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„Die Stärke des Orchesters ist der Klang – dann kommt der Ausdruck, dann die Technik“

Die Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber“ ist dieser Tage Gastgeberin für eine öffentliche Konferenz, die sich mit Zukunftsperspektiven der Orchester beschäftigt. In Vorträgen, Workshops und Konzerten dreht sich alles um die zukünftigen Rahmenbedingungen der Ausbildung zum Orchestermusiker, die Anforderungen an die Ausbildungsprofile – und in welchem gesellschaftlichen Kontext sie stehen. Für »Musik in Dresden« erinnert sich die Solofagottistin der Wiener Philharmoniker, Sophie Dervaux, an die Herausforderungen, die sie zu Beginn ihrer Orchesterkarriere zu meistern hatte.

Sophie Dervaux (Fotos: Benjamin Brinckmann)

Sophie, wann wusstest du: das Fagott ist mehr als ein Hobby?

Mit 16 oder 17 Jahren, als mein Lehrer sagte, jetzt solltest du zur Hochschule gehen, da wurde es konkreter und dann sehr ernst mit dem Fagott. Ohne, dass ich eine Entscheidung treffen musste, ging dann alles von selbst: Diplom, Hochschule… Dann habe ich das Probespiel für die Karajan-Akademie gewonnen. Und dann bin ich in Berlin gelandet. Da wurde es dann sehr konkret. Da wusste ich: ich will das Fagott im Orchester spielen, das ist mein Berufsziel.

Über die Karajan-Akademie bist du karrieretechnisch ja gleich gut eingestiegen. Dennoch warteten ja die richtigen Probespiele noch. Wie hast du die gemeistert?

Ich war zwei Jahre in dieser Akademie. Eines Tages gab es ein Probespiel für Kontrafagott bei den Berliner Philharmonikern. Ich hatte eigentlich nie wirklich darüber nachgedacht, ob ich mehr der Typ Solo oder der Typ Kontra bin. Okay, dachte ich, ich mach das mal mit! Es ist ja eine gute Übung. Es war dann eine ziemliche Überraschung, dass es wirklich klappte und ich genommen wurde.

Und wie hat es dich dann zu den Wienern verschlagen?

Eine Stelle bei den Wienern – das galt eigentlich immer als etwas, was man als Normalsterblicher nicht erreichen kann. Deswegen hat mich das gleich interessiert! Also, dieses Probespiel, dafür habe ich mich so vorbereitet wie noch nie in meinem Leben. Ich wollte mir danach nichts vorwerfen können. Mein Spiel hat der Jury gefallen. Und das war dann also der Anfang einer wunderbaren Geschichte. Die Fagottgruppe meines Orchesters, das ist fast wie eine Familie. Auf Reisen genau wie zu Hause.

Fagottisten, na, eigentlich alle Musiker fragen sich jetzt natürlich, ob du das Probespiel bei diesem Orchester vielleicht noch etwas genauer beschreiben könntest. Wie knackt man die Jury der Wiener?

Die Mitglieder der Jury werden bei uns für eine Zeit von drei Jahren berufen. Die Jury ist instrumentengruppenübergreifend: Eine Person kommt aus jeder Gruppe, also ein Fagottist, ein Pauker, Trompeter und so weiter hören sich die neuen Bewerber an. Wir probieren, das Probespiel möglichst fair ablaufen zu lassen. Jeder soll eine Chance bekommen. Wenn wir über 100 Bewerber auf eine Stelle haben, werden vielleicht fünfzehn bis zwanzig von ihnen nach Wien eingeladen. Jeder spielt die gleichen Stücke hinter einem Vorhang. So ist es wahnsinnig schwer, jemanden zu erkennen. Die besten kommen weiter – in eine zweite Runde, ebenfalls noch hinter dem Vorhang – nur so kann es demokratisch gehen. Zwei, drei Leute bleiben dann noch übrig.

Was zählt am Ende, wenn die Bewerber über alle technischen Fragen erhaben sind – wie gut sie im legendären Klang der Wiener aufgehen? Oder ist am Ende doch die spezielle Musikerpersönlichkeit ausschlaggebend?

Das ist eine sehr heikle Frage, und darüber gibt es in der Jury glaube ich auch verschiedene Meinungen. Die Stärke des Orchesters ist der Klang, keine Frage. Das macht uns besonders. Dann kommt der Ausdruck, dann die Technik. Klar, wir suchen jemanden, der sich diesem Klang anpassen kann. Es muss nicht genauso klingen, wie man es immer gehabt hat, aber der Bewerber muss kompatibel wirken und flexibel sein. Man will, dass sich der Klang irgendwie anpasst, aber man weiß natürlich, dass das Jahre dauert. Der Klang aller Kollegen um mich herum beeinflusst mich. Das ist kein bewusster Prozess. Ich bin überzeugt, dass ich heute nicht mehr spiele wie damals beim Probespiel.

Ja, interessant: wie hat sich der Klang deines Spiels bei den Wienern verändert? Kannst du das in Worten beschreiben?

Ich kann es probieren. Also, bei den Wienern hört man immer die Wärme im Klang. Er ist fast nie aggressiv, immer bleibt er charmant und elegant. Es ist wirklich ein Orchester, das selten hell und aggressiv klingen wird. Ich selbst bin vielleicht auch flexibler im Ton geworden, es gibt ja nicht nur eine Farbe. Wenn man im Orchester solo spielt, muss das eine andere Farbe sein, als wenn man mit Streichern oder mit dem Horn spielt; ob dunkler oder sehr brilliant, man muss eine vielfarbige Palette haben. Vor meinem Probespiel wollte ich einfach einen schönen Ton haben, aber nicht die dunkleren, depressiven Töne, die ich inzwischen auch kann. Da habe ich wirklich sehr, sehr viel gelernt. Besonders von den Streichern!

Vielen Dank für das Gespräch.


Die Teilnahme an den öffentlichen Podiumsdiskussionen und Workshops der Konferenz etwa zu den Themen »Überwindung der Mutlosigkeit: Ideen zur Integration von Gegenwartsmusik ins Orchesterprogramm« oder »Visionen der Ausbildung von Musiker*innen und ihre praktische Umsetzung« ist kostenlos. Die Hochschule bittet wegen der aktuellen Hygieneregeln um eine persönliche Anmeldung. Die Orchesterkonzerte am heutigen und morgigen Abend sind leider ausverkauft.

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