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Extreme, Extremes, Extremisten

Im Erinnern an das wohl dunkelste Datum der Dresdner Stadtgeschichte im 20. Jahrhundert gab es auch in diesem Jahr wieder eine – erwartungsgemäß? – reichlich extreme Bandbreite. Neben stillem Gedenken einer Händchen haltenden Menschenkette, Kranzniederlegungen auf Friedhöfen und mehr oder weniger gehaltvollen Politikerreden gab es Aufzüge von Polizei und Extremisten (böse Zungen sprechen angesichts unvergessener Ausschreitungen vor allem in den späten 1990er Jahren von „Polizei und anderen Rechtsextremisten“), um möglichst diverse Sichten auf das Geschehen vom 13. Februar 1945 zu manifestieren.

Inkludiert waren darin neuerlich altbekannte Versuche, Deutschlands braune Vergangenheit umzudeuten und die zwischen 1933 und 1945 begangenen Verbrechen „patriotisch“ schönzufärben. Eine nachhaltige Beleidigung von Opfern und Hinterbliebenen. Dass eine Tageszeitung just an diesem Datum das stadtbekannte Sprachrohr sächsischen Adels mit dem »Gruß eines Dresdner Rekruten an die Eltern« (gemeint war ein die Einberufung zum Kriegsdienst verherrlichender »Gruß von der Aushebung«) zu Wort kommen lässt, der dann auch noch seitenfüllend unter der Titelzeile »… so viel Ehre wie jeder Soldat an der Front!“« [sic!] über die Propaganda des einstigen Reichsluftschutzbundes referiert, wirkt mehr als befremdlich.

Passt aber irgendwie in ein Heute dieser Stadt, das einem Straßenclown schamlosesten Zulauf gewährt, der mit dem Blick auf Russlands Krieg gegen die Ukraine dummdreist das Lied »Kleine weiße Friedenstaube« anstimmen lässt. Was mögen die vor diesem Krieg geflohenen Menschen angesichts derartiger Selbstentlarvung wohl denken? Und was die Gäste aus Dresdens Partnerstadt Coventry?

Man mag nur hoffen und wünschen, dass sie den Weg in eins der Gedenkkonzerte gefunden haben, die in Dresden am 13. Februar zur Tradition geworden sind. Auch da gab es bei den beiden großen Orchestern der Stadt durchaus Extremes.

Henzes Neunte und die h-Moll-Messe von Bach

Die Dresdner Philharmonie hat sich der Moderne gewidmet und die 9. Sinfonie von Hans Werner Henze aufgeführt. Darin hat sich der 2012 in Dresden verstorbene Komponist gründlich mit der deutschen Geschichte auseinandergesetzt. Er nannte das 1997 vollendete Großwerk für gemischten Chor und Orchester eine „Apotheose des Schrecklichen und Schmerzlichen“. Für Chefdirigent Marek Janowski ist die Auseinandersetzung mit dieser Musik seit langem schon essentiell. Er hatte sich bereits in seiner Zeit als Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin gründlich mit Henzes sinfonischem Werk auseinandergesetzt und eine überzeugend gültige Gesamtaufnahme eingespielt.

Henzes Neunte nun auch mit der Dresdner Philharmonie einzustudieren und sie am 13. Februar aufzuführen, war deren Noch-Chefdirigenten ein Herzensbedürfnis: „Ein großes Anliegen von mir ist immer gewesen, die 9. Sinfonie von Henze, die ich sehr schätze, speziell an dem Dresdner Gedenktag erklingen zu lassen.“ Den damit verbundenen Herausforderungen war sich der Maestro, der am Samstag seinen 84. Geburtstag begeht, natürlich bewusst. Es sei „ein relativ schweres Werk für Orchester, wie alles, was Henze geschrieben hat.“ Diese Sinfonie ist allerdings eine Chorsinfonie, basierend auf dem Roman »Das siebte Kreuz« von Anna Seghers. Den Text dazu hat der Schriftsteller Hans-Ulrich Treichel verfasst und die Romanhandlung darin zwar aufgegriffen, ohne ihn aber direkt zu zitieren.

