder der Wildband Meute zu finden. Inéz Schaefer hat lange Zeit völlig ohne elektronische Modulationen ihrer Stimme gearbeitet, bevor sie bewusst für Ätna diese neue Welt geöffnet hat. Das ist jetzt offensiv, stellenweise massiv, fällt immer wieder aber in eine faszinierende Natürlichkeit und Klarheit „zurück“. Eine analoge Kraftballade wie »Try« wird sowieso in jedem Gewand Stärke zeigen. Hall, Loops, Delays und andere Verfremdungen setzen sich organisch auf Kappensteins Vielhändigkeit, der allerdings Pose und Überfrachtung fremd sind. Zuhören, eben! Ätna sind mehr denn je wirklich vulkanischen Ursprungs, im Kern blubbernd, suchend, sich immerfort präparierend, auf Momente wartend, heiß und fließend dann nach dem Ausbruch.

Kein Fremdeln der Lager… (Foto: Oliver Killig)

Für zwei Stücke kam Jan Vogler mit seinem Cello auf die Bühne und bereicherte – auch hier durch Gordon Hamiltons Erfahrung, Inspiration und Gespür für diese Art musikalische Konstellation – einen integrativ-essenziellen Klang- und Erlebnisraum. Es funktionierte in aller Kürze hier viel besser als im Zusammenspiel mit Eric Clapton vor fünf Jahren. Vogler war es übrigens auch, der als Musikfestspiele-Intendant sofort offene Ohren und Türen für die Idee zu diesem Programmpunkt hatte, nachdem er u.a. zusammen mit Ätna den musikalischen Rahmen der 2023er Verleihung des Dresdner Friedenspreises setzen durfte. Falls Jan Vogler eine nächste Option ziehen möchte: Mit Olicia (Fama M’Boub & Anna-Lucia Rupp) gibt es ein weiteres großartiges, freigeistiges junges Duo in der Stadt.

Wenn nebenbei so viel über das dringende Verjüngen des Festivalpublikums gesprochen wird – Ätna und die Kapellsolisten zeigten einen möglichen Weg dorthin auf. Vom Fremdeln der Lager jedenfalls war in diesen knapp neunzig Minuten nichts zu spüren, denn dem harten Ätna-Fanpulk waren genügend Neugierige gefolgt, die ansonsten vielleicht Zola Jesus hören, Björk, Toni Childs, Sofi Tukker, Lisa Gerrard oder Röyksopp – je nach Graustufe im Haar.

Als Nachhall zum Abend sei explizit und sehr gern an all die verfügbaren Ätna-Videos im Netz erinnert. Zusammen mit der Berliner Produktionsfirma Nous Film (Florian Fischer, Philip Zeller) haben die eh als optisch exzentrische wie einfallsreiche Ästheten bekannten Schaefer und Kappenstein kongeniale Partner für avantgardistisch-cineastische Kurzfilme gefunden. »Lucky Dancer« als titelgebende Auskopplung der neuen Platte ist nur das jüngste, seit März 2024 zu klickende Beispiel.

Ätna spielen am 30. Oktober im Beatpol Dresden ihr Record-Release-Konzert zu »Lucky Dancer«