Scroll Top

Inklusion gehört dazu

Tanztheater Erfurt und die Wiener Gruppe Ich bin o.k.: »ZUG – zwischen Erfurt und Wien« (Foto: Steffen Riese)

Wenn am Mittwoch im Dresdner projekttheater das Tanzfestival »INKLUSIV« 2023 eröffnet wird, dann darf man das Gastspiel von tanzbar-bremen mit der Produktion »touch me« durchaus als programmatisch ansehen. Dies auch, so René Rothe, künstlerischer Leiter des Festivals, weil er seit vielen Jahren mit dieser Kompanie im Kontakt steht und das Gastspiel schon für 2022 geplant war: „Doch da kam Corona und wir mussten alles absagen. Nun ist es endlich soweit.“ In diesem getanzten Trio wird erkundet, „was Berührung und Nähe in uns Menschen auslöst“. So fügt sich nun nach der langen Zeit körperlicher Distanz diese getanzte Erkundung der Kraft der Berührung in das Festivalprogramm mit sechs Produktionen in elf Aufführungen: „Das Festival soll das Ergebnis einer Reise sein. Die Kooperationen über die gewohnten Grenzen hinweg ermöglichen neben der Vernetzung eine Erprobung neuer Formen und Sprachen.“

Gemäß dieser Programmatik spannt sich auch der Bogen zur finalen Aufführung »CATEGORIES«. Größer könnten auf den ersten Blick die Gegensätze gar nicht sein, wenn hier erstmals das Dresdner Künstlerkollektiv Atmadhavi mit dem Choreografen Tänzer Charles Washington zusammentrifft. Washington steht für den zeitgenössischen Tanz, das Künstlerkollektiv für klassischen, indischen Tanz, Kathak oder Mohiniattam, zu live gespielter Musik, u.a. auf Sitar und Trompete: „Gemeinsam widmen sie sich biografisch und performativ der Gegensätzlichkeit, Ergänzungen und Vereinbarkeiten von Kategorien.“

»touch me« (Foto: Daniela Buchholz)

Ein Blick auf des weitere Programm mit den Gastspielen und Eigenproduktionen zeigt dann auch, wie es dem künstlerischen Leiter gelingen kann, Gegensätze nicht zu vermischen, aber in den Dialog des Tanzes, eben jenes körperlichen Ausdrucks zu bringen, von dem die Tanzhistorikerin Dorion Weickmann als „Muttersprache des Menschen“ spricht. Diese „Muttersprache“ drückt sich vor allem im Tanz, völlig unabhängig von jeglicher Art körperlicher oder geistiger Voraussetzungen, aus. Die Art, die Möglichkeiten dieser „Muttersprache“ auszuprobieren und zu verbinden, bestimmt auch den persönlichen und künstlerischen Weg von René Rote, vor allem im Hinblick auf seine künstlerische Leitung und Gestaltung dieses bislang auf jeden Fall in Dresden einmaligen Festivals. Zu seinem persönlichen Weg, vor allem dem zur Kunst, zum Tanz, sagt er: „Ich stand schon mit 7 Jahren das erste Mal an der Ballettstange, damals im Ballettsaal des Landestheater Altenburg und wurde mehrere Jahre für die Aufnahmeprüfung an der Palucca Schule vorbereitet. Doch es kam anders – ich bin über Umwege zum Lateinamerikanischen und Standardtanz gekommen und habe später eine Gesangsausbildung absolviert. Dem Tanz bin ich immer treu geblieben.“ Die Besonderheit dieser Kunstform, dieser Form des körperlichen Ausdrucks, die ja oftmals auch der Sprache nicht bedarf, beschreibt er so: „Als Theaterregisseur im Bereich Schauspiel liegt mein Bestätigungsfeld in der deutschen Sprache. Tanz ist Sprache – nur eben wird sie nicht gesprochen. Diese Kunstform hat einen hohen Wert an Ästhetik und Disziplin. In meinen Inszenierungen »Der Autist« und »OUT BURN« habe ich genreübergreifend gearbeitet und Tanz als Mittel eingesetzt.“ 

Und er fügt hinzu, daß er sich ja schon als Organisator, später als Leiter des Festivals Tanzwoche (seit 2017) mit dieser Thematik beschäftige. Sein Fazit, auch im Hinblick auf die aktuellen Erfahrungen, die Arbeit für dieses Festival: Ja, es gäbe da bestimmte Erfahrungen, Begegnungen, Erkenntnisse und Erlebnisse, aber, „es braucht keinen Grund, um Menschen mit oder ohne Behinderung zusammenzuführen und ihnen ein Festival zu widmen.“ Und er fügt hinzu, dass ja Inklusion durchaus nicht nur auf Behinderungen zu beziehen ist.