Janowski war sich der Herausforderung jedenfalls vollkommen bewusst: „Für den Chor ist es die oberste Grenze dessen, was ein Profichor zu leisten in der Lage ist. Eine ungeheuerliche Herausforderung. Aber ich denke, für diesen fabelhaften MDR-Rundfunkchor ist das eine an die äußersten Grenzen des Möglichen gehende Herausforderung und ich bin ganz sicher, der Chor wird so gut vorbereitet sein, dass er sich dieser Aufgabe auch stellen kann.“ Für die umfangreichen Chorpartien dieser Sinfonie wurde der MDR-Rundfunkchor in den Konzertsaal des Dresdner Kulturpalastes geholt, bestens einstudiert von James Wood.

Die teilweise bizarren Gesangsparts, die da zu leisten gewesen sind, wurden am Montagabend durchweg mit Bravour bewältigt. Zudem weitgehend textverständlich, auch wenn die eingeblendeten Übertitel dennoch als hilfreich wahrgenommen worden sind. Wie der Roman ist auch Henzes Sinfonie – »Den Helden und Märtyrern des deutschen Antifaschismus gewidmet« – in sieben Abschnitte gegliedert. Sieben aus dem Konzentrationslager Westhofen geflohene Männer sollten binnen sieben Tagen gefasst gefasst und an sieben zu Kreuzen gemarterten Platanen hingerichtet werden. Zur allgemeinen Abschreckung der verbliebenen Lagerinsassen. Einem Mann gelingt jedoch die Flucht, das siebte Kreuz bleibt leer: »als gäbe es keine Angst, keinen Tod … nur diesen einen Tag.« Ein Hoffnungszeichen für die übrigen Lagerinsassen.

Henzes durch und durch humanistisches Werk sollte wachrütteln und nachdenklich stimmen. Wie schon bei Ludwig van Beethoven einmal mehr eine Neunte, die als Bekenntnis und Mahnung zu verstehen ist und zum Dresdner Gedenktag kongenial passte. Marek Janowski hat den imposanten Chor- und Orchesterapparat mit suggestiver Kraft durch dieses Stundenwerk gelenkt, stringent berührende Spannungsbögen aufgebaut und dramaturgische Wirkmacht aufblühen lassen. Wer nochmal nachhören will: MDR Kultur und MDR Klassik sendet das Gedenkkonzert der Dresdner Philharmonie am 17. Februar ab 20.05 Uhr.

Fotos (2): Markenfotografie

Zeitgleich zum Philharmoniekonzert hatte die Sächsische Staatskapelle in der Semperoper die h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach angestimmt und sie am 14. Februar nochmals wiederholt. Gewissermaßen ein Kontrastprogramm der beiden Orchester, das sich aber bestens ergänzte. Was Maestro Philippe Herreweghe mit der Kapelle und seinem exzellenten Collegium Vocale Gent da geleistet hat, war atemberaubend. Bachs vielstimmiges Bekenntniswerk, mit dem Schlusschor »Dona nobis pacem« ganz auf den Friedensgedanken ausgerichtet, wurde hier vortrefflich umgesetzt. Ob solistische Parts im Orchester – die Konzertmeister Matthias Wollong (Violine) und Norbert Anger (Violoncello), Soloflötistin Sabine Kittel, Solohornist Robert Langbein und die betörenden Trompeten (Helmut Fuchs, Volker Stegmann, Gerd Graner) – oder ob das handverlesene Gesangsensemble um Dorothee Mields und Sophie Harmsen (Soran), Alex Potter (Altus), Reinoud Van Mechelen (Tenor) und Krešimir Stražanac (Bass): hier hat alles gestimmt, sich eins ins andere gefügt, geriet die Messe zur berührenden Überwältigungsmusik.

Beide Konzertabende endeten ohne Beifall und dürften dem Anlass des Datums ungemein angemessener gewesen sein als das irrlichternde Straßengetümmel.