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György Wagner und »Die Meistersinger von Salzburg«

Jede Neuproduktion im Musiktheater ist eine Herausforderung, keine Frage. Selbst wenn die Neuproduktion nur eine Übernahme ist, de facto sogar eine Koproduktion, kann sie einige Fragezeichen aufwerfen. Einige davon sind rein technischer Natur – bezogen auf Bühnenbreite, Orchestergraben und den sich daraus ergebenden Sicht- und Hörbedingungen -, andere überraschen gar mit musikwissenschaftlicher Relevanz.

Sie fragen sich, worum es hier geht? Ich will es verraten. Die Dresdner Semperoper holt sich die Dresdner Semperoper ins Haus. Alles klar? Oder nicht.

Also: das Bühnenportal des immer mal wieder medienwirksam als sächsische Großbrauerei missverstandenen Hauses wurde im Frühjahr vergangenen Jahres im Großen Festspielhaus zu Salzburg nachgebildet und gab dort einen Teil der Kulisse zu Richard Wagners Oper »Die Meistersinger von Nürnberg« ab. Inszeniert von Jens-Daniel Herzog, dem Nachfolger von Semperoper-Intendant Peter Theiler an dessen vormaliger Wirkungsstätte, dem Staatstheater in Nürnberg. Ausgestattet von Mathis Neidhardt, der trotz seiner biografischen Wurzeln in Dresden heute beinahe weltweit tätig ist. Dirigiert von Christian Thielemann, dem Chefdirigenten der Sächsischen Staatskapelle und (noch) Künstlerischen Leiter der Osterfestspiele, deren Residenzorchester eben die Staatskapelle ist (und wohl auch gerne über 2023 hinaus geblieben wäre – aber das ist ein anderes Thema).

Jetzt geht es darum, wer »Die Meistersinger von Nürnberg« komponiert hat. Eine Rätselfrage auf dem Bildschirmniveau diverser Quizsendungen des Fernsehens? Wohl kaum. Die Salzburger »Meistersinger« – ich kann es bezeugen – sind in Worten und Noten ein Werk des aus Leipzig stammenden Dichter-Komponisten Richard Wagner gewesen. Die Dresdner Übernahme dieser »Meistersinger« von Salzburg stammen einem großflächigen Plakat an der Schinkelwache zufolge vom ungarischen Komponisten György Ligeti. Dessen Oper »Le Grand Macabre« ja ebenfalls erst kürzlich an der Semperoper herauskam.

Sollte der Fehldruck (sicherlich ein teurer Fehldruck) nur einer schludrigen Übernahme des Komponistennamens geschuldet sein? Oder stellen die »Meistersinger« von Ligeti Solistenensemble, Chor und Staatskapelle sowie deren von einer Dresdner Tageszeitung kürzlich schon gar als „ehem. Chef Staatskapelle“ ausgewiesenen Chefdirigenten vor ganz neue Herausforderungen? So kurz vor der Premiere wäre das eine derartige Hürde, als würde Hans Sachs, der Meister der Meister, sein Mitwirken im Reigen der anderen Meister abrupt in Frage stellen. Musiktheater ist nun mal, obwohl schon oft totgesagt, eine lebendige Kunstform. Mit allen Hürden und Risiken. Von teuren Fehldrucken zu schweigen …

Für Aufklärung könnte womöglich ein in Kooperation mit der Gesellschaft der Freunde der Staatskapelle Dresden e.V. konzipierter Vortrag von Sven Friedrich sorgen. Der Direktor des Richard-Wagner-Museums Bayreuth soll Wagners Oper als philosophische »comédie humaine« beleuchten, die „in historisierender Rahmenerzählung eine kultur- und gesellschaftspolitische Parabel auf die Integration von Tradition und Gegenwart“ entwerfe. Ein Vortrag, der sich thematisch nicht nur an Wagner-Enthusiasten richten solle, sondern sich vielmehr als Beitrag zur aktuellen Diskussion um Kunstpositionierung und der Wahrnehmung dieser Oper in der heutigen Interpretation verstehe. Viel Vergnügen! Und, bitteschön: „Verachtet mir die Meister nicht!“ Und: Am 31. Januar gibt es auf der Spielstätte Semper Zwei eine Diskussionsveranstaltung zum Thema „Wie politisch ist Oper?“ Womöglich birgt jede mögliche Antwort auf diese Frage schon eine nächste Herausforderung?