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Dresdner Philharmonie unterwegs: der Chefdirigent will nicht mehr, weil er nicht weniger will

„Von wegen Stille Nacht!“, wie die aktuellste Meldung auf der Webseite der Dresdner Philharmonie betitelt ist. Die orchestereigenen Webadministratoren waren offenbar gerade beim Sonntagskaffee (und sind es augenscheinlich noch), da teilte Michael Sanderling überraschend mit: der Chefdirigent will seinen bis zur Saison 2018/19 laufenden Vertrag nicht verlängern. Für Gespräche über 2019 hinaus stehe er nicht mehr zur Verfügung. Auslöser für seinen Entschluss war ein städtischer Haushaltsbeschluss der vergangenen Woche, demzufolge das Budget der Philharmonie in den kommenden Jahren deutlich gekürzt werden soll.

Foto: Nikolaj Lund
Foto: Nikolaj Lund

Der Dirigent reagiere damit auf eine angekündigte Budgetkürzung um 250.000 Euro, die vom Stadtrat für den Doppelhaushalt 2017/18 beschlossen worden ist. Was Michael Sanderling konkret moniert, ist dies: „Zum einen hat man der Dresdner Philharmonie jährlich eine sechsstellige Summe gekürzt. Mich verwundert, dass man kulturellen Leuchttürmen Geld wegnimmt und damit die Attraktivität der Stadt beschneidet. Zum anderen muss es einem doch zu denken geben, wenn man von diesen Dingen aus der Zeitung erfährt.“ Dem widerspricht Dresdens Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch, der diese Vorwürfe gelten. Sie hält dagegen, Intendantin Frauke Roth beizeiten darauf hingewiesen zu haben, dass der Stadtrat das bisherige Philharmonie-Budget in Frage stellen könnte. „Mich hat der Brief von Herrn Sanderling sehr überrascht“, erklärte sie am Sonntag, „zumal weil er auch zeitgleich an die Medien ging. Ich hätte mir gewünscht, dass wir vorher noch einmal ins Gespräch gekommen wären. Insbesondere im Hinblick auf die Eröffnung des Kulturpalastes – den die Stadt ja mit 100 Millionen Euro für die Philharmonie umgebaut hat – ist es bedauerlich, dass Herr Sanderling jetzt das Handtuch werfen möchte.“

Offenbar stehen hier Vorwurf gegen Vorwurf. Die ausschlaggebende Budgetkürzung rückt da beinahe in den Hintergrund. Annekatrin Klepsch zufolge erscheine das Vorgehen von Herrn Sanderling jetzt so, als hätte er nach einem Grund gesucht, Dresden zu verlassen. „Weil er ja auch für sich ausschließt, dass wir nochmal miteinander ins Gespräch kommen.“ Ein solches Gespräch hatte sich bis vor kurzem offenbar auch Michael Sanderling erwartet und bemerkt: „Ich denke, dass ich das Recht gehabt hätte, von derart signifikanten Einschneidungen direkt zu hören, um nochmal für meine Dresdner Philharmonie tätig sein zu können, und um klarzumachen, dass das, was da beschlossen wird, nichts weniger ist als eine eklatante Bedrohung der künstlerischen Qualität.“ Dem hält die Kulturbürgermeisterin entgegen, dass der Etat der Philharmonie von 14 auf 18 Millionen Euro steige. „Es zeichnete sich allerdings ab, dass die Stadträtinnen und Stadträte sehr genau schauen werden, was diesen Etat betrifft.“ Nun hätten sie beschlossen, von diesen 18 Millionen 250.000 Euro zu kürzen. „Das sind 1,3 Prozent des Gesamtetats“, betont Klepsch, „es liegt in der Kompetenz des Stadtrats, diese Entscheidungen zu treffen und an anderer Stelle im Kulturbereich aufzustocken.“

Fakt ist: die Alarmglocken hätten in der Intendantenetage der Philharmonie schon vor Klepschs Amtsantritt schrillen müssen. In einem DNN-Interview hatte die Bewerberin um das Amt des Kulturbürgermeisters ihre kulturpolitischen Vorstellungen skizziert:

Der Spagat besteht darin, Gerechtigkeit zwischen den großen städtischen Ensembles, der Freien Szene und auch kleineren städtischen Einrichtungen herzustellen.
Heißt das: Weniger Geld für die Hochkultur?
Entscheidend ist für mich die Frage: Wen erreiche ich mit welchen Angeboten? Das Schöne an Dresden ist doch die Vielfalt der Einrichtungen und Sparten. Ich möchte, dass wir Kunst und Kultur in Dresden ermöglichen. Das ist mir wichtiger als die reine Vermarktung Dresdens als Kunst- und Kulturstadt. Mit Sorge sehe ich das Einkommensgefälle innerhalb des Kulturbereiches.
Stehen Sie als Linke Eliten skeptisch gegenüber?
Überhaupt nicht. Aber auch eine Philharmonie, eine Staatsoperette oder ein Kreuzchor sollten daran interessiert sein, Reflektionsebene für gesellschaftliche Entwicklungen zu sein und die nachwachsende Generation für ihre Kunst zu gewinnen.

(Quelle: http://www.dnn.de/Dresden/Stadtpolitik/Die-Kunst-in-die-Stadt-tragen-Wie-Annekatrin-Klepsch-als-Kulturbuergermeisterin-die-Kulturpolitik-gestalten-will)

 

Abschied auf Raten

Also: die Staatskapelle für die Außenwirkung, für die Weltbühne und die imageträchtigen Tourneen, die Philharmonie zuhause für die Schülerkonzerte? Mithin wären die Etatkürzungen logisch, denn die „nachwachsende Generation“ in Dresden verbindet so gut wie nichts mit Namen wie Julia Fischer, Fazil Say oder Thomas Zehetmair – zugänglich und relevant muss die Kunst für sie gemacht und präsentiert werden, egal durch wen. Aber genau das ist der problematische Punkt für Michael Sanderling: der künstlerische Anspruch der Dresdner Philharmonie steht für ihn prinzipiell infrage. Die womöglich einzig gute Nachricht in dieser offenbar sogleich mit ihrem Ausbruch verfahrenen Debatte ist, dass der Chefdirigent seinen derzeit laufenden Vertrag bis zum Ende der Saison 2018/19 erfüllen und der Philharmonie sowie dem gemeinsamen Publikum solange treu bleiben will.

Dennoch haben Ton und Zeitpunkt dieses Abschieds auf Raten schon sehr überrascht. Zumal sich Sanderling und die Philharmonie gerade inmitten einer Tournee  befinden, die nach Italien, Slowenien, Österreich und in die Slowakei führen soll. In Udine soll am heutigen Montag das Orchester über Sanderlings Entschluss  informiert werden. Annekatrin Klepsch wagt noch einen Versuch und postuliert brieflich an Michael Sanderling: „Eine Nichtverlängerung Ihres Vertrages halte ich für einen großen Verlust für das Orchester und die Landeshauptstadt Dresden und kann an Sie nur appellieren, diesen Schritt nochmals zu überdenken, insbesondere nachdem ab Mai 2017 der neue Konzertsaal im Kulturpalast zur Verfügung steht.“