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„Ich will einfach nur spielen“

Foto: Matti J. Frind

Liebe Maja, als gewöhnlicher Konzertbesucher hört man dein Instrument nur selten solistisch. Am besten, du stellst es einfach noch mal kurz vor.

Gern! Die Mandoline wird oft als Zupfinstrument bezeichnet; ich sage lieber, sie ist ein Bundinstrument. Die leeren Saiten sind in Quinten gestimmt, wobei jeder Ton zwei Saiten hat, das nennt man „doppelchörig“. Das Wort „Mandoline“ kommt von der Mandelform ihres Bauches, und gespielt wird sie immer mit einem Plektrum.

Wir Bratscher werden manchmal wegen unseres begrenzten Solo-Repertoires aufgezogen. Geht es dir ähnlich?

Ja, das Solo-Repertoires ist begrenzt, aber nicht so sehr wie man im ersten Moment vielleicht denken würde. Wir sind einfach noch an einem anderen Punkt in der Geschichte als zum Beispiel die Geige: für Mandoline wird immer noch viel neue Literatur in alten Bibliotheken gefunden, da ist die Forschung bei anderen Instrumenten einfach schon viel weiter. Von Beethoven gibt es sechs Stücke für Mandoline, davon ist eins noch immer verschollen und eins wurde gerade erst wiederentdeckt. Viele Werke sind deshalb sogar unter Mandolinisten noch unbekannt, Avi Avital, wohl der bekannteste Mandolinensolist, spielt daher viele Bearbeitungen. Für das anstehende Konzert mit den Medicanti haben wir spannende Stücke für Solo-Mandoline und Sinfonieorchester gesucht und tatsächlich nur »Raidoh« gefunden. Es gibt schon einige Stücke für Streichorchester, von Hummel oder Vivaldi, aber das sind alles Werke ohne Bläser, und das wäre für die Medicanti ja nicht so spannend gewesen.

Vor zwei Jahren bin ich für einen Text für »Musik in Sachsen« (s.u.) einmal in die Welt der Mandoline eingetaucht; für mich erstaunlich war, dass sich die Konzertprogramme von westdeutsch und ostdeutsch sozialisierten „Zupfern“ (so hatte eine Mandolinistin ihre Spezies damals liebevoll bezeichnet) dreißig Jahre nach der Wende immer noch unterscheiden. Und nun noch der Japaner Kuwahara? Kannst du dir die Popularität des Instruments in Japan erklären?

Warum die Mandoline in Japan so ein Renner ist, habe ich mich auch schon immer gefragt. Es gibt die Vermutung, dass das Instrument Ende des 19. Jahrhunderts über italienische Reisende nach Japan gelangte. In Japan gibt es riesige Mandolinenorchester, die sind von den Mitspielerzahlen mit den europäischen Orchester nicht zu vergleichen, auf Youtube findet man da richtig spannende Sachen.

Wie lange kennst du das Konzert eigentlich schon?

Tatsächlich spiele ich es nun zum ersten Mal öffentlich, ich kenne es aber schon länger. Zum ersten Mal habe ich es 2018 in der Version für Mandoline solo und Mandolinenorchester kennengelernt und damals auch im Orchester gespielt. Ich war sofort fasziniert und dachte mir: Irgendwann werde ich das auch spielen. Heute ist es soweit!

Foto: Matti J. Frind

Wann bist du der Mandoline verfallen?

Dass ich irgendwann professionelle Mandolinistin werden möchte, war mir schon vor dem Abi klar. 2019 habe ich deshalb in Wuppertal ein Jungstudium begonnen – nachdem ich ein Jahr zuvor beim Bundeswettbewerb im Fach „Mandoline solo“ erfolgreich gewesen bin. Für das Voll-Studium stellte sich mir also nur die Frage, wo. Dann habe ich mir nach dem Abi doch noch ein Jahr Zeit gelassen und beim Sächsischen Musikrat ein Praktikum gemacht. Heute studiere ich in Saarbrücken bei Juan Carlos Muñoz.

Deine Dresdner Lehrerin Birgit Pfarr sagte mir, dass die Dresdner Spieltechnik in Handhaltung, Lagenwechseln usw. ziemlich von der heute anderswo üblichen Technik abweicht. Musstest du für dein Studium da eigentlich umlernen?

Ich studiere ja erst ein Dreivierteljahr, und bis jetzt musste ich noch keine großen Umstellungen machen. Bei mir im Mandolinenunterricht geht es zum Glück am Ende immer um die Musik und der Weg zum begeisternden Musizieren ist nicht wichtig, sondern das Ziel steht im Vordergrund – und da bin ich mit der Dresdner Spieltechnik sehr gut dabei.

Und was sagst du den besorgten Verwandten, womit du einmal Geld verdienen willst?

Ich studiere im künstlerisch-pädagogisches Bachelor, so dass ich später auch unterrichten könnte, daher sind meine Eltern hoffentlich beruhigt… Aber ich will mich schon erst mal auf dem Markt beweisen, mich reizt das rein solistische Spiel, und natürlich die Kammermusik, ich habe ein Quartett, mit dem macht das Konzertieren superviel Spaß. Die Mischung machts. Ich will einfach nur spielen! Und damit natürlich reich und berühmt werden 😉

Sinfoniekonzert
11. Juni 2023, 17 Uhr

Felix Mendelssohn Bartholdy Hebriden-Ouvertüre op. 26
Yasuo Kuwahara
 »Raidoh« Konzert für Mandoline und Orchester
Antonín Dvořák Sinfonie Nr. 8 G-Dur op. 88

Medicanti
Solistin: Maja Schütze, Mandoline
Leitung: Wolfgang Behrend

Eintritt: 16 EUR / ermäßigt 8 EUR

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„Immer mehr und immer neue Kuriositäten und Details über die Protagonisten dieser Welt spülte das Internet mir an. Zum Beispiel der 1893 in Griechenland geborene Jorgo Chartofilax, den das Schicksal 1922 nach Dresden verpflanzte. Hier unterrichtete er einen großen Kreis von Schülern, bevor er nach dem zweiten Weltkrieg in sein Heimatland zurückging, Verbleib und Sterbedatum unbekannt. Die Sächsische Landesbibliothek verwahrt eine Schellackplatte von 1928, auf der das »Mandolinen-Orchester Chartofilax-Estudiantina« eine »Spanische Serenade« zupft. Eine Anzahl Partituren für Zupforchester bzw. »Volkskunstorchester« sind von Chartofilax erhalten, an denen der kulturpolitische Zahn der Zeit inzwischen genagt hat; darunter »Komsomolzenlied«, »Ach, Nastasia« (ein sowjetisches Tanzlied) oder »Der Werktätige«. Oder nehmen wir Chartofilax’ Dresdner Schüler Gerd Lindner-Bonelli: Der studierte in Weimar, lehrte später selbst an der Berliner Musikhochschule »Hanns Eisler«. Oder Siegfried Behrend, der »größte Gitarrist seiner Zeit«, der seine Karriere als Solist mit Chartofilax begann. 1957, da war er Anfang zwanzig, war er als Gastsolist beim Bundinstrumentenorchester im Hygienemuseum beim »Konzert der Volksinstrumente« zu Gast. Später spielte er vor dem Schah von Persien und dem japanischen Kaiser, leitete zweiundzwanzig Jahre lang das »Deutsche Zupforchester« und machte sich für die Einrichtung von Gitarre-Professuren an deutschen Musikhochschulen stark. Neoklassizistische Komponisten wie Kurt Schwaen (1909–2007), Baldur Böhme (1932–2008), der Pfitzner-Schüler Hermann Ambrosius (1897–1983) oder Antonius Streichardt (1936–2014) und – natürlich – Dmitri Schostakowitsch sind immer noch starke Zugpferde in hiesigen Zupforchester-Programmen, während etwa das »Zupforchester Wuppertal« (gegründet 1919) eher Namen wie Nino Rota, Astor Piazzolla, John Dowland oder Hans Zimmer auf den Speisezettel setzt. […]
Zurück nach Dresden in die Mandolinenszene, die hier wesentlich geprägt ist vom Wirken der Familie Weiße. Victor Weiße, 1898 in Budapest geboren und auf dem Weißen Hirsch aufgewachsen, interessierte sich schon als Jugendlicher für die Mandoline. Neben seiner Ausbildung zum Porzellanmaler brachte er sich das Gitarrespielen bei, besuchte Privatstunden in Musiktheorie und wurde schließlich 1934 von der Reichsmusikkammer als Fachlehrer für Mandoline und Gitarre zugelassen. Bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges und seiner Einberufung hatte er an fünf Dresdner Grundschulen und der Mädchen-Berufsschule auf der Dresdner Haydnstraße mehrere Mandolinenorchester aufgebaut, setzte diese Arbeit nach dem Krieg fort und entwickelte die ersten Lehrpläne für das Fach Mandoline an Volksmusikschulen. […]
Was hätte Victor Weiße wohl zu einem mandolinistischen Tausendsassa wie dem Kalifornier Chris Thile (sprich Þ’i:li:) gesagt, der 2017 in der Hamburger Elbphilharmonie gefeiert wurde, und dessen Youtube-Videos (etwa »Quarter Chicken Dark« von seinem »Ziegenrodeo«-Album, mit dem Cellisten Yo-Yo Ma) Millionen von Klicks eingesammelt haben? Lustig, sich diese Begegnung vorzustellen. […] Bis dahin schreit die facettenreiche Geschichte der Mandoline um die an sich ja schon irgendwie kuriosen Namen Chartofilax, Bonelli, Ambrosius & Co. eigentlich nach einer Verfilmung. Der Schauspieler Bill Murray in seiner Rolle als mandolinenverrückter Victor Weiße? Wes Anderson, bitte übernehmen Sie.“

(aus: Martin Morgenstern, »Eine Welt, wie gemacht für Wes Anderson«. Musik in Sachsen, 21.6.2021.)