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Freude der italienischen Oper

Während an der Sächsischen Staatsoper in Dresden noch heftig gestritten wird, ob verordnetes Stillschweigen die kulturell passende Antwort auf fortdauernde Pandemiezeiten ist, bleiben andere Häuser künstlerisch aktiv. Selbst Sizilien sendet da wertvolle Zeichen.

Omer Meir Wellber, der Erste Ständige Gastdirigent der Semperoper, ist bekanntlich auch Musikdirektor am Teatro Massimo von Palermo. Dort hatte er vor Jahresfrist mit Richard Wagners »Parsifal« einen glänzenden Einstand gegeben und erst kürzlich mit einem grandiosen Potpourri namens »Il crepuscolo dei sogni« (dt. »Die Dämmerung der Träume«) für Aufsehen gesorgt. Etwa 30.000 Menschen sollen diesen absolut berührenden Livestream verfolgt haben.

Screenshots aus dem besprochenen Streaming (Teatro Massimo TV)

Das viele Jahre lang geschlossene Haus an der Piazza Verdi leistet sich heute einen eigenen Kanal »Teatro Massimo TV« und will dank der umtriebigen Zusammenarbeit von Intendant Francesco Giambrone und Musikdirektor Wellber in Palermo wieder präsent sein. Eine Zeichensetzung gegen Kriminalität und Verfall. Der 1897 eröffnete Kunsttempel ist somit auch eine höchst soziale Einrichtung im Kampf gegen die Traditionen der sizilianischen Mafia. In gewisser Weise folgt Giuseppe Verdis Oper »Ernani«, die Ende Februar als Livestream in die Welt gesendet worden ist, diesem Ansatz: blutige Intrigen auf Ehre und Gewissen.

Vor allem jedoch geht es in dieser zwar konzertanten, doch durchaus aufwendigen Produktion um das Lebenselixier Kunst. Um lebendige Musik auch und gerade in den Zeiten der Krise. Natürlich fehlt dem Theater das Publikum, das jetzt nicht ins Haus kommen kann, doch just deswegen sehen sich die Verantwortlichen dazu verpflichtet, dem Publikum zu Hause etwas zu bieten. Das Resultat kann sich sehen und hören lassen.

Eindrucksvolle Bilder und erfüllender Klang werden da aufgefahren: Das gesamte Gestühl des Parketts ist hölzern überbaut, die Logen der sechs Ränge sind gefüllt mit dem Opernchor des Hauses. Solistinnen und Solisten stehen sich in historisierenden Kostümen abstandsvoll gegenüber, sind körperlich kaum agierend und berühren dennoch mit ihren durchweg perfekten Stimmqualitäten. Diese vier Akte »Ernani« sind trotz Internet und Bildschirm musikalische Sternstunden!

Auch die Visualisierung überzeugt, weil sie gar nicht erst vorzugaukeln versucht, dass hier die perfekte Oper aus Palermo in die Welt übertragen wird, Stattdessen holt sich das Haus sein Publikum eben in die real eingebremste Theaterwelt hinein. In den musikalischen Pausen sieht der sonst so pompöse Saal geradezu schaurig aus – da fehlen nunmal die notgedrungen ausgesperrten  Menschen. Doch solange sie zum Zuhausebleiben verdammt sind, wird ihnen aus dem Teatro Massimo weit mehr als nur billiger Bildschirm-Ersatz geboten: Trost, Mut, Zuversicht, all das steckt drin in diesem »Ernani« von der Nordwestküste Siziliens. Da strömt geballte Opernkraft auf den europäischen Kulturkontinent und darüber hinaus in die Welt.

Zumal hier eine hochkarätige Besetzung aufgeboten wird: Tenor Giorgio Berrugi bravourös in der Titelrolle, die zu Herzen gehende Sopranistin Eleonora Buratto als liebende Elvira, Bariton Simone Piazzola als Spaniens finsterer König Don Carlos sowie der Bass Michele Pertusi als rachsüchtiger spanischer Grande Don Ruy Gomez de Silva. Allesamt überzeugende, hin- und mitreißende Stimmgewalten, die vom Orchester des Hauses, das »Ernani« seit 22 Jahren nicht mehr gespielt hat, eindrucksvoll unterstützt werden. Italienische Oper vom Feinsten!

Finster, finster: Simone Piazzola als Don Carlos

Eine derartige Kraft des Musiktheaters weckt freilich Sehnsucht nach leibhaftem Opernbesuch und sowieso nach einem Wiedersehen mit Palermo. Bis dahin wird mit Licht und Schatten gearbeitet, braucht es nur ganz wenige Ausstattungsdetails, die nicht mal viel kosten, aber gewaltige Wirkung erzielen. Was allerdings fehlt, ist der Beifall. Der wäre für diese Produktion mehr als verdient. Denn trotz virtueller Übertragung wirkt sie spannend wie ein Krimi, auch und gerade in dieser Umsetzung. Die ja gar nicht erst versucht, uns theatralisch etwas vorzugaukeln, sondern diese besondere Darbietungsform – zwangsläufig ein Kompromiss – sinnvoll für sich zu nutzen versteht. Da gibt es Umkleiderituale hinter der Bühne (in diesem Fall in den Foyers) und obendrein zwischendurch Erklärungen des Kostümbildners Francesco Zito, der seine Entwürfe präsentiert und sie in die Zeitgeschichte der Oper sowie ihrer auf Viktor Hugo zurückgehenden Historie einordnet. Da kommt Musikdirektor Omer Meir Wellber ebenso zu Wort wie die Protagonisten dieser Oper – in summa ein eindrucksvolles Plädoyer für »Ernani« sowie für diese lobenswerte Kraftanstrengung, Verdis Frühwerk just in pandemischen Zeiten von Sizilien aus in die Welt zu senden.

Wie schade, dass sich vergleichbar große Häuser zu ähnlichen Taten nicht in der Lage sehen.