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Alte Freunde, neue Gäste

Naturgemäß hört und schaut man bei jedem Gastdirigenten der Dresdner Philharmonie momentan ein bisschen genauer hin. Würde der dauerhaft zu unserem Orchester passen? Stimmt die Chemie, wie aufmerksam setzen die Musiker die Vorstellungen des Dirigenten um, und vor allem natürlich: wie klingts am Ende im Konzert?

Foto: Genevieve Caron (Quelle: IMG)

Stéphane Denève ist nicht zum ersten Mal in Dresden zu Gast. In Nordfrankreich geboren, wohnt er momentan in den Vereinigten Staaten und dirigiert viel in der Neuen Welt. Bis 2026 ist er Musikdirektor des 1880 gegründeten St. Louis Symphony Orchestra, mit dem er dem amerikanischen Publikum gern deftiges Kraftfutter serviert: ohrenbetäubenden John Adams, Strawinskys »Frühlingsopfer« oder Brahms‘ Erstes Klavierkonzert, nächstes Wochenende mit Hélène Grimaud. Seine Biografie liest sich bilderbuchmäßig, muss doch ein heutiger Dirigent nicht nur gut dirigieren, sondern sich auch als begeisternder Kommunikator, als Fundraiser und Türöffner (Stichwort ‚Audience Building‘) an seinem Arbeitsort produzieren. Hier kann Denève punkten: obwohl immer noch große Lücken im hiesigen Philharmonie-Publikum klafften, war im Saal eine große Begeisterung für den Gastdirigenten zu spüren, dessen feuerrotes Frackfutter durch seinen energisch federnden Dirigierstil munter aufflatterte und der der gastierenden Konzertmeisterin Marta Kowalczyk nach jedem Stück die Hand küsste.

Nur wenn subtile Zwischentöne, verschattete Farben gefragt waren wie etwa im Finale der Sinfonischen Suite aus der Oper »Die Liebe zu den drei Orangen« von Sergei Prokofjew, blieben Wünsche offen. Wohl blitzten die Bläser grell-amerikanisch, jubelten die Streicher und glänzten die sieben Schlagwerker (in Albert Roussels Suite aus »Bacchus et Ariane« plus Celesta) mit Präzision und Witz. Aber gerade bei Gabriel Faurés zerbrechlicher Suite aus »Pelléas et Mélisande« – ein Stück, das der schon zu DDR-Zeiten oft im Kulturpalast gastierende Dirigent Alain Pâris erstaunlicherweise erst 1990 zur Dresdner Philharmonie mitgebracht hat – blieb die Noblesse trotz reduzierter Orchesterbesetzung auf der Strecke. Melancholisch sang die Soloflöte in der berühmten Sicilienne ihr Liebeslied (auch an dieser Position ein aufregender Gast: die junge polnische Flötistin Marianna Julia Zolnacz). Aber die kleinen Streichersoli blieben nüchtern, wenig schwelgerisch und das Ensemblespiel manchmal schlicht zu laut, was Denève nicht zu stören schien.

Der zweite Protagonist des Abends, Nikolaj Szeps-Znaider, debütierte statt mit Beethoven-Konzert und Staatskapelle (was Corona verhinderte) nun mit Philharmonie und Max Bruch im Kulturpalast. Über Sir Colin Davis fand Znaider vor fast zwanzig Jahren nach Dresden und begann eine lange und leidenschaftliche Affäre mit der Kapelle; ab 2009 auch als Dirigent übrigens, inzwischen bewies er sich in der Semperoper mit »Zauberflöte« und »Rosenkavalier«, leitete auch gerade erst Denèves amerikanisches Orchester als Gastdirigent. Den Palast und seine auch nach vielen Nachschärfungen immer noch kitzlige Saalakustik, die den Solisten neben dem Dirigentenpult in ein Lautstärke-Loch steckt, während die Bläser von hinten alles überstrahlen, wollte er mit dem vielleicht populärsten Violinkonzert überhaupt, dem g-Moll-Konzert von Max Bruch erobern. Der Geiger musste allerdings durchgängig dynamisch Vollgas geben, um nicht im Orchesterklang zu versinken. Virtuos war das allemal! Aber der feine, intime Gesang der Guarneri del Gesù im Adagiosatz, mit dem der ehemalige Kapell-Virtuos Szeps-Znaider in der Semperoper einst zu Tränen rührte, während die Staatskapelle und Christian Thielemann den Solisten sanft auf Händen trugen, wurde am Freitag nicht abgerufen. Der geigerische Jubel im Finalsatz wirkte kühl-unnahbar, wie bestellt. Seidigfeine Streicherkantilenen aber, oranges Morgenrot, fahle Nebelschwaden an der Atlantikküste, sacht hauchende Einsätze der Holzbläser über einem fast unhörbar leisen Paukenwirbel – kann der oft raumgreifend mit den Armen rudernde Stéphane Denève auch diese Farben mit einem großen Sinfonieorchester zaubern?

Eine Textfassung des Artikels ist am 16. Januar 2023 in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.