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„Was bedeutet uns Kultur eigentlich?“

Alle Fotos: Stephan Floß

Der renommierte dänische Komponist Hans-Erik Philip hat einen neuen Liederzyklus speziell für das Stahlquartett Dresden geschaffen. »A Taste of Steel – Geschmack von Stahl« lotet vielfältige musikalische und klangliche Kombinationen zwischen dem Stahlquartett und zwei Gesangssolistinnen aus. Dabei bildet »A Taste of Steel« verschiedene Facetten des Lebens ab: Freude, Liebe, Schönheit, Katastrophe und Hoffnung… Vor der Dresdner Uraufführung hat Martin Morgenstern mit Jan Heinke gesprochen.

Jan Heinke, wie wurde der Komponist Hans-Erik Philip eigentlich auf das Stahlquartett aufmerksam?

Kennengelernt haben wir uns bei einem Konzert in Kopenhagen vor 12, 13 Jahren. Er ist zu einem unserer Konzerte gekommen – danach haben wir in einem Asia-Imbiss höllisch scharfes Zeug gegessen und die Schnapsidee einer Auftragskomposition geboren. Zwischendurch brachen mehrmals avisierte Konzertorte oder Veranstalter weg. Aber wir blieben im regen Austausch. Philip war vor drei Jahren in Dresden und hat sich unsere Instrumente sehr genau vorgenommen. Von ihm habe ich das Wort ‚Komfortzone‘ das erste Mal gehört. Er sagte, er will uns nicht leiden sehen.

Was – er wollte euch gerade nicht aus dieser Komfortzone holen?

Er wollte wissen, wo wir uns am wohlsten fühlen. Das hat vorher kein anderer Komponist gesagt! Er wollte die Langsamkeit der Instrumente bewahren in seiner Musik. Und er hat auch lange nach einem geeigneten Text gesucht und fand dann diesen Text von Pia Tafdrup: wunderschöne Naturbetrachtungen, Beobachtungen von Innenleben, aber auch mit einem klaren Bezug zum Zweiten Weltkrieg.

Schlägt sich der Text in eurer Interpretation, eurer Auseinandersetzung mit dem Notentext nieder?

Surprise: wir haben die deutsche Übersetzung erst gestern bekommen! Natürlich hat sich Philip mit dem Text ausführlich auseinandergesetzt. Wir hatten beratschlagt, dass er, wenn er die ersten Passagen geschrieben hat, uns ein paar Skizzen schickt. Er hat sich tatsächlich in die Instrumente, die Stahlcelli, so hineingedacht und hat sehr einfühlsame und zutreffende Klänge dafür gefunden! Und trotzdem ist es dann der Hammer, wenn der Text plötzlich zum Leben erweckt wird. Mit der menschlichen Stimme! Wir hatten ja nur ein paar Midi-Files zum Abspielen der Noten und haben dazu geübt. Dann kamen die echten Stimmen…

Nun gibt es die Premiere des Werks in Dresden. Soll sie später auch in Dänemark erklingen?

Unbedingt! Ursprünglich sollte die Premiere in Kopenhagen sein. Es gab dann ein Budgetproblem, das wir mit Hilfe von Tristan Production lösen konnten. Mittlerweile ist die dänische Seite des Budgets ebenfalls wieder abgesichert. Im Februar 2022 werden wir in drei Kirchen in Kopenhagen gastieren.

Und die Uraufführung findet in der Annenkirche statt.

Tatsächlich, ja. Letzten Endes war die Annenkirche eine Liebeswahl für Philip, weil die Kurfürstin Anna ja eine Dänin war. Der Musikveranstalter Andreas Grosse war eigentlich als Co-Veranstalter geplant, aber er wartet offenbar noch sehr vorsichtig ab, ob er überhaupt mit seiner Musikreihe »Zwischen den Welten« weitermacht.

Stichwort Corona – wie bist du, wie ist das Stahlquartett durch die letzten anderthalb Jahre gekommen?

Mit Glück. Peter Andreas ist als Komponist kaum betroffen gewesen, so beschreibt er es jedenfalls. Michael Antoni hatte ziemlich zu kämpfen in Berlin. Für mich war die Zeit eine Sinnsuche. Ich musste mir die schönen Momente rauspicken. Es gab keine wirkliche finanzielle Bedrängnis – es gab ja das Denkzeit-Stipendium, einzelne kleine Aktionen, immer konnte man es irgendwie auszuhalten. Aber die Frage nach der Perspektive stand und steht immer noch. Man kann sich ein bisschen die Wunden lecken, selbstmitleidig diskutieren, was die Rolle der Kultur in der Gesellschaft angeht. Aber eigentlich ist es doch gut, wenn diese Rolle immer mal wieder in Frage steht. Was uns Kultur eigentlich bedeutet!

Ja, was bedeutet sie uns?

Was das Quartett angeht, wachsen wir weiter. Meine Grundüberlegung zur Sinnfrage: Es gibt vier Verhaltensmodi, die evolutionär vorgeprägt sind, die vier F’s: Fighting, Fleeing, Feeding und Fornicating. That’s it. Meiner Meinung nach kann man damit aber keine Evolution machen. Es fehlt der Spielmodus. Jedes Tier spielt doch! Ich glaube, das braucht ein bisschen mehr Aufmerksamkeit. Jeder braucht es, kreativ zu sein und sich inspirieren zu lassen. Vor allem ziellos, nicht auf ein Resultat hin. Das ist, was den Menschen ausmacht. Wenn ich sehe, wie Leute es gerade genießen, wieder ins Konzert oder ins Kino zu gehen, hoffe ich, dass uns das deutlicher geworden ist.

A TASTE OF STEEL – Geschmack von Stahl (UA)

23.09.2021, 20:00 Uhr Annenkirche Dresden
Tickets 15€, ermäßigt 10€

Weitere Konzerte:
24.09.2021, 20:00 Uhr Schloßkirche Chemnitz
25.09.2021, 20:00 Uhr Thomaskirche Leipzig