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Die Musikfestspiele zwischen heiß und kalt

Der optische Eindruck ist stark: Eisberg trifft Südsee. Kühles Blau mischt sich mit glühendem Orange. Die Elemente (beinahe ein Anklag an das Festspielmotto von 2011) vermengen sich und assoziieren Kontrast. Und der ist beim Thema „Feuer Eis“ ja wohl auch gegeben.

Sowohl der Auftritt im Internet als auch die am vorletzten Dienstag im September vorgestellte Broschüre mit dem Programm für die Dresdner Musikfestspiele 2015 ist in dieser Klammer aus heiß und kalt gehalten. Bei der Präsentation des kommenden Jahrgangs hat Intendant Jan Vogler denn auch verraten, wie er und sein Team darauf gekommen sind: „Nord-Süd-Gefälle“ (eigentlich ein politisch-publizistischer Sprachfehler, der sarrazinistisch-arrogant für das Bemänteln einer höchst chauvinistischen Haltung steht), dieses Wort sei es gewesen, das „Feuer Eis“ hervorgebracht hat.

Das Programm ist Programm

vogler-raketeVogler will diesem Unwort den klingenden Kontrast von Norden und Süden entgegensetzen. Von Skandinavien bis Sizilien reicht daher das programmatische Metaphernkonstrukt aus Feuer und Eis. Lediglich Spanien scheint in dieser vor Beliebigkeit nicht scheuenden Klammer ein klein wenig außen vor geblieben zu sein. Und der Süden von Frankreich, auch Grön- und Griechenland, der Balkan, die Krim … Wie steht es mit Island, mit Feuerland gar?

Nun, Europas Nord-Süd-Gefälle trifft sich zu den nächsten Musikfestspielen ausgerechnet im Elbtal! Ob das nun schon der Gipfel sein soll oder einen Nullpunkt darstellen wird, bleibt erst einmal eine offene Frage. Die 38. Dresdner Musikfestspiele werden eiskalt nach feurigen Antworten suchen, so viel steht fest.

Als Schnittstelle zwischen Norden und Süden ist Dresden stets ein Ort der Begegnung und auch des Austauschs gewesen (auch wenn auf den historischen Fakt hingewiesen werden muss, dass die Via Regia von Santiago de Compostela über Paris, Frankfurt und Leipzig schon gen Görlitz, Breslau und Krakau nach Kiew und Moskau geführt hat, während Dresden noch tief im slawischen Schlummerschlaf lag). Spätestens im barocken Zeitalter wurde in der Residenzstadt versucht, auf kulturellem Gebiet einigen Boden wieder gut zu machen. Und so begegneten sich hier tatsächlich Künstler aus Italien und teutschen Landen, die Nordlichter gaben sich erst wesentlich später ein Stelldichein. Kann ja nun alles nachgeholt werden.
Gleich zwei Residenzorchester leisten sich die Festspiele im kommenden Jahr. Von den (nord-)amerikanischen „Big Five“ kommt das Philadelphia Orchestra mit Yannick Nézet-Séguin, aus dem römischen Süden tritt die Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter Antonio Pappano die Reise an. Zu deren Konzert mit Bruckners 8. Sinfonie in der Frauenkirche darf jetzt schon jedes Echolot eingerollt werden! Die Römer haben aber auch einen Auftritt mit dem Cellisten Jan Vogler in der Semperoper. Dort – und zwei Tage darauf als Dependance im Konzerthaus Berlin – bestreitet das US-Orchester feurig-eisige Programme mit amerikanisch-norwegisch-russischem Inhalt.

Norden und Süden sind darüber hinaus mit Klangkörpern wie dem Helsinki und dem Venice Baroque Orchestra vertreten, es gibt ferner Konzere der Bamberger Symphoniker und des Schwedischen Runfunk-Sinfonieorchesters; sowieso tritt (dieses Mal in starker Präsenz) das Dresdner Festspielorchester auf. Gespannt sein darf man auf kammermusikalische Klangkörper wie dem Danish String Quartet, dem Auryn Quartett, dem Dvorák Trio, dem Ensemble Modern sowie dem Quatuor Ebène. Mit Ivor Bolton, Myung-Whun Chung, Christoph Eschenbach, Daniel Harding, Kent Nagano und weiteren namhaften Dirigenten präsentiert das Festival eine elitäre Auswahl an Pultstars, ebenso legen die Solistinnen und Solisten wie Lisa Batiashvili, Isabelle Faust, Giora Feidman, Boris Giltburg und Hélène Grimaud die Latte sehr hoch. Mit der Fadonista Mariza und dem Flamenco-Tänzer Kaari Martin ist auch die Fraktion des Crossover vertreten.

Education mit X

Die genannte Auswahl allein macht schon deutlich, wie vielfältig die nächsten Musikfestspiele sein werden. Neue Spielstätten kommen hinzu, auch das Angebot für die Jugend wird wieder eine sehr große Rolle spielen. Die „Bohème 2020“ soll in der Reihe „Sound & Science“ fortgeführt, Dialoge mit den Staatlichen Kunstsammlungen sowie der TU Dresden sollen ausgebaut werden. Ganz neu ist ein Education-Programm mit dem klangvollen Slogan „MusiX“.

Als „Gala für alle“ wird die Eröffnung der Musikfestspiele 2015 in der Messe stattfinden, noch davor soll es bei freiem Eintritt – ansonsten sind die Kartenpreise mit bis zu 145 Euro mitunter gepfeffert – eine Festspielnacht als Auftakt geben. Ein Spiel mit Temperaturen und Temperamenten ist versprochen – und Intendant Jan Vogler schaut mit diesem sehr ambitionierten Programm mitsamt seinen Forderungen an die Stadt (Rekordeinnahmen im Jahrgang 2014 sowie eine Auslastung von 95 Prozent geben ihm da nur Recht) bereits auf die Bewerbung der Schnittstelle Dresden als Kulturhauptstadt 2020. Vielleicht treffen Eisberg und Südsee dann ja tatsächlich farbkräftig im Elbtal aufeinander?