»I PLAY D(E)AD« von und mit Wagner Moreira (Foto: Pawel Sosnowski)

Konzeptionell und künstlerisch erweist sich das ja auch im weiteren Programm des Festivals, bewusst, im Hinblick auf die Kunst der Inklusion, dennoch aber mit dem thematisch und konzeptionell zu begreifenden Motto »INKLUSIV«. Das könnte sicher auf so sensible wie spezielle Weise erfahrbar werden, wenn am Ort der Uraufführung der Choreograf und Tänzer Wagner Moreira, in Kooperation mit dem Theater Regensburg, wo er jetzt die Tanzsparte leitet, seine autobiografische Solo-Tanzperformance »I Play D(E)AD« zur Aufführung bringt. Er setzt sich mit dem Freitod des Vaters auseinander, stellt sich einem Tabu. Er wagt einen emotionalen Spagat zwischen dem Tod des Vaters und dem eigenen „Sterbenlernenwollen“. Für dieses „poetische Szenario über Pietät und Demut, Entschlossenheit und Lebensfreude“ erhielt Wagner Moreira 2019 den Ursula-Cain-Förderpreis des Sächsischen Tanzpreises.

Im Programm dieses Festivals werden aber nicht nur die Grenzen persönlicher und körperlicher Voraussetzungen überwunden. Auch die großer Entfernungen, wenn etwa hier das Tanztheater Erfurt und die Wiener Gruppe Ich bin o.k. zusammenkommen. »ZUG – zwischen Erfurt und Wien«, nach Corona-bedingten Verspätungen, erlebt nun endlich die Live Premiere in Dresden.

Die Tänzerin und Choreografin Jelena Ivanovic ist in Dresden nicht unbekannt. In ihrer neuesten Essener Tanzgebiet-Produktion »KONTRA PUNKT« zu Live-Musik, die sich auf Bachs Kunst der Fuge bezieht, geht es um die Facetten der poetischen Sprache des Tanzes, „mit einem Augenzwinkern, zum Miteinander und Untereinander in Gruppen.“ Der Kritiker Stefan Keim dazu im WDR, es gehe um Prozesse der Gruppendynamik, „um die Frage, wie man sich selber sähe und wie es die anderen tun.“ Keine Frage, damit wird das Festivalkonzept noch einmal wesentlich im Hinblick auf die längst nicht ausgeschöpften Facetten, vor allem der Chancen, hoch sensibler Kunst der Inklusion erweitert. Und nicht zu vergessen, »Fusionen #3« – die Eigenproduktion des projekttheaters unter René Rothes Leitung. Die Frage an ihn, wie intensiv werden hier im Zusammentreffen Dresdner Künstlerinnen und Künstler die „INKUSIONEN“ kraft des Tanzes zu erfahren sein? Wie hat sich das Konzept dieses Projektes, nun in der dritten Auflage, entwickelt? Dazu Rothe, unter dessen Leitung, gemeinsam mit Daniela Backhaus, dieses Projekt etabliert wurde: „Mittlerweile hat sich eine Gruppe aus frei arbeitenden Tänzerinnen, Tänzern, Performerinnen, Performern, Choreografinnen, Choreografen und anderen Mitarbeitenden, mit und ohne Behinderung, rund um das Projekt etabliert. Auch in diesem Jahr wird es an zwei Tagen fünf kurze, neu erarbeitete oder weiterentwickelte Performances zu sehen geben. Diese wurden zu vorgegebenen Themen entwickelt und laufen in einem abendfüllenden Tanzprogramm zusammen. »Fusionen #3«, das sind die Kurzprojekte: »Aquarium«, »Metamorphosen«, »Was willst du von mir«, »ZeitRaum« und »Zwischen uns«.

Schließlich – woran fehlt es? „Leider sind die Fördermittel sehr begrenzt. Wir mussten uns stark einschränken. Es war ein viel größeres Festival geplant gewesen“, so René Rothe. Aber das wäre ein anderes Feld. Jetzt ist es wichtig, dass diese weit gefasste Kunst der Inklusion viele Menschen erreicht: vom 19. bis zum 30. April im Dresdner projekttheater.