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Und morgen in Qīngdǎo…

Alles nur eine Frage der Wahrnehmung? Neulich sprach ich mit einem Intendanten, der sich an ein Bühnenereignis erinnerte, das gerade mal ein halbes Jahr zurücklag. Der Theaterchef sprach von „Damals“. Dieses Wort lässt sich superlativ steigern zu einem „Früher“. „Weißt du noch, damals, als wir in der ausverkauften Oper saßen, all die Solisten und der Chor auf der Bühne, an die hundert Musikerinnen und Musiker im Orchestergraben …?“

„Wie war das doch, früher, als es in der Konzertpause noch ein Glas Wein gab, hier in Dresden leider nur sächsische Trauertropfen, aber immerhin …?“ Die waren und sind zwar hoffnungslos überteuert und übersäuert, doch die Geste des gemeinsamen Anstoßens wirkt heute wie aus vorsintflutlichen Zeiten. Statt dessen suchen wir maskiert unsere einsamen Plätze im Saal und erkennen den Nebenmann respektive die Nebenfrau nicht, weil sie und / oder er mindestens drei Sitzplätze weit entfernt ist. Seit heute müssen die Masken sogar während der Konzerte getragen werden.

In Salzburg zu den Festspielen im Sommer war das noch anders. Da wurde das sogenannte Schachbrettmuster praktiziert, blieb also vor, hinter und neben dir jeweils ein Platz frei. Und sämtliche Künstlerinnen und Künstler wurden ebenso wie das gesamte Bühnenteam regelmäßigen Tests unterzogen sowie zu einer„freiwilligen“ Quarantäne verpflichtet – mit dem Ergebnis, dass dieser Großversuch an der lebendigen Kunst eindrucksvoll positiv umgesetzt werden konnte.

Das Janácek-Festival in Brno wollte diese Erfahrungen noch toppen und gestattete ein vollbesetztes Theater – mit Maskenpflicht für das Publikum während der gesamten Vorstellung – und ließ auf der Bühne singen und spielen, dass es die reinste Freude gewesen ist. Geplante Gastspiele mussten nach ansteigenden Infektionszahlen freilich rasch wieder gestrichen werden.

Inzwischen ist jeder Tag und sowieso jeder Theaterplan wieder voll von offenen Fragen. Gehen wir heute ins Beethoven-Konzert in den Kulturpalast? Bei dem letzten in der Semperoper weckten Christian Thielemann und die Sächsische Staatskapelle mit glanzvollen Interpretationen schier den Verdacht, dass der Bonner Meister wohl doch nicht nur eine einzige Oper verfasst haben könnte, so musiktheatralisch assoziativ wurden dessen 6. und 7. Sinfonie präsentiert. Und wollen wir wirklich schon wieder groß besetzten Chorwerken lauschen, die in den herbstlichen Monaten bislang („früher!“) ihre große Tradition hatten? Fragezeichen über Fragezeichen …

Dabei sollte die hiesige Klangkunst doch längst schon wieder als Botschafter fungieren und in Peking, Qingdao, Shanghai sowie Tokio gastieren. Wann wird das wohl je wieder möglich sein? „Damals“, als diese Reisepläne geschmiedet wurden, war unsere Welt noch eine andere Welt. Für die sentimentalen Reisefüchse unter uns hat sich die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek heute, zum „Welttag des audiovisuellen Erbes“, etwas Besonderes einfallen lassen. Bitte hier entlang